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Enttäuscht von Morales

Beschäftigte in Kleinbetrieben im bolivianischen El Alto versuchen, sich gewerkschaftlich zu organisieren. Vertrauen in Regierung schrumpft

Von Wladek Flakin, El Alto *

El Alto« bedeutet auf Spanisch »Der Hohe«, aber auch »Der Stopp«. Beide Bedeutungen passen zu der rund 400 Meter über der bolivianischen Hauptstadt La Paz gelegenen Stadt. »Der Hohe« liegt mehr als 4100 Meter über dem Meeresspiegel. Und die Bevölkerung des »Stopp« ist eine der kämpferischsten der Welt. Regelmäßig kommt es zu Streiks, Bockaden und Straßenkämpfen mit der Staatsmacht.

Im April tagte in El Alto der »Kongreß der Regionalen Arbeiterzentrale« (COR), ein Dachverband lokaler Gewerkschaften. Auf dem Kongreß ging es um Organisationsfragen. Statuten sollten geändert und neue Gewerkschaften integriert werden. Hintergrund ist, daß die Arbeitenden und Armen im »höchsten Slum der Welt« beginnen, sich zu organisieren. Die rund 800000 Alteños sind in der Mehrheit Arbeitsmigranten aus dem Altiplano, dem Hochland der Region La Paz. Die meisten der ehemaligen Bauern sind Indigene, die die traditionelle Sprache Aymara sprechen. Heute betreiben sie Kleinstgewerbe: Sie verkaufen Produkte an kleinen Marktständen. Nicht zufällig beheimatet El Alto mit der »Feria del 16. de julio« den größten Markt Lateinamerikas, vielleicht auch der Welt.

In den vergangenen Jahren entwickelte sich auf Grundlage der billigen Arbeitskräfte eine Industrie. Kleine Fabriken und Werkstätten mit einigen Dutzend oder Hunderten Arbeitern schießen wie Pilze aus dem Boden. Sie produzieren Textilien oder Schmuck, die direkt in die USA exportiert werden. Schätzungen gehen von rund 100000 Lohnabhängigen in El Alto aus – Tendenz steigend. Aber diese Beschäftigten sind kaum gewerkschaftlich organisiert. Die COR besteht nach wie vor hauptsächlich aus »Gremiales«, also Marktverkäufern, die sehr arm sind, aber ihre eigenen Stände und Waren besitzen.

Vor zwei Jahren gründete sich eine neue, kämpferische Gewerkschaft am internationalen Flughafen von La Paz, mitten in El Alto. Die 150 Angestellten arbeiten bei der Sicherheitskontrolle und auf der Landebahn für den spanischen Flughafenbetreiber SABSA. Einige »Unruhestifter« – ehemalige Bergarbeiter mit ihren starken syndikalistischen Traditionen – im Betrieb wollten eine Gewerkschaft auf die Beine stellen und begannen Gespräche mit Kollegen zu führen. Drei Organisatoren wurden entlassen, aber mit lautstarken Aktionen in der Abflughalle – einschließlich Protestplakaten in diversen Sprachen – konnten sie die Anerkennung ihrer Gewerkschaft durchsetzen und fast 5000 Euro für von der Belegschaft geleistete unbezahlte Überstunden kassieren. Jetzt dient SITRABSABSA (»die Gewerkschaft der Arbeiter von SABSA«, leicht abgekürzt) als Modell für die weitere Organisierung der verschiedenen Beschäftigtengruppen El Altos.

TEA war eine kleine Werkstatt, in der rund 90 Handwerker Goldketten für den Export in die USA herstellten. Als die Morales-Regierung am 1. Mai 2006 ein Dekret erließ, das gewerkschaftliche Rechte garantieren sollte, entschieden sich die TEA-Beschäftigen, etwas gegen die miserablen Arbeitsbedigungen in dem Betrieb zu unternehmen. Mit Hilfe der Aktivisten von SABSA bildeten sie eine Gewerkschaft – woraufhin alle 90 prompt entlassen wurden. Da sie von COR keinerlei Unterstützung erhielten – der Dachverband wollte lediglich 150 Euro für die Anerkennung der Gewerkschaft kassieren – wandten sie sich direkt an den Präsidenten. Mit einem spektakulären Auftritt während eines Feiertagsumzuges übergaben sie einen Brief an Evo Morales und sprachen mit Parlamentsabgeordneten der Regierungspartei. Hilfe erhielten sie dennoch nicht. »Sie bekommen mehr als 1 000 Dollar im Monat aber geben keine fünf Pesos für den Streikfonds«, empörte sich eine der betroffenen Arbeiterinnen über die Abgeordneten.

Mit öffentlichen Aktionen in La Paz, vor dem Parlament und der Universität, machten die Entlassenen – mit Unterstützung linker Aktivisten, von Künstlern und aus der Hiphop-Szene El Altos – auf ihren Kampf aufmerksam. Schließlich bekamen sie eine kleine Abfindung, die Entlassungen und die Schließung der Werkstatt waren jedoch nicht zu verhindern. Geblieben sind ein gewachsenes Selbstbewußtsein und eine starke Enttäuschung über Evo Morales.

* Aus: junge Welt, 9. Mai 2007


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