Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Bolivien will alles zurück

Erdölraffinerien von Brasilien übernommen

Von Benjamin Beutler, Santa Cruz de la Sierra *

Nach langen Verhandlungen hat der bolivianische Staat die zwei wichtigsten Erdölraffinerien des Landes für einen Preis von 112 Millionen US-Dollar erworben. Bisheriger Eigentümer war das brasilianische Energieunternehmen Petroléo Brasileiro S.A. (Petrobras). Das Aktienunternehmen, das zu 55 Prozent dem brasilianischen Staat gehört, zu einem Drittel jedoch in den Händen ausländischer Aktionäre ist, hatte 1999 die Raffinerien »Guillermo Elder« im östlichen Departamento Santa Cruz und »Gualberte Villaroel« im westlichen Cochabamba für einen Preis von 104 Millionen US-Dollar gekauft.

Bei der symbolischen Besetzung der Raffinerie am Sonnabend sprach Präsident Evo Morales von einem »historischen Tag«. Er unterzeichnete ein Dekret, das die staatliche Energiefirma Yacimientos Petroliferos Fiscales Boliviano (YPFB) zum Eigentümer des erworbenen Aktienpaketes macht. Eine Woche zuvor hatte er das Dekret 29122 erlasssen, welches einzig YPFB zur Verwertung und zum Export von Erdöl und seinen Erzeugnissen befugt. Diese Monopolstellung zwang Petrobras in den Verhandlungen entscheidend zu einer Flexibilisierung seiner Forderungen, da es zwar Eigentümer seiner Anlagen hätte bleiben, faktisch jedoch nichts verkaufen oder ausführen können. Petrobras drohte im Verhandlungsverlauf sogar mit nationalen und internationalen Klagen gegen diese bolivianische Maßnahme, um die »Rechte seiner Aktionäre« zu schützen. Für kurze Zeit schienen die Beziehungen beider Länder gefährdet, Petrobras dachte laut über einen Stopp seiner Investitionen in Bolivien nach. Letzten Endes war all das wohl nur Säbelrasseln und taktische Begleiterscheinung seitens der Brasilianer, die für beide Raffinerien einen wesentlich höheren Preis erzielen wollten: Zeitweise war von bis zu 180 Millionen US-Dollar die Rede. Der erzielte Preis von 112 Millionen bedeutet für Petrobras allerdings keinen großen Einschnitt, das Unternehmen erzielt einen jährlichen Umsatz von 22 Milliarden US-Dollar und einen Gewinn von elf Milliarden. »Petrobras hat durch diese Operation kein Geld verloren«, erklärt dessen Präsident José Gabrielli.

Für den bolivianischen Staat hingegen bedeutet der Rückkauf viel. Traurige Realität Boliviens ist, daß es trotz des Erdölreichtums Diesel und Benzin teuer einkaufen muß, da ihm bisher die technischen Kapazitäten zur eigenen Herstellung fehlten. Durch sofortige Investition in den Ausbau der beiden Raffinerien für die nationalen Dieselproduktion von zehn Millionen US-Dollar sollen bereits im kommenden Jahr 22 Millionen US-Dollar eingespart werden können.

Und Boliviens Präsident Morales kündigte weitere Verstaatlichungen an: »In den kommenden Tagen werden wir weitere Überraschungen erleben. Wir werden alles zurückgewinnen, was Bolivien und den Bolivianern gehört«. Er bezog sich auf private Ölfirmen, die ebenfalls unter den neoliberalen Vorgängerregierungen privatisiert wurden. Es wird mit einem Rückkauf von Aktienpaketen gerechnet, um dem Staat die Aktionärs­mehrheit von 50-Prozent-plus-eins zu gewähren. Auf diese Art und Weise werde man dem bolivianischen Volk endlich seine verlorengegangene Würde zurückgeben.

* Aus: junge Welt, 14. Mai 2007


Zurück zur Bolivien-Seite

Zur Brasilien-Seite

Zurück zur Homepage