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Wahlen in Bangladesch von Gewalt überschattet

Oppositionsanhänger versuchten die "Farce" zu verhindern / Mindestens 18 Menschen kamen ums Leben

Von Hilmar König, Delhi *

Bangladesch erlebte am Sonntag Parlamentswahlen inmitten von Gewalt und ohne Oppositionsparteien. Mindestens 18 Menschen kamen am Wochenende bei den Straßenschlachten ums Leben.

Höchst umstrittene Parlamentswahlen ohne Beteiligung der oppositionellen Parteien gingen am Sonntag in Bangladesch über die Bühne. Trotz strikter Sicherheitsvorkehrungen – über 400 000 Polizisten und Soldaten waren im Einsatz – wurden aus vielen Landesteilen Gewalt und Chaos gemeldet. Laut Agenturberichten kamen am Wochenende mindestens 18 Menschen bei Straßenschlachten zwischen Anhängern der verschiedenen Parteien und der Polizei ums Leben, darunter ein Wahlhelfer. Zahlreiche Menschen wurden verletzt. Mehr als 200 Wahllokale waren von Gegnern der Abstimmung in Brand gesteckt worden.

Wegen des Boykotts von 21 Parteien stand die regierende Awami-Liga von Premierministerin Sheikh Hasina Wajed von vornherein als Wahlsiegerin fest. Abgestimmt wurde nur über 147 der 300 Abgeordnetensitze, da es in mehr als der Hälfte der Wahlkreise keine Gegenkandidaten gab. Die oppositionelle Bangladesh Nationalist Party (BNP) und ihre Bündnispartner blieben der »skandalösen Farce«, wie sie das Votum bezeichneten, fern und riefen die Bevölkerung zur Wahlenthaltung auf. Entsprechend gering fiel die Beteiligung aus. Das gab auch Chefwahlkommissar Rakibuddin Ahmad zu. Insgesamt nahmen lediglich 11 der 41 registrierten Parteien teil, vor fünf Jahren waren es noch 38.

Letzte Meldung

Bei der Parlamentswahl in Bangladesch hat die regierende Awami-Liga erwartungsgemäß mehr als zwei Drittel aller Mandate gewonnen. Der Sieg der Partei von Ministerpräsidentin Scheich Hasina stand wegen eines Boykotts der Abstimmung durch die wichtigste Oppositionspartei BNP außer Frage.
Nach vorläufigen Ergebnissen der Wahlkommission kam die Awami-Liga auf 232 der 300 Parlamentssitze. Notwendig für die Regierungsbildung wären 151 Stimmen gewesen. Allein 127 Wahlkreise fielen an sie, weil die nationalistische BNP hier keine Gegenkandidaten aufgestellt hatte. Von den noch umstrittenen Mandaten gewann die Regierungspartei 105.
Die Beteiligung war ersten Angaben zufolge gering und lag mancherorts lediglich bei gut 20 Prozent.

(tagesschau.de, 06.01.2014)


Die Opposition begründete den Boykott mit der Weigerung von Premierministerin Hasina Wajed, Monate vor der Wahl zurückzutreten und die Abstimmung von einer unpolitischen, unabhängigen, neutralen Übergangsregierung aus Beamten und Technokraten organisieren zu lassen, wie das eine frühere Verfassungsbestimmung vorsah. Diese Regel gilt jedoch nicht mehr.

Führer der BNP unter der früheren Regierungschefin Khaleda Zia hatten ihre Anhänger vor der Wahl immer wieder aufgerufen, die Abstimmung zu verhindern, Geschäfte geschlossen zu halten und Straßen und Schienen zu blockieren. Tatsächlich gingen Dutzende Wahllokale in Flammen auf. In der Stadt Thakurgaon erlag der Vizechef eines Wahlbüros seinen schweren Brandwunden. Mehrere Angreifer starben durch Polizeikugeln. Wegen der Gewaltausbrüche wurde die Abstimmung in 183 der mehr als 18 000 Wahllokale ausgesetzt. Sie soll dort bis zum 24. Januar nachgeholt werden.

Iftekhar Zaman, Exekutivdirektor von Transparency International in Bangladesch, erklärte: »Diese Wahl hilft in keiner Weise, das Patt der letzten Monate zu beenden. Das Parlament wird ohne Opposition sein. Deshalb wird es eine große Legitimitätskrise geben.« Die »Dhaka Tribune« kommentierte drastisch, die Demokratie sei »von der Bratpfanne direkt ins Feuer« geraten. Wähler sprachen gegenüber BBC, das sei keine demokratische Übung gewesen, sondern eine »Krönung« Hasina Wajeds.

* Aus: neues deutschland, Montag, 6. Januar 2014


Das asiatische Wasserrad

Detlef D. Pries über politische und soziale Unruhen im Süden des Kontinents **

Seit Monaten erschüttern politische Konflikte die südasiatische Region. Bangladesch, Kambodscha, Thailand – Staaten, die Europas Medienöffentlichkeit nicht gar zu oft beschäftigen, drängen durch andauernde Protestbewegungen und Gewaltausbrüche in die Hauptnachrichten. Die Anlässe muten unterschiedlich an: In Bangladesch waren es Auseinandersetzungen um die Parlamentswahlen, die schon vor der Abstimmung mehr als 100 Menschenleben forderten. Eben solche Wahlen suchen Gegner der Regierung in Thailand zu verhindern, und sei es um den Preis eines Bürgerkriegs. In Kambodscha wiederum will die Opposition eine Wahlwiederholung erzwingen – und auf der Welle der Proteste versuchen Textilarbeiterinnen und -arbeiter ihre nur zu berechtigten Lohnforderungen durchzusetzen, geraten dabei aber ins Feuer der Sicherheitskräfte. Tatsächlich handelt es sich in allen Fällen um erbitterte Machtkämpfe. Ob an deren Spitze »Demokraten« oder »Königstreue«, gewesene Revolutionäre oder Nationalisten stehen: Kompromisse und geteilte Verantwortung sind den Anführern fremd, stets geht es ihnen ums Ganze, also um alle Macht im Staate. Denn die verspricht auch noch im ärmsten Land Wohlstand und Privilegien. Das Leid dagegen haben die Massen zu tragen, wie Brecht in seiner »Ballade vom Wasserrad« schrieb: »... für das Wasser unten heißt das leider nur: Dass es das Rad halt ewig treibt.«

** Aus: neues deutschland, Montag, 6. Januar 2014 (Kommentar)


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