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Nach der Funkstille

Der Präsident von Belarus, Alexander Lukaschenko, taktiert im Krim-Konflikt, beschwört aber das Bündnis mit Rußland

Von Reinhard Lauterbach *

Eine ganze Woche herrschte nach dem Krim-Referendum in Minsk Funkstille. Erst am 23. März bequemte sich Präsident Alexander Lukaschenko zu einer Stellungnahme: Es könne einem gefallen oder nicht, aber es sei Tatsache geworden, daß die Krim zu Rußland gehöre. Belarus werde sich von seinem Bündnis mit Rußland nicht abwenden. Das klang so, als gäbe es im Prinzip durchaus Gründe für einen solchen Seitenwechsel. Und eine vollzogene Änderung der Staatsgrenzen als Tatsache anzuerkennen, ist das mindeste, was ein Beobachter mit zwei Augen im Kopf tun sollte. Die westliche Politik, die Rußland Sanktionen für den Fall weiterer Interventionen in der Ukraine androht, tut auch nichts anderes, als den Anschluß der Krim als Tatsache anzuerkennen, im Klartext: zur Kenntnis zu nehmen. Lukaschenkos Zurückhaltung ging noch weiter: Die russische Agentur RIA Nowosti zitierte den belarussischen Präsidenten mit den Worten, eine juristische Anerkennung könne »später« folgen; mit anderen Worten: Sie ist nach seiner Auffassung in seinem Statement nicht enthalten.

Mitte letzter Woche ließ eine weitere – aus Minsk nicht dementierte – Äußerung Lukaschenkos aufhorchen. Der ukrainische Interimspräsident Olexander Turtschinow teilte mit, der nördliche Nachbar habe angerufen und ihm mitgeteilt, daß das Territorium von Belarus für eventuelle Militäraktionen gegen die Ukraine nicht zur Verfügung stehe. Eine deutliche Aussage in einer Woche, in der sich die Tatarenmeldungen über angebliche russische Vorbereitungen zu einer Invasion in der Ostukraine jagten und sich die ukrainische Militärführung sicherlich Gedanken darüber machte, ob sie die Hauptstadt Kiew auch nach Norden – die Grenze zu Belarus liegt gerade 150 Kilometer entfernt – sichern müsse. Zumindest war es aus dem Munde Lukaschenkos ein deutliches »Bis hierher und nicht weiter« in Richtung Moskau. Mehr als die schon vollzogene Verstärkung russischer Luftstreitkräfte im belarussischen Luftraum als Antwort auf die AWACS-Patrouillen der NATO über Polen und Rumänien wollte er offenbar nicht zugestehen. Zur Rolle der ukrainischen Politik seit dem Maidan äußerte Lukaschenko, sie habe eine Menge Fehler gemacht – ein durchaus anderer Zungenschlag als die russische Sprachregelung, das Kiewer Regime als illegitim zu betrachten. Für Wiktor Janukowitsch, den ins russische Exil geflohenen Expräsidenten, hatte Lukaschenko einige Tage später nur Verachtung übrig. Anstatt um sein Amt zu kämpfen, habe er sich aus dem Staub gemacht. Das ist jenseits der Macho-Rhetorik, die Lukaschenko sowieso gern pflegt, ein implizites Eingehen auf die Legitimationslinie, mit der die Kiewer Machthaber die juristischen Verfahrensmängel bei der Amtsenthebung Janukowitschs rechtfertigen. Sie argumentieren mit einem angeblichen Machtvakuum, das die Flucht Janukowitschs hinterlassen habe. Und so ist auch Lukaschenkos Ankündigung, nach den Präsidentenwahlen mit der dann durch das Volk legitimierten ukrainischen Regierung Beziehungen zu pflegen, nicht weit von der Linie der EU entfernt, die in ihrem Drängen auf eine baldige Neuwahl implizit ebenfalls eine Beseitigung des staatsrechtlichen Schwebezustands in der Ukraine einfordert.

Die Äußerungen des belarussischen Präsidenten zeigen, daß die im Westen geläufige Vorstellung von Lukaschenko als Moskaus ergebenem Diener zumindest verkürzt ist. Zwar ist Belarus Moskaus einzig verbliebener formaler Alliierter in Osteuropa – wenn man von Armenien absieht. Lukaschenko ist sich jedoch dessen wohl bewußt und versucht, politisches und wirtschaftliches Kapital daraus zu schlagen. Seine wichtigste Sorge ist der eigene Machterhalt, nicht das Wohl Rußlands. So ist hinter den Kulissen von Bündnis und Zollunion seit Jahren ein Kleinkrieg über die Filetstücke der belarussischen Volkswirtschaft im Gange. Letztes Jahr kam es in diesem Kontext zu einem beispiellosen Konflikt beider Länder: Im Sommer kündigte die russische Firma Uralkali, Minderheitsaktionär des belarussischen Kaliproduzenten Belaruskali, ein Vertriebskartell auf und stieß ihre Anteile ab, mit der Folge, daß die Kalipreise – und mit ihnen die Gewinne des belarussischen Produzenten, der etwa 20 Prozent des belarussischen Staatshaushaltes finanziert – in den Keller gingen. Lukaschenko ließ daraufhin den örtlichen Uralkali-Vertreter mehrere Wochen lang inhaftieren. Er wurde erst freigelassen, als die Russen einwilligten, das Kartell wieder aufzunehmen, also nicht über den Preis mit Belaruskali zu konkurrieren.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 1. April 2014


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