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Unbeschwerter Königswechsel

Abdankung Alberts II. ruft keine Angst vor Zerfall Belgiens hervor

Von Kay Wagner, Brüssel *

Wenn König Albert II. am Sonntag sein Amt – in Belgien besitzen die Regenten weder Krone noch Zepter – an seinen Sohn Philippe übergibt, ist es das erste Mal in der Geschichte des Landes, dass ein König vor seinem Tod abdankt.

79 Jahre ist Albert II. im Juni geworden und schon länger gesundheitlich angeschlagen. Der Rücktritt von Papst Benedikt XVI. im Februar und der Thronverzicht von Königin Beatrix in den Niederlanden Ende April fachten die Diskussionen um seine mögliche Abdankung immer wieder an. Kenner des Königshauses wollen schon 2008 Äußerungen Alberts vernommen haben, wonach er sein Amt nicht unbedingt bis zu seinem Ableben ausüben wolle.

Doch er blieb. Wahrscheinlich aus politischen Gründen. Zwar spielt der »König der Belgier« praktisch keine politische Rolle – gewählte Regierungen führen das Tagesgeschäft. Doch denen fällt es oft schwer, dauerhaft regierungsfähige Mehrheiten auf nationaler Ebene – was hier föderale Ebene genannt wird – zu etablieren. Zwischen 2007 und 2011 herrschte Dauerkrise. Nach den Wahlen 2010 brauchte es 540 Tage, bis die neue Regierung stand. In solchen Zeiten ist es der König, der das Land zusammenhält. Er ist der ruhende Pol über den Politikern, deren Bemühungen er verfolgt und deren Beschlüsse er entweder annimmt oder ablehnt. Albert II. hat das immer gut gemacht, finden die Belgier – zumindest im südlichen Teil, in Wallonien.

Im nördlichen Flandern ist das etwas anders. Seitdem der niederländisch sprechende Landesteil in den vergangenen Jahrzehnten reicher als der französischsprachige Süden geworden ist, sieht man im König vor allem einen Kostenfaktor. Dass er das Land in Krisenzeiten zusammenhält, darüber freuen sich in Flandern nicht alle. Das Auseinanderbrechen Belgiens würden viele Flamen nicht bedauern, weil sie glauben, sie müssten das ärmere Wallonien durchfüttern. »Was wir alleine machen, machen wir besser«, ist das Motto der Flamen, die mehr Unabhängigkeit und sogar Selbstständigkeit in Form eines eigenen Staates fordern.

Die stärkste Partei Flanderns, die Nieuw-Vlaamse Alliantie (Neu-Flämische Allianz, N-VA), hat sich eben das auf ihre Fahnen geschrieben. Der Sieg bei der nächsten Föderalwahl im Mai 2014 scheint ihr nach derzeitigen Umfragen sicher. Davor zittern alle Belgier, die ihr Heimatland als Ganzes lieben. Denn was würde passieren, wenn die N-VA verfassungsrechtlich damit beauftragt werden müsste, eine Föderalregierung zu bilden?

An dieser Stelle käme wieder der König ins Spiel. Albert II. hat oft bewiesen, dass er solche Situationen meistern kann. Zwar liegt auch Sohn Philippe Belgien am Herzen, doch viele halten ihn für unreif. Zu blass und unerfahren wirkt der 53-Jährige. Deshalb hatten viele gehofft, dass Albert II. noch bis nach den Wahlen 2014 weitermachen würde. Ihm trauten alle zu, bei einem Sieg der N-VA das Land vor dem Bruch zu retten. Seinem Sohn nicht.

Jetzt, da klar ist, dass Philippe die sich abzeichnende nächste Staatskrise managen muss, sind diese Kritiker verstummt. Die Regierung unter dem Sozialdemokraten Elio di Rupo hat sich nämlich zuletzt mit einigen wichtigen Beschlüssen als schlagkräftig erwiesen. Unter anderem hat sie mit dem Abschluss der sechsten Staatsreform den Regionen des Landes, also auch Flandern, mehr Selbstbestimmung zugestanden. Viele werten das als Wirkungstreffer gegen die N-VA. Ob es langfristig hilft, ist aber fraglich. Zumindest in den Tagen vor der Amtsübergabe gab es wenig Störfeuer aus den Reihen der flämischen Nationalisten. Einem strahlenden belgischen Nationalfeiertag mit erstmaligem Königswechsel steht also nichts im Wege.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 20. Juli 2013


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