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Turbulente "Wahlfarce" in Bangladesch

In den zwei Monaten vor der Abstimmung kamen über 140 Menschen durch Gewalt ums Leben

Von Hilmar König, Delhi *

Am Sonntag sind die Bürger Bangladeschs zu Parlamentswahlen aufgerufen. Die Opposition aber hat am 1. Januar eine landesweite »Blockade ohne Ende« proklamiert und spricht von einer »Wahlfarce«.

Seit Herbst 2013 durchlebt Bangladesch turbulente Zeiten. Für Unruhen und blutige Auseinandersetzungen sorgten zum einen die Richtersprüche eines sogenannten internationalen Kriegsverbrechertribunals: Das 2010 geschaffene Sondergericht verhängte eine Reihe von Todesstrafen gegen Kollaborateure, die im Unabhängigkeitskrieg 1971 aufseiten der pakistanischen Soldateska Verbrechen an Zivilisten verübt hatten. Die Verurteilten gehörten überwiegend der religiösen Partei Jamaat-e-Islami an.

Zur gleichen Zeit spitzte sich der erbitterte Machtkampf zwischen den beiden politischen Hauptrivalinnen des Landes zu: Premierministerin Sheikh Hasina Wajed (Awami-Liga) und Oppositionschefin Khaleda Zia (Bangladesh Nationalist Party – BNP). Erstere ist eine Tochter des ermordeten Staatsgründers Mujibur Rahman, die Zweite die Witwe des ebenfalls gewaltsam zu Tode gekommenen ehemaligen Präsidenten Ziaur Rahman. Beide Frauen wechselten sich wiederholt im Amt der Regierungschefin ab, das seit 2008 von Hasina Wajed besetzt wird.

Bei Zusammenstößen zwischen Aktivisten von Regierungs- und der Oppositionsparteien gab es Tote und Verletzte, zudem entstand unermesslicher Sachschaden. Der Inlandsverkehr auf Straßen, Schienen und Wasserwegen kam über weite Strecken zum Erliegen, die Wirtschaft wurde lahmgelegt.

Nun sollen Tausende von Soldaten und Polizisten sichern, dass wenigstens der Wahltag möglichst unblutig und gewaltlos abläuft. Denn eine Verschiebung der Wahlen schloss Premierministerin Hasina Wajed aus. In einer Fernsehansprache am Donnerstag erklärte sie, die Stimmabgabe finde »in Übereinstimmung mit der Verfassung und unter Regie einer unabhängigen und starken Wahlkommission« statt. Sie bedauerte den Boykott von 20 Parteien, darunter auch zwei aus ihrem eigenen Lager, und warf der BNP unter Khaleda Zia vor, die Bürger des Landes mit einer Serie gewalttätiger Streiks und Blockaden zu terrorisieren.

Die aus 18 Parteien bestehende Oppositionsallianz hatte den Rücktritt der Premierministerin und die Bildung einer unpolitischen, unabhängigen, neutralen Übergangsregierung aus Technokraten gefordert. Unter deren Regie sollte die Abstimmung am 5. Januar stattfinden. Frau Wajed aber hatte im November ein sogenanntes Allparteienkabinett gebildet – aus Politikern, die dem regierenden Bündnis angehören. Dieses Kabinett – so fürchtete die Opposition – würde der Awami-Liga als stärkster Kraft der Koalition Vorteile verschaffen und Hasina Wajed eine weitere Amtszeit sichern. Khaleda Zia sagte: »Diese Regierung ist illegal und undemokratisch. Sie sollte sofort zurücktreten.« Die Wahlposse wäre »der letzte Sargnagel zur Beerdigung der Demokratie« in Bangladesch. Was Hasina Wajed inszeniert habe, sei nichts anderes als eine Farce. Was die Opposition als »Gegenmittel« inszeniert hatte, kostete seit Anfang November allerdings über 140 Menschen das Leben.

Laut »Dhaka Tribune« stehen 1107 Kandidaten von 12 der insgesamt 41 registrierten politischen Parteien zur Wahl. 2008 waren es noch 1567 Kandidaten von 38 Parteien. 154 der 300 Parlamentssitze sind diesmal bereits vor der Abstimmung vergeben: Da die meisten Oppositionsparteien die Wahl boykottieren und die islamistische Jamaat-e-Islami nicht antreten darf, steht in der Mehrzahl der Wahlkreise nur ein Kandidat der Awami-Liga zur Auswahl. Die Wahlkommission erklärte diese 154 bereits zu Siegern. Die Mehrzahl der fast 92 Millionen Wahlberechtigten darf also gar nicht abstimmen.

Zu dieser »Farce« haben die BNP und ihre Partner mit ihrer Kompromisslosigkeit maßgeblich beigetragen. Sämtliche Versuche, Hasina Wajed und Khaleda Zia an einen Tisch zu bringen und eine einvernehmliche Lösung zu finden, scheiterten. Auch die Bemühungen des Staatspräsidenten und eines UN-Sonderbotschafters blieben erfolglos. Ohne Oppositionskandidaten werde die Wahl weder im Inland noch im Ausland als glaubwürdig eingeschätzt, erklärte Mujahidul Islam Selim, Chef der KP Bangladeschs, die sich am Boykott beteiligt. Tatsächlich sagten Wahlbeobachter der EU, des Commonwealth, der USA und Russlands ihre Teilnahme ab. Und einer Erhebung der »Dhaka Tribune« zufolge halten auch 77 Prozent der Befragten im Lande eine Abstimmung ohne Beteiligung der BNP für »inakzeptabel«. 41 Prozent gaben in der Umfrage an, sich dennoch an der Wahl beteiligen zu wollen.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 4. Januar 2014


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