Abwracken bleibt billig
Knochenjob in der Giftküche: Regierung in Bangladesch versucht, mit neuem Gesetz Schiffsverschrottung zu kontrollieren
Von Thomas Berger *
Mindestens 700 Schiffe werden jährlich weltweit außer Dienst gestellt. Fachgerechte und umweltverträgliche Demontage ist dabei meist ein Fremdwort. Viele Eigentümer aus Westeuropa, den USA und Rußland, aber auch aus kleineren Industriestaaten wie Südkorea, lassen ehemalige Luxusliner, Erzfrachter und Öltanker nicht auf heimischem Boden zerlegen, sondern lagern die Drecksarbeit aus. Denn aus den abzuwrackenden Kähnen kann noch ein letzten Mal Profit geschlagen werden, wenn sie »zum reinen Materialwert« an Verschrotter aus Indien, Bangladesch, Pakistan und China verkauft werden. Nördlich von Chittagong, dem größten Hafen Bangladeschs, residieren zwischen Bhatiara und Sitakunda mehr als 70 Firmen, die zwischen einem Drittel und gut 40 Prozent dieser ausrangierten Schiffe auseinandernehmen.
Freude und Frust lagen für die Betreiber im vorigen Jahr eng beieinander. Einerseits wurde mit umgerechnet rund 700 Millionen Dollar ein Rekordgewinn eingefahren. Den teilten Eigentümer der Unternehmen und wenige leitende Angestellte unter sich auf. Die Masse der geschätzt 25000 bis 40000 Beschäftigten hat keine Erhöhung ihres Verdienstes gesehen, sondern schuftet weiterhin zum Hungerlohn ohne Arbeitsschutz auf den Verschrottungsplätzen. Da der geringe Lohn immer noch mehr ist, als viele Bauern im Landesnorden verdienen können, besteht an neuen Arbeitskräften jedoch kein Mangel. Die Männer nehmen selbst monatelange Trennung von ihren Familien in Kauf, um mit dem Geld Frau und Kinder durchbringen zu können. Mindestens 150000 Menschen leben direkt von der Schiffsverschrottung bei Chittagong.
Es ist fast genau ein Jahr her, seit Mitte März 2009 das zweithöchste Gericht des Landes den Firmen ein Ultimatum stellte. Wer keine Unbedenklichkeitsbescheinigung des zuständigen Umweltministeriums vorweisen könne, müsse dichtmachen, lautete das seinerzeit von vielen Umweltschutzverbänden als Meilenstein gefeierte Urteil. Da keine der Firmen je auch nur eine solche Bescheinigung beantragt hatte, stand die gesamte Branche vor dem Aus. Mindestens 10000 Arbeiter protestierten mit einer Menschenkette gegen den drohenden Verlust ihrer Jobs.
Vor dem Supreme Court, dem Obersten Gerichtshof des Landes, hatten die Verschrotter eine Fristverlängerung beantragt. Noch immer stehen Anträge auf eine grundlegende ökologische Zertifizierung der Abwrackplätze aus. Doch das neue Gesetz, das jetzt vorgelegt wurde, ist eine Art vorläufiger Kompromiß. Es soll zunächst sicherstellen, daß keine Schiffe mit Giftstoffen an Bord mehr die Küste anlaufen. Behördenmitarbeiter würden kontrollieren, daß jeder Ozeanriese, der bei Chittagong demontiert werden soll, zuvor als unbedenklich eingestuft wurde.
Vor allem Greenpeace, das genau Buch über gefährliche Schiffe führt, und die einheimische Organisation BELA (Bangladesh Environmental Lawyers Association) jubeln. BELA-Chefin Rizvana Hasan, die seit 2003 gegen den fortgesetzten sozialen und ökologischen Skandal an der Küste kämpft und gemeinsam mit Anwaltskollegen mit ihrer Klage das Gerichtsurteil erstritten hatte, verwies wie andere Aktivisten jedoch auf neue Risiken. Unklar ist, ob das Ministerium genügend geschultes Personal zur Verfügung haben wird, um die Kontrollen effektiv und und gründlich durchführen zu können. Und selbst wenn die Mitarbeiter über die entsprechende Qualifikation verfügten, bleibe die Gefahr bestehen, daß die Firmeninhaber die Kontrolleure bestechen. Angesichts der enormen Profite und der schlechten Entlohnung vieler Staatsdiener in Bangladesch sei dies aus der Portokasse der Abwrackunternehmen möglich. Daß das Gesetz ein Meilenstein ist, will kaum einer der Umweltschützer in Abrede stellen. Ihnen wäre aber weitaus lieber, die entsprechende Zertifizierung würde schon in den Herkunftsländern der zu verschrottenden Schiffe erfolgen und internationale Abkommen verschärft werden.
Den Branchenbossen genügt es nicht, mit den neuen Vorschriften eine Art Bestandsicherung ihrer Geschäfte erreicht zu haben. Am 22 Februar wurde eine Großkundgebung organisiert. Einmal mehr gab es eine kilometerlange Menschenkette, diesmal mit angeblich 30000 Teilnehmern. Allerdings wurde der Schwindel schnell entlarvt - BELA und anderen Gruppen wiesen nach, daß es sich um von den Firmen gekaufte Personen gehandelt habe, die englischsprachige Schilder hochhielten. Auch die lokale Presse war offenbar geschmiert worden.
Für die Beschäftigten nämlich ist die Neuregelung auch von Vorteil. Ob Quecksilber, Blei, Asbest oder hochgiftige Gase, die sich im Innern des Schiffsrumpfes bilden können - bisher waren sie solchen Risiken schutzlos ausgeliefert. Mindestens 1000 Todesopfer hat es in den vergangenen 20 Jahren allein unmittelbar bei Unfällen gegeben. Bislang nicht zu ermitteln war die Zahl derer, die wegen fortgesetzten Kontaktes mit toxischen Substanzen über Haut und Atemwege erst arbeitsunfähig wurden und später an ihren Erkrankungen starben. Die Firmeninhaber entlassen gnadenlos jeden, der wegen Krankheit oder Verletzung nicht mehr volle Leistung bringen kann - genügend Nachrücker gibt es ja. Allein 2009 wurden offiziell 26 Unfallopfer gezählt. Zuletzt am ersten Weihnachtsfeiertag, als auf einem Abwrackplatz, wo ein koreanischer Frachter zur Demontage lag, bei einer schwerem Explosion vier Männer getötet und 20 verletzt wurden.
* Aus: junge Welt, 3. März 2010
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