Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Medienkrieg gegen Minsk

Westliche Journalisten vermuten Regierung von Belarus hinter U-Bahn-Attentat

Von Rainer Rupp *

Fast acht Monate nach dem schwersten Bombenanschlag in der jüngeren Geschichte Weißrußlands hat am Mittwoch (30. Nov.) in der Hauptstadt Minsk das Oberste Gericht Dmitri Konowalow und Wladislaw Kowaljow zum Tode verurteilt. Die beiden 25 Jahre alten Männer sind laut Urteilsspruch für das Blutbad im vergangenen April in der Metro von Minsk verantwortlich. Damals hatte es 15 Tote und mehr als 300 Verletzte gegeben. Ausschlaggebend für die Identifizierung des Haupttäters war eine Videoaufzeichnung aus der zerstörten U-Bahn-Station. Sie zeigte, wie er am Ort der Explosion eine Tasche abstellte und sich anschließend entfernte.

In den Wohnungen der beiden geständigen Täter waren »erdrückendes Beweismaterial« und andere Hinweise gefunden worden, die auch zu früheren Bombenattentaten in der ehemaligen Sowjetrepublik führten und zu denen sich die beiden 25 Jahre jungen Männer ebenfalls bekannt haben. Verbindungen zur kleinen, aber lautstarken außerparlamentarischen Opposition im Land, die mit dem offen erklärten Ziel des Re­gimewechsels vom Westen mit Geld und medialer Schützenhilfe unterstützt wird, konnten jedoch nicht gefunden werden.

Europaweit wurde das Minsker Urteil am Mittwoch von Politikern und Menschenrechtsorganisationen verurteilt. Aber nicht, weil es Zweifel an der Schuld der Täter gab, wie deutsche Medien zu suggerieren versuchen, sondern aus Protest gegen die Todesstrafe. Sie wird in Europa nur noch in Belarus exekutiert.

Folgt man der Berichterstattung deutscher Mainstream-Medien, so wurden in Minsk die falschen Leute zum Tode verurteilt. Als »Beweis« zeigte etwa das Erste Deutsche Fernsehen (ARD) in seinen Abendnachrichten die Mutter von einem der Verurteilten, der man viel Zeit gab zu beteuern, daß ihr Sohn zu nett ist, um so etwas getan zu haben. Er habe nur deshalb ein Geständnis abgelegt, weil er nach seiner Verhaftung geschlagen worden sei. Auch eine oppositionelle Bürgerrechtlerin kam zu Wort, die das Urteil kritisierte, ohne jedoch konkret zu werden.

Wie zu erwarten machen die Westmedien die eigentlich Schuldigen für das Blutbad ganz woanders aus, nämlich im Regierungsapparat von Minsk. Ausschlaggebend dafür waren offensichtlich Spekulationen im Internet. Daraus wurde dann die nachfolgende Meldung der deutschen Nachrichtenagentur dpa: »Bürger vermuten Geheimdienst hinter Attentat«. Demnach – so dpa weiter – »hält sich bei vielen die Meinung, daß der Geheimdienst KGB oder andere Kräfte im Machtapparat in das Blutbad verstrickt sein könnten«. In Internetblogs hätten Bürger die Ansicht geäußert, daß die politische Führung von Belarus nach dem Vorbild Josef Stalins »mit blutigem Staatsterror von der schweren Krise im Land ablenken wolle«. Auch diese Vorgabe wurde brav in den deutschen Fernsehnachrichten und in vielen Druckmedien wiederholt. Und hinter allem steckt natürlich Präsident Alexander Lukaschenko, der »letzte Diktator Europas«, wie er in jedem Bericht der gleichgeschalteten Medien genannt wird. Und welchen Grund sollte Lukaschenko für solch ein Verbrechen haben? Er wolle »Härte zeigen«.

* Aus: junge Welt, 2. Dezember 2011


Weißrussland: U-Bahn-Attentäter zu Todesstrafe verurteilt

Von Dmitri Babitsch, RIA Novosti *

Der Oberste Gerichtshof von Weißrussland hat die beiden Angeklagten (Dmitri Konowalow und Wladislaw Kowaljow) wegen des Bombenanschlags in der Minsker U-Bahn zum Tod durch Genickschuß verurteilt. Wegen des harten Urteils werden die Umstände des blutigen Anschlags wohl nicht endgültig geklärt werden können.

Wenn beide Verurteilte erschossen werden (möglich, weil Präsident Alexander Lukaschenko zu Begnadigungen nicht geneigt ist), wird niemand mehr die Fragen nach den Hintergründen des Anschlags beantworten können, bei dem 15 Menschen ums Leben kamen und mehr als 2000 verletzt wurden.

Es gibt sehr viele Unklarheiten bei den Motiven der Verurteilten und deren Fähigkeit, das ihnen zur Last gelegte Verbrechen auszuüben.

Was wollten junge Terroristen erreichen? Der Vorwurf der Anklage – “Destabilisierung der politischen Situation in Weißrussland” ist sehr schwammig. Destabilisierung? Für was? Um an die Macht zu kommen und nationalistische, linke oder extremistische Ideen zu verwirklichen? Es gibt keine Antwort auf diese Frage.

„Das Gehirn funktioniert nicht richtig“ – ist die einzige Erklärung vom weißrussischen Generalstaatsanwalt Grigori Wassilewitsch zu der blutigen Tat. Wassilewitsch hatte bereits im Mai (und das Oberste Gerichtshof am Mittwoch) betont, dass Konowalow dem medizinischen Gutachten zufolge bei der Vorbereitung und Ausübung des U-Bahn-Anschlags weder geistesgestört noch schwachsinnig ist oder an anderen psychischen Erkrankungen litt.

Mit einer Todesstrafe, die im heutigen Europa als absolut inhumane Bestrafung gilt, könnten die politischen Probleme von Präsident Alexander Lukanschenko gelöst werden.

„In den TV-Reportagen dominierten zuletzt Stimmen der Anklage. Auf den Straßen wurde das Mikrofon vor allem nur denjenigen gegeben, die die härteste Strafe für die Angeklagten forderten“, sagte der weißrussische Politologe Alexander Klaskowski.

In Weißrussland erinnern sich alle sehr gut daran, dass der Anschlag vom 11. April das Image des sichersten Landes der ehemaligen Sowjetunion endgültig zerstörte, das von Lukaschenko stets gepflegt wurde. Dieses Image war bereits zweimal beschädigt worden – bei den Anschlägen 2005 in Witebsk und 2008 in Minsk. Nach der Bombenexplosion in der Hauptstadt, bei der 59 Menschen verletzt wurden, begann in Weißrussland ein mehrmonatiger Fahndungsmarathon. Lukaschenko schwor zwar, die Schuldigen zu finden, hatte jedoch keinen Erfolg.

Der Schuldige wurde endlich gefunden. Nachdem Konowalow als Drahtzieher aller Anschlägen ausgemacht worden war, schüttelte Lukaschenko all seine Problemen ab. Es stellt sich aber heraus, dass der Attentäter beim ersten Anschlag noch keine 20 Jahre alt gewesen war.

„Diese Jungen mit ihrem Bildungsniveau hätten kaum so eine Bombe in einem ein Quadratmeter großen Keller bauen können“, sagte die weißrussische Menschenrechtlerin Ljudmila Grjasnowa, ehemalige Abgeordnete des Obersten Rats Weißrusslands.

Kowaljows Mutter bestreitet die Schuld ihres Sohnes und will Berufung einlegen.

Wie die Erfahrung zeigt, neigt Lukaschenko nicht dazu, Verurteilte zu begnadigen. Lukaschenko kam erst einmal einer Bitte um Begnadigung nach: 1996 wurde eine Todesstrafe durch 20 Jahre Haft ersetzt. Offiziell wurde nicht mitgeteilt, wer damals begnadigt worden war.

Laut Klaskowski hat Lukaschenko selbst bei seinem Flirtversuchen mit dem Westen zwischen 2008-2010 die Forderung von Straßburg abgewiesen, die zur Todesstrafe Verurteilten zu begnadigen. 2010 wurden sie erschossen.

Die Meinung des Verfassers muss nicht mit der von RIA Novosti übereinstimmen.

** Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 1. Dezember 2011


Zurück zur Belarus-Seite (Weißrussland)

Zur Medien-Seite

Zurück zur Homepage