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Präsident Iajuddin Ahmed spielt mit dem Feuer

Bangladesh zwischen Generalstreik und Chaos - Regierung droht mit Einsatz der Armee

Im Folgenden dokumentieren wir zwei Artikel des Südasien-Korrespondenten Hilmar König, die an zwei Tagen hintereinander in zwei verschiedenen Tageszeitungen erschienen.



Gewalt droht in Bangladesch

Opposition blockiert Dhaka / Forderungskatalog an Präsidenten

Von Hilmar König, Delhi *


Bei gewalttätigen Protesten von Oppositionsanhängern in Bangladesch ist in der Landeshauptstadt Dhaka nach Behördenangaben mindestens ein Mensch getötet worden. Die Opposition sprach von drei Toten und zahlreichen Verletzten bei Auseinandersetzungen mit der Polizei.

Dhaka ist seit Sonntag vom Rest des Landes abgeschnitten, weil Anhänger der Awami-Liga sämtliche Straßen- und Bahnverbindungen sowie Wasserwege blockieren. Die von der Awami-Liga unter Sheikh Hasina Wajed geführte Allianz von 14 Oppositionsparteien machte damit ihre Drohung wahr, Transport, Verkehr und öffentliches Leben im Land ab Sonntag zum Stillstand zu bringen, wenn Staatspräsident Iajuddin Ahmed nicht seine Neutralität als Chef der Übergangsregierung unter Beweis stellt. Ahmed hatte am 29. Oktober selbst die Regierungsgeschäfte übernommen, nachdem eine von der Bangladesh Nationalist Party (BNP) geführte Viererkoalition und die Opposition sich nicht auf einen Kandidaten für den Posten eines Übergangspremiers geeinigt hatten und im Verlaufe von vier Tagen bei Zusammenstößen 28 Menschen ums Leben gekommen und etwa 2000 verletzt worden waren.

Die Übergangsregierung soll bis zu den Parlamentswahlen Anfang 2007 im Amt bleiben. Ahmeds Willkürakt stieß sofort auf Ablehnung der oppositionellen 14-Parteien-Allianz. Sie beschuldigte ihn, der BNP zu nahe zu stehen und deshalb die Vorwahlperiode nicht unparteiisch leiten zu können. Wenn er dennoch seine Neutralität beweisen wolle, müsse er einem Forderungskatalog der Opposition zustimmen.

Ahmed wechselte zwar ein paar Beamte aus und versprach, eine Reform der Wahlkommission einzuleiten. Doch die Hauptforderung, Chefwahlkommissar M. A. Aziz und dessen drei Stellvertreter abzusetzen, erfüllte er nicht. Aziz steht im Verdacht, Wahlfälschungen im großen Stil vorzubereiten. Nach Auffassung der Awami-Liga hat er bereits zehn Millionen »Geisterwähler« ins Wahlregister aufnehmen lassen.

Die ehemalige Premierministerin Begum Khaleda Zia, Vorsitzende der BNP, erklärte indessen kategorisch: »Wir werden keine Einmischung in Angelegenheiten der Wahlkommission dulden. Sie ist unabhängig.« Ihre Rivalin Sheikh Hasina Wajed äußerte dagegen, da der Präsident es versäumt habe, seine Neutralität unter Beweis zu stellen, bleibe kein anderer Weg, als die zeitlich unbegrenzte Blockade zu beginnen.

Richard Boucher, in Washington für Süd- und Mittelasien zuständig, hatte bei einem Aufenthalt in Dhaka versucht, die Wogen zu glätten, und an beide Seiten appelliert, keine Gewalt anzuwenden. Die USA seien für »freie und glaubwürdige Wahlen« in Bangladesch, versicherte er.

Sein Appell fand allerdings kein Gehör. Die BNP rief alle Mitglieder ihrer Koalition auf, Widerstand gegen die Blockade zu leisten. Das bedeutet gewöhnlich gewalttätige Auseinandersetzungen.

* Aus: Neues Deutschland, 15. November 2006


Showdown in Dhaka

Der Generalstreik in Bangladesch hält an. Präsident kündigt Einsatz der Armee gegen Demonstranten an

Von Hilmar König, Neu-Delhi **


Der landesweite Generalstreik, den die oppositionelle 14-Parteien-Allianz am Sonntag mit einer Blockade Dhakas begann, wurde am Montag fortgesetzt. Nicht nur in der Hauptstadt, sondern auch in allen anderen Städten Bangladeschs kam der Verkehr zum Stillstand, ruhte der Transport auf Straßen, Schienen und Wasserwegen, blieben Schulen, viele Betriebe und Büros geschlossen. Selbst der Hafen von Chittagong, über den 90 Prozent der Ex- und Importe des Landes laufen, stellte seinen Betrieb ein. Tausende Aktivisten der oppositionellen Awami Liga (AL) und deren Partner waren auf den Beinen, um Straßen zu sperren. Khaleda Zia, die Chefin der konservativen Bangladesh Nationalist Party (BNP), die bis zum 26. Oktober in einer Viererkoalition regierte, forderte ihre Anhänger auf, zurückzuschlagen, wenn sie angegriffen würden. Eskalation ist somit angesagt.

Pfeifen im Wald

In dieser brisanten Situation entschloß sich Präsident Iajuddin Ahmed, zugleich Chef der Übergangsregierung, zu einem Spiel mit dem Feuer. Bereits in der vergangenen Woche konsultierte er die Militärspitze über deren mögliche Rolle zur Beendigung der politischen Krise. Sonntag nacht berichtete das Fernsehen in Dhaka, die Übergangsregierung habe den Aufmarsch der Armee verkündet. In der Geschichte des erst 1971 unabhängig gewordenen Landes hat das Militär eine ziemlich unrühmliche Rolle gespielt. Das beweisen die Ermordung des »Vaters der Nation«, Sheikh Mujibur Rahman, im Jahre 1975 sowie etliche Militärputsche.

Die Generäle jetzt wieder in das politische Gerangel einzuspannen, könnte ein jähes Ende der ohnehin schwachen demokratischen Strukturen bedeuten. Deshalb klang es wie Pfeifen im Walde, als Abdul Jalil, der Generalsekretär der Awami Liga, am Sonntag seine Hoffnung ausdrückte, daß »unsere patriotischen Streitkräfte« es ablehnen, sich mißbrauchen zu lassen, um auf Kosten des Volkes die Interessen einer politischen Gruppe zu schützen. Gemeint ist die BNP.

Was sich auf der politischen Bühne des armen südasiatischen Landes gegenwärtig abspielt, ist ein vehementer Machtkampf zwischen dem Lager der rechten BNP, in dem sich auch etliche islamistische Gruppierungen wohlfühlen, und dem eher sozialdemokratisch orientierten Lager um die Awami Liga, in das auch Bangladeschs Linke integriert ist. Im Kern geht es darum, wer die nächsten Parlamentswahlen, die für Frühjahr 2007 vorgesehen sind, gewinnt. Die jetzigen politischen Strukturen begünstigen die BNP. Deshalb fordert die AL Reformen.

Am 27. Oktober hatte Khaleda Zia verfassungsgemäß ihr Amt als Premierministerin niedergelegt, um den Weg für eine Übergangsregierung frei- zumachen. Diese soll bis zu den Wahlen einen unparteiischen Kurs fahren und damit allen politischen Parteien gleiche Chancen in der Wahlkampagne gewährleisten. Doch schon der »Startschuß« erwies sich als Rohrkrepierer. Frau Zias Kandidat für den Posten des Chefs der Übergangsregierung, ein ehemaliger Chefrichter und einer der BNP-Gründungsväter, wurde von der 14-Parteien-Koalition mit einleuchtender Begründung abgelehnt: Dieser Mann hätte wegen seiner Nähe zur BNP nicht unparteiisch agieren können. Er verzichtete auf die Kandidatur, als nach vier Protesttagen und blutigen Auseinandersetzungen Ende Oktober 30 Tote und rund 2000 Verletzte zu beklagen waren.

Nun ergriff der Staatspräsident die Initiative: Am 29. Oktober installierte er sich selbst als Chef der Übergangsregierung. Da er mit Hilfe der BNP zum Staatspräsidenten gekürt worden war, bezweifelte die Opposition von Anfang an, daß er als provisorischer Regierungschef einen neutralen Kurs bis zu den Parlamentswahlen steuern könnte. Sie unterbreitete ihm einen Elf-Punkte-Forderungskatalog und setzen ihm ein Ultimatum, das nochmals bis zum Samstag verlängert wurde. Die wichtigsten Forderungen lauteten, die Wahlkommission zu reformieren, Chefwahlkommissar M. A. Aziz und seine drei Stellvertreter gegen honorige Personen auszutauschen und die von der BNP infiltrierte Polizei und Verwaltung zu entpolitisieren.

Millionen »Geisterwähler«

Iajuddin Ahmed wechselte zwar daraufhin ein paar Beamte aus und versprach, eine Reform der Wahlkommission einzuleiten. Doch ließ er die Wahlkommission unverändert. Aziz steht im Verdacht, Wahlfälschungen im großen Stil vorzubereiten. Nach Auffassung der Awami Liga hat er bereits zehn Millionen »Geisterwähler« in das Wahlregister aufnehmen lassen. Khaleda Zia erklärte kategorisch: »Wir werden keine Einmischung in Angelegenheiten der Wahlkommis­sion dulden. Sie ist unabhängig.« Da der Präsident es versäumt habe, seine Neutralität unter Beweis zu stellen, so äußerte AL-Chefin Sheikh Hasina Wajed am Samstag in Dhaka, bliebe keine andere Option, als den Streik zu beginnen und durchzuhalten, bis der Präsident nachgibt. Doch der scheint seinen Willen mit Hilfe des Militärs durchsetzen zu wollen. Bis ins völlige Chaos ist es nur noch ein Schritt.

** Aus: junge Welt, 14. November 2006


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