Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Sonne des Glücks – aber für wen?

Bhutan soll im Jahre 2008 in ein "neues Zeitalter" eintreten: König Wangchuck überträgt die Macht an seinen ältesten Sohn und lässt ein Parlament wählen

Von Hilmar König*

Bhutans König schockte am Samstag seine Untertanen mit der Nachricht, er werde im Jahr 2008 abdanken. Er fragte, warum man auf eine »Revolution« warten solle. Viel besser wäre ein Rücktritt, wenn es der Nation gut gehe. Für diese allerdings war allein schon die Ankündigung »revolutionär«. Denn bisher war es üblich, daß ein »Druk Gyalpo« (Herrscher) bis zum Tode auf dem Thron blieb. Selbst der in den letzten Jahren ausgearbeitete Verfassungsentwurf sieht vor, daß der Monarch bis zum Alter von 65 Jahren im Amt bleiben kann. Das alles hat der 50jährige Jigme Singye Wangchuck über den Haufen geworfen. Er hält die Zeit für gekommen, nach einer angemessenen Eingewöhungsphase seinem ältesten Sohn, Kronprinz Dasho Jigme Khesar Namgyal Wangchuck, im Jahre 2008 die Regentschaft zu übergeben.

Jenes Jahr wird durch zwei Ereignisse geprägt werden – den 100. Jahrestag der Erbmonarchie und die Eröffnung eines neuen Zeitalters: erste Parlamentswahlen. König Wangchuck malte das künftige politische System mit einer Verfassung, einer Volksvertretung und dem König als Staatsoberhaupt in rosigen Farben. Es würde der »Sicherheit und Souveränität der Nation« dienen, versprach er. Und eine Wahlkommission werde mit der Aufgabe betraut, die Bürger in »parlamentarischer Demokratie« zu unterrichten. Fakt ist, daß das Herrscherhaus sich für behutsame Reformen entschieden hat, um Zepter und Macht fest in der Hand behalten zu können.

Der jetzige Herrscher glaubt wohl, daß ein neues Gesicht zu diesem Wandel im Himalaja-Land gehört. Er gab sich zuversichtlich, daß unter der Regentschaft seines Sohnes Bhutan mehr Prosperität erlangen wird, sich die Wünsche und Hoffnungen der etwa 700 000 Landsleute erfüllen werden und die »Sonne des Friedens und Glücks« heller als je zuvor erstrahlen wird. Damit können allerdings nur die buddhistischen Gläubigen gemeint sein. Denn die hinduistische Minderheit einst aus Nepal eingewanderter Bhutanesen fristet ein Dasein außerhalb der Landesgrenzen. Anfang der 90er Jahre schrieb der Monarch das schwärzeste Kapitel in der Geschichte des Landes, als er sie aus Bhutan vertreiben ließ, weil sie sich einem einheitlichen Kleidungs- und Sprachkodex widersetzten. Seitdem warten 100000 Flüchtlinge in Lagern im Osten Nepals auf ihre Rückkehr in die Heimat. Bis 2008 wird mit Sicherheit nicht über ihr Schicksal entschieden sein, und ob der neue König sich dann dieses Problems annimmt, darf angezweifelt werden.

Der König verkündete seinen unerwarteten Schritt in einer Ansprache zum Nationalfeiertag, bei einem Besuch in der Provinz Trashiyangtse, wo ihn mehr als 8000 Bürger begrüßten. Diese Gegend war mit Bedacht ausgewählt worden, weil hier die Entwicklungsbemühungen sichtbare Früchte getragen haben. Das beweisen ein Hospital, mehrere Gesundheitszentren, Schulen, Wasserleitungen für mehr als 2 500 Haushalte, eine Allwetterstraße, Bank, Post, 200 Kabel-TV-Anschlüsse und 127 Telefone. Kein Wunder, daß die Einheimischen begeistert vor der Herrscherfamilie Masken- und Volkstänze aufführten, sich im Tauziehen und Bogenschießen maßen. »Brot und Spiele« – diesem Konzept folgten schon die Kaiser im alten Rom.

* Aus: junge Welt, 20. Dezember 2005


Bhutans König will abdanken

Kronprinz soll im Jahr 2008 das Zepter übernehmen

Von Hilmar König, Delhi

Bhutans König Jigme Singye Wangchuck kündigte am Nationalfeiertag des kleinen Himalaja-Staates seine Abdankung im Jahre 2008 an. Das berichtete am Sonntag die in Thimbu erscheinende Tageszeitung »Kuensel«.

Die 8000 Yak-Hirten, Mönche, Bauern, Schüler und Dorfbewohner, die sich am 17. Dezember in der Ortschaft Trashiyangtse versammelt hatten, um der Rede des Monarchen zum Nationalfeiertag zu lauschen, glaubten zunächst, sich verhört zu haben. Hatte der König wirklich soeben von Abdankung gesprochen? Die Menge verharrte in ungläubigem Schweigen. Dann die Erläuterung: Der jetzt 25 Jahre alte Kronprinz Dasho Jigme Khesar Namgyal Wangchuck werde das Zepter übernehmen.

Der 50-jährige König will umgehend mit der Übertragung seiner Verantwortlichkeiten an den ältesten Spross aus seiner zehnköpfigen Kinderschar beginnen, die von vier Ehefrauen – alle Schwestern – stammt. Seine überraschende Entscheidung begründete der Herrscher mit den Worten: »Die beste Zeit, ein politisches System zu ändern, ist dann, wenn sich das Land Stabilität und Friedens erfreut. Warum auf eine Revolution warten? Warum einen neuen König erst dann krönen, wenn man den Tod des alten betrauert?« Den Hintergrund für diese Bemerkung bilden die für 2008 geplanten ersten Parlamentswahlen.

Seit 1998 teilt Wangchuck die bis dahin absolute Macht der im Jahre 1907 etablierten Erbmonarchie mit einer von ihm ausgewählten Regierung, einer Nationalversammlung und einem Beratergremium. Seit 2001 lässt der König eine Verfassung ausarbeiten. In Kürze soll eine Wahlkommission ernannt werden, die Wahlkreise festlegt und der Bevölkerung erklärt, was Wahlen sind und welchem Zweck sie dienen, und die schließlich auch das erste Votum im Jahre 2008 organisieren und überwachen wird.

Seit November bereist Wangchuck das 38 000 Quadratkilometer große Land und erklärt den etwa 700 000 Landsleuten die Kernpunkte des Verfassungsentwurfs. Dieser sieht ein Parlament vor, das aus 75 Volksvertretern der Nationalversammlung und aus 25 Mitgliedern eines Nationalrates besteht. Der König fungiert als Staatsoberhaupt, kann aber mit Zweidrittelmehrheit der Nationalversammlung für sein Vorgehen kritisiert und in Frage gestellt werden.

König Jigme, seit 33 Jahren auf dem Thron, ist der letzte Herrscher Südasiens (abgesehen vom Nachbarn Nepal, dessen Monarch im Frühjahr zur Diktatur zurückkehrte), der sich zu einem vorsichtigen, kontrollierten Kurs in Richtung Demokratie veranlasst sieht. Er hofft damit, das Land vor einer Überflutung durch äußere Einflüssen zu retten, die einzigartige Natur, die Kultur und die Bräuche der überwiegend buddhistischen Nation zu bewahren. Das Fernsehen wurde beispielsweise erst 1999 im »Land des Donnernden Drachen« eingeführt. Seit kurzem existieren Internetcafés. Die Einreise von jährlich etwa 6000 Touristen ist staatlich geregelt. Zwischen Bhutan und Indien bestehen seit Jahrzehnten vertragliche Kooperationsbeziehungen, vor allem in Wirtschaft und Handel. Die meisten der wenigen Industrieobjekte Bhutans entstanden mit Unterstützung des südlichen Nachbarn.

** Aus: Neues Deutschland, 20. Dezember 2005


Zurück zur Bhutan-Seite

Zurück zur Homepage