Chaos nach Letermes Rücktritt
Belgische Regierung stolpert über Affäre um die Fortis-Bank
Von Tobias Müller, Amsterdam *
Nach dem Rücktrittsgesuch der Regierung von Ministerpräsident Yves
Leterme hat Belgiens König Albert II. am Wochenende mit den
Parteiführern über einen Ausweg aus der Krise beraten, der in
vorgezogenen Neuwahlen 2009 liegen könnte.
Seit Tagen hatte es Gerüchte gegeben, die belgische Regierung habe
Einfluss auf die Justiz genommen und versucht, den Gerichtsprozess zum
Verkauf der Fortis-Bank zu beeinflussen. Nach Veröffentlichung eines
entsprechenden Berichts des Obersten Gerichtshofs trat erst der
Justizminister Jo Vandeurzen zurück, dann das gesamte Kabinett und
Ministerpräsident Yves Leterme reichte sein Rücktrittsgesuch ein.
Das besagte Verfahren untersuchte die Rechtmäßigkeit des Verkaufs des
belgischen Anteils des Bankversicherers Fortis im Oktober.
Kleinaktionäre hatten geklagt, sie seien vor der Übernahme durch die
französische BNP Paribas nicht konsultiert worden. In zweiter Instanz
hatten sie vor Wochenfrist Recht bekommen: Laut einem Berufungsgericht
muss der Verkauf bis zu einer Abstimmung der Aktionäre aufgeschoben
werden. Am Freitag nun bestätigte ein Gutachten des obersten belgischen
Gerichtshofs die Vorwürfe. Demnach versuchten Mitarbeiter von
Ministerpräsident Yves Leterme (Christdemokraten) und
Kabinettsmitglieder, das Urteil zu verhindern.
Das Dokument des Gerichtshofs konstatiert, es entstehe »mindestens der
Eindruck«, Mitarbeiter der Regierung hätten sich in den Prozess um den
Fortis-Verkauf eingemischt. Genannt wird ein Kontakt zwischen dem Mann
einer Richterin und Kabinettschef Hans D'Hondt am Tag vor der
Urteilsverkündung. Dabei hätte dieser seinem christdemokratischen
Parteikollegen »sehr heikle und vertrauliche Informationen« über den
richterlichen Beschluss weiter geleitet. D'Hondt, ein enger Mitarbeiter
von Ministerpräsident Leterme, habe diese Verletzung des
Berufsgeheimnisses nicht gemeldet.
Im Zentrum der Anschuldigungen steht auch der zurückgetretene
Justizminister: Vandeurzen schaltete demnach den Generalstaatsanwalt des
Brüsseler Berufungsgerichts ein, um die »dramatische Wendung« des Falles
mit einer erneuten Untersuchung zu verhindern. Diese Einmischung in
einen noch laufenden Prozess nennt der Bericht »höchst außergewöhnlich
und noch nie da gewesen«.
Dass ausgerechnet die Affäre um den Fortis-Verkauf die Regierung zum
Fallen bringen würde, hat eine gewisse Ironie. In ihrer von dauerndem
Krisenzustand gekennzeichneten neunmonatigen Amtszeit war dies die erste
Situation, in der sie Handlungsfähigkeit zu demonstrieren vermochte.
Zuvor hatten die Konflikte zwischen den belgischen Sprachgruppen die
Fünf-Parteien-Koalition aus Christdemokraten, Liberalen und frankofonen
Sozialisten mehrfach an den Rand des Abgrunds gebracht. Zuletzt hatte
Leterme im Juli seinen Rücktritt eingereicht, der von König Albert II.
aus Mangel an Alternativen jedoch abgelehnt wurde. Alberts Antwort auf
das jetzige Rücktrittsgesuch steht noch aus. Als wahrscheinlichste
Lösung gilt die Ernennung einer Übergangsregierung bis zu vorgezogenen
Neuwahlen im Juni 2009.
* Aus: Neues Deutschland, 22. Dezember 2008
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