Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Wieder Straßenblockaden

In Bolivien protestierten Minenarbeiter und Guaraní-Indígenas erneut für ihre Auffassung von Selbstverwaltung. Regierung setzte erfolgreich auf Verhandlungen

Von Benjamin Beutler, Cochabamba *

Nach längerer Pause kam es in den zurückliegenden Tagen in Bolivien wieder zu Straßenblockaden. Guaraní-Indígenas und Mitglieder der Versammlung des Volkes der Guaraní (APG) blockierten zehn Tage lang die wichtigsten Straßen zu den Nachbarländern Argentinien und Paraguay und verhinderten die Ein- und Ausfuhr jeglicher Produkte. Gleichzeitig streikten Minenenarbeiter am Berg Posokoni 14 Tage lang für mehr staatliche Investitionen und Änderung eines Präsidialdekretes.

Zentrale Forderung der Guaraní war die Einrichtung »indigener Autono­mien« durch die neue Verfassung. Deren Text wird derzeit durch die in der Stadt Sucre tagende Verfassungsgebende Versammlung ausgearbeitet. Mitte der Woche wurden die Blockade aufgehoben, nachdem eine Kommission der Verfassungsgebenden Versammlung die Berücksichtigung der Forderungen zugesagt hatte. Mehrere hundert Angehörige des Volksstammes hatten sich zudem auf den Weg nach Sucre gemacht, um ihrem Anliegen vor Ort Nachdruck zu verleihen.

Kernpunkt der Streitigkeiten ist die Art und Weise der geplanten Autonomien. Die oppositionellen Präfekten der Ostprovinzen (Departamente) Santa Cruz, Pando, Beni und Tarija sowie deren konservative Bürgerkomitees stellen sich gegen die von der Regierungspartei »Bewegung zum Sozialismus« (MAS) geplante Form indigener Selbstverwaltung. Diese sieht vor, Autonomie auch über die bestehenden Verwaltungsgrenzen hinaus zu gewähren. Ein landesweites Referendum zur Verwaltungsreform hatte vor einem Jahr eine solche befürwortet. Fünf Departamente stimmten dagegen. Seitdem kämpfen diese mit allen Mitteln für verwaltungstechnische Eigenständigkeit auf Departamentsebene. So verkündeten verantwortliche Politiker dort kürzlich, die Völker des Ostens würden für die von ihnen favorisierte Form der departamentalen Selbstverwaltung sein. Der Präsident der Konföderation der indigenen Völker Ostboliviens (CIDOB), Adolfo Chávez, dementierte dies scharf. Er beschuldigte die Präfekten und ihre Helfer des Betruges und der Desinformation. Es gäbe keine Spaltung innerhalb der Indígenas, man stehe vereint hinter den »indigenen Autonomien«.

Auch im Streit um die Zinnminen am Berg Posokoni war es in den vergangenen Tagen wieder zu Auseinandersetzungen gekommen. Minenarbeiter des jüngst verstaatlichten Betriebes Huanuni waren in einen unbefristeten Streik getreten. Neben betrieblicher Selbstverwaltung und vermehrten staatlichen Investitionen forderten sie die Umwandlung des Präsidialdekretes Nr. 28901 in ein ordentliches Gesetz. Das Dekret bestimmt die Verstaatlichung des Berges Posokoni und wurde nach dem sogenannten schwarzen Oktober 2006 erlassen. Damals war es zwischen staatlichen Minenarbeitern und auf eigene Kosten arbeitenden »Kooperativisten« im Streit um ertragreiche Erzstränge zu Kämpfen gekommen, 14 Bergarbeiter kamen ums Leben. Die MAS-Regierung stelle darauf 4000 der »Kooperativisten« fest ein und versprach zusätzliche Investitionen zur Produktionssteigerung.

Bisher wurde jedoch nur ein Teil der Versprechen eingehalten. Eine Straßenblockade wurde vergangene Woche durch Polizei und Militär aufgehoben, ein Konvoi von 300 Protestlern an der Reise in die Hauptstadt gehindert. Präsident Evo Morales rechtfertigte das harte Durchgreifen mit der unnachgiebigen Haltung einiger Gewerkschaftsvertreter, die nicht auf die Verhandlungsangebote eingegangen seien und Partikularinteressen verträten. Am Mittwoch stimmte die Regierung dann doch den Forderungen der Minenarbeiter zu, und diese nahmen ihre Arbeit wieder auf.

* Aus: junge Welt, 13. Juli 2007


Zurück zur Bolivien-Seite

Zurück zur Homepage