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Mujib ist "Vater der Unabhängigkeit"

Gericht in Bangladesch entschied über Urheberstreit um Loslösung von Pakistan

Von Thomas Berger *

Es war Sheikh Mujibur Rahman und nicht General Zia-ur Rahman, der 1971 die Unabhängigkeit des vormaligen Ost-Pakistan erklärt hatte. Dies hat jetzt Bangladeschs zweithöchstes Gericht entschieden und einen jahrzehntelangen Geschichtsstreit beendet, denn der Gang zum Obersten Gerichtshof gilt als unwahrscheinlich.

Juristisch ist die Sache quasi vom Tisch, politisch noch lange nicht. Nur wenige in Bangladesch glauben, dass mit der Entscheidung von Bangladeschs High Court, Sheikh Mujibur Rahman zum Proklamator der Unabhängigkeit zu erklären, der Streit um die Urheberschaft beigelegt ist. Denn die heutige Oppositionsführerin Begum Khaleda Zia und etliche ihrer Getreuen werden kaum klein beigeben. Schließlich war es die Witwe von Zia-ur Rahman, welche die Mär genährt hat, ihrem 1981 ermordeten Mann, einst Oberbefehlshaber der als Guerilla operierenden Befreiungsarmee und später Präsident, käme das Verdienst zu, die Unabhängigkeit ausgerufen zu haben. Und zwar am 26. März 1971 über eine Radiostation in der Hafenstadt Chittagong, deren Ausrüstung auch im dortigen Zia-Museum zu sehen ist.

Bereits einen Tag zuvor, am 25. März, habe allerdings Mujibur Rahman in der Hauptstadt die Loslösung von Pakistan proklamiert, bestätigen jetzt noch einmal die Richter nach eingehender Prüfung der Zeitzeugnisse. Der Sieger der vorangegangenen Parlamentswahlen war unmittelbar nach der Rede festgenommen worden. Mit der Verhaftung mehrerer Spitzenpolitiker wollte die westpakistanische Elite damals die bengalische Unabhängigkeitsbewegung ihrer Führung berauben - eine Rechnung, die letztlich nicht aufging.

Unbestritten ist immerhin die Leistung Zias, in kurzer Zeit eine beachtliche Untergrundarmee aufgebaut zu haben. Diese hätte zwar allein gegen die westpakistanische Übermacht wenig ausrichten können, doch das Eingreifen der Inder auf Seiten der Freiheitskämpfer brachte diesen schließlich den Sieg und ermöglichte wenige Monate später die Staatsgründung.

Es sind die politischen Erbinnen der beiden großen Persönlichkeiten, deren persönlicher Zwist das bitterarme Land mehr als einmal beinahe in den Abgrund geführt hat. Für Premierministerin Sheikh Hasina Wajed, die Tochter von Mujib, ist das Gerichtsurteil Bestätigung und Imagegewinn, während ihre Kontrahentin Khaleda Zia eine Weile brauchen wird, um sich von der Niederlage zu erholen. Denn dies ist der Richterspruch in der Tat, lässt er doch keine Schlupflöcher offen. Für »illegal, nichtig und nicht verfassungsgemäß« werden alle Versuche erklärt, dem 1975 ermordeten Mujib das Verdienst der Unabhängigkeitsproklamierung absprechen zu wollen. Seine Würdigung in dieser Hinsicht habe noch klarer als bisher in den Lehrbüchern zu erfolgen, während missverständliche oder gar anderslautende Schriften zu entfernen seien.

Damit ist insbesondere ein Dokument aus dem Jahr 2004 gemeint. Die seinerzeit an den Schalthebeln der Macht sitzende Bangladesh Nationalist Party von Khaleda Zia hatte darin Zia-ur Rahman die Unabhängigkeitserklärung offiziell zugesprochen.

Dass jetzt die Richter gefragt waren, eine juristische Entscheidung in dem seit Jahrzehnten laufenden Geschichtsstreit zu treffen, geht auf die Klage zurück, die ein Veteran des Unabhängigkeitskrieges im April beim High Court eingereicht hatte. Das Thema hat große symbolische Bedeutung. Der immer wieder eskalierende Konflikt der beiden Spitzenpolitikerinnen hatte das Land oft gelähmt und die vielen sozio-ökonomischen Probleme lange überdeckt.

Seit dem Jahreswechsel regiert die Awami Liga von Premierministerin Hasina mit breiter Mehrheit im Parlament. Das Urteil gibt zusätzlich Auftrieb und ist ein Dämpfer für die Opposition. Diese kann aus dem Umstand, dass die Regierung bislang nur wenig zur Umsetzung ihrer zahlreichen Versprechen getan hat oder überhaupt angesichts der Rahmenbedingungen tun konnte, derzeit kaum politisches Kapital schlagen.

* Aus: Neues Deutschland, 25. Juni 2009


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