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Gehorchend regieren

Boliviens Präsident Evo Morales zieht Streichung von Benzinsubventionen zurück

Von Benjamin Beutler *

Boliviens Linksregierung beugt sich den Protesten. "Getreu unseres Mottos 'Dem Volke gehorchend regieren' haben wir beschlossen, das Präsidialdekret Nr. 748 zu annullieren", gab Präsident Evo Morales am Freitag die Entscheidung bekannt, das Gesetz zum Ende staatlicher Subventionen für Diesel und Benzin mit sofortiger Wirkung aufzuheben. "Ich habe die Empfehlungen der verschiedenen Gesellschaftsschichten gehört und verstanden", erklärte der Präsident. Auch die Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns für Armee, Polizei, Staatsbedienstete, Lehrer und Krankenhauspersonal um 20 Prozent und der Preisstopp für Strom, Telefon und Wasser würden zunächst "nicht in Kraft treten". Der Moment für die "Maßnahme zugunsten des ganzen bolivianischen Volkes" sei wohl noch "nicht der richtige" gewesen, gestand Morales ein. Dennoch sei der Schritt zurück ein "harter Schlag" für Boliviens Wirtschaft.

Fünf Tage zuvor hatte die Regierung der Bewegung zum Sozialismus (MAS) die "Angleichung" der seit 1985 staatlich gestützten Treibstoffpreise an das Niveau der Nachbarländer Argentinien, Brasilien, Peru, Paraguay und Chile beschlossen. Das hatte in dem Andenland eine Explosion der Preise für Benzin und Diesel zwischen 57 bis 83 Prozent zur Folge. Die wichtigsten Gewerkschaften und Oppositionsparteien hatten daraufhin zu massiven Protesten aufgerufen. In La Paz, El Alto, Cochabamba und in der Bergarbeiterstadt Oruro gingen Tausende Demonstranten auf die Straße, um gegen den "Gasolinazo" zu protestieren. Im Osten des Landes blockierten Kokabauern die Verbindungsstraße zwischen dem Tiefland-Departamento Santa Cruz und dem zentralbolivianischen Cochabamba. Landesweit schossen zudem die Preise für Lebensmittel und Verkehrsmittel in die Höhe.

"Wir begrüßen die Entscheidung des Präsidenten, er hat auf Fabrikarbeiter, Bergleute, Berufstätige, Arbeitslose und Gewerkschafter gehört", reagierte der frühere Bürgermeister von La Paz, Juan del Granado von der linken Oppositionspartei "Bewegung ohne Angst" (MSM), die "gesunde" Lösung. Doch das Problem der Treibstoffsubventionen, die den bolivianischen Staatshaushalt im kommenden Jahr rund eine Milliarde US-Dollar kosten werden, besteht weiter. Auf einer Pressekonferenz am Sonntag forderte Morales deshalb den "Beginn einer Debatte". Es sei "allseits bekannt", daß die Angleichung notwendig sei, um das Geld, das Bolivien für die Subventionen ausgibt, in "soziale Entwicklungsprojekte wie Bildung, den Bau von Krankenhäusern und Straßen" zu investieren, so der Staatschef. Eine Kommission unter Beteiligung der sozialen Bewegungen solle nun Alternativen ausarbeiten. Zudem müsse der Kampf gegen den Schmuggel verstärkt werden.

* Aus: junge Welt, 3. Januar 2011


Morales' Rückzieher

Von Benjamin Beutler **

Nur fünf Tage alt wurde das Dekret Nr. 748 in Bolivien. Durch Streichung der Subventionen für Treibstoff hatte Präsident Evo Morales die Wunde einer "blutenden Wirtschaft" schließen wollen. Milliarden waren seit 1985 ausgegeben worden, um die Preise für Benzin, Diesel und Flugzeugtreibstoff in einer der schwächsten Volkswirtschaften des Kontinents bezahlbar zu halten. Solche Subventionen helfen Armen und Reichen - Taxifahrern und Obsthändlern, Großgrundbesitzern und Eigentümern von Fluggesellschaften. Dieser Umverteilung ohne Differenzierung wollte Morales ein Ende setzen. Steigende Weltmarktpreise für Erdöl und die wachsende Nachfrage im Inland bei gleichzeitigem Rückgang der eigenen Förderung ließen die Preisstützung zum Fass ohne Boden werden. Zumal durch Schmuggel ein Zehntel des Geldes im Schwarzmarkt versickert. Weil der Subventionsstopp aber vor allem den "kleinen Mann" traf, ging der auf die Barrikade. Doppelte Kosten für den Bus zur Arbeit, mehr Geld für Brot und Fleisch sind den Ärmeren schwer zu erklären, zu abstrakt ist das "Wohl der Nation". Frühere Regierungen hätten von IWF und Weltbank diktierte Entscheidungen mit Truppen und Panzern durchgesetzt, die "Regierung der sozialen Bewegungen" musste dagegen beweisen, dass sie wirklich "mit dem Gesicht zum Volk" regiert.

** Aus: Neues Deutschland, 3. Januar 2011


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