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Boliviens "Agrarrevolution"

Neues Landwirtschaftsgesetz entfacht Debatte um Soja und Gentechnik

Von Benjamin Beutler *

Nach der Verabschiedung eines ambitionierten Gesetzespakets zur Steigerung der landwirtschaftlichen Produktivität reißt in Bolivien die Debatte über die Folgen für Landwirtschaft und Verbraucher nicht ab.

Umweltverbänden und Bauernorganisationen ist der Artikel 15 des Gesetzes ein Dorn im Auge. Der umstrittene Passus des Landwirtschaftsgesetzes zum »Schutz der genetischen Ressourcen« verbietet zwar die Nutzung von genetisch verändertem Saatgut, allerdings nur, wenn »dessen Ursprung oder Diversität aus Bolivien ist«.

Zu schwammig formuliert, findet Indigenenverband CONAMAQ. Befürchtet wird neben Umweltschäden die Stärkung der Agrar- und Landoligarchie im Tiefland-Departamento Santa Cruz, der Hochburg der rechten Opposition gegen die regierende »Bewegung zum Sozialismus« (MAS). Wie in den Nachbarländern Brasilien, Paraguay und Argentinien geht das Soja-Business mit dem massiven Aufkauf von Land einher, was die Konzentration von Eigentum weiter vorantreibt.

Im Agro-Zentrum Santa Cruz wird zudem eine »Invasion der Brasilianer« beklagt, die das Soja-Geschäft dominieren und denen jüngsten Schätzungen der Nichtregierungsorganisation »FundacionTierra« zufolge über 40 Prozent der Soja-Anbauflächen gehören. Die einstigen Soja-Pioniere, europäische Migranten, Japaner und Mennoniten, verkaufen ihr Land an die Brasilianer, die in Kapital und Technologie sowie Kontakten zum Weltmarkt haushoch überlegen sind.

Der einflussreiche Interessenverband der Sojabauern ANAPO – im Vorstand sitzen die Soja-Magnate aus Brasilien – interpretiert Artikel 15 in seinem Sinne: »Die neue Norm erlaubt den Gebrauch genetisch veränderter Organismen«, so ANAPO-Präsident Demetrio Pérez auf einer Tagung der Handelskammer der Exportwirtschaft IBCE. Verhindere man die Produktion von Gen-Saatgut, würden andere das Geschäft machen. Es gebe »keine ernsthafte Studie, die eine Gesundheitsgefährdung durch genetisch veränderte Produkte nachweist«, ein verstärkter Anbau der Sojabohne sei daher unbedenklich und von der Regierung zu unterstützen. Pérez fordert auch die Freigabe von Gentechnik für Baumwolle und Mais.

Boliviens Regierung hatte die »Agrarrevolution« im Parlament und in »enger Absprache mit den sozialen Bewegungen« verabschiedet. Wichtigstes Ziel ist die Förderung einer »pluralen Wirtschaft«, um »Lebensmittelsouveränität zu erreichen«. Statt Soja für die Futtermittelindustrie des Nordens will die Regierung den Anbau von Quinoa, Mais, Weizen, Reis, Kartoffeln, Zucker und die heimische Viehwirtschaft fördern. Zudem wurden eine Ernteausfall-Versicherung sowie Niedrigzinskredite für Kleinbauerngenossenschaften und indigene Gemeinden geschaffen. Zollsenkungen für Traktoren und anderes Gerät sollen die Mechanisierung der Landwirtschaft fördern, es gibt mehr Geld für Forschung zu Saatgut und Agrartechnologie.

Die Fixierung von Lebensmittelpreisen, der Vorrang des Binnenmarktes gegenüber dem Export sind zentrale Punkte der »Produktionsrevolution« von Präsident Evo Morales. Nach den Erfahrungen der Preisexplosion für Nahrungsmittel Anfang 2011 wird die Bekämpfung der Spekulation mit Zucker, Fleisch und Korn besonders ernst genommen. Spekulation mit den Produkten des täglichen Lebens wird als neuer Tatbestand ins Strafgesetzbuch aufgenommen. Die Rolle der Gentechnik bleibt in dieser Diskussion jedoch umstritten.

* Aus: Neues Deutschland, 14. Juli 2011


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