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Friedhof der Ozeanriesen

Nach Ultimatum an Bangladeschs Schiffsverschrotter ist Zukunft der Branche ungewiss

Von Thomas Berger *

In einer bahnbrechenden Entscheidung hat ein Gerichtshof in Bangladesch die Schließung all jener Schiffsabwrackfirmen verfügt, die keine gültige Umweltlizenz haben. Nördlich der Hafenstadt Chittagong könnte dies das Aus einer für Mensch und Umwelt hochgefährlichen Wirtschaftsbranche, aber auch den Verlust von 30 000 Jobs bedeuten.

Bhatiara, eine Kleinstadt im Verwaltungsbezirk Sitakunda, 20 Kilometer außerhalb der zweitgrößten Metropole des Landes. Das grüne Baby-Taxi, wie die Autorikschas alias Tuk-Tuk hier oft genannt werden, biegt von der Hauptstraße in einen unbefestigten Seitenweg ein. Hinter den Bäumen erhebt sich bereits von diesem Punkt aus sichtbar der Bug eines mächtigen Schiffsrumpfes. Ein paar Minuten später lichtet sich das Grün ringsum, und der Blick fällt auf eine ganze Reihe stählerner Leiber wie diesen, die hier vorerst ihre letzte Ruhestätte gefunden haben, bis nach einer Weile so gut wie nichts mehr von ihnen übrig sein wird. Willkommen auf dem zweitgrößten Schiffsfriedhof der Welt. Eine bizarre Kulisse, die sich über eine Gesamtlänge von mehr als acht Kilometern Strandlinie erstreckt.

Jede Kamera erweckt den Argwohn der hier Tätigen, vor allem jener, die in der Hierarchie etwas höher stehen. Seit Umweltorganisationen im Verbund mit den Medien die Abwrackplätze in Indien, Bangladesch und Pakistan in den vergangenen Jahren als tickende Zeitbombe ins Blickfeld der Weltöffentlichkeit erhoben haben, ist das Misstrauen groß. »Keine Fotos, mein Boss mag das nicht«, sagt ein Wachmann. Die Firmenleitung hier scheint sich ganz besonders abzuschotten, selbst der Gitterzaun ist durch Matten abgedichtet. Nur das Hämmern und Kreischen ist unüberhörbar.

Auf dem Gelände am Ende der kleinen Straße lässt ein etwas besser gekleideter Mann mittleren Alters die beiden Wächter schnell die Flügel des Gittertores zusammenziehen. Die Botschaft ist unmissverständlich: Besucher müssen draußen bleiben. Dafür führt uns auf dem benachbarten Platz ein jüngerer Mann bereitwillig bis zu der Linie, wo sonst das Wasser steht. Jetzt ist hier alles dunkelgrauer Schlamm, an manchen Stellen zu schmalen Wegen festgetreten, auf denen die Arbeiter leichtere Stücke von Bord bringen. Verschiedene Objekte liegen an Land aufgeschichtet und werden von zwei dürren Männern und einem Jungen auf einen Lkw geladen.

Keiner der Männer trägt Schutzkleidung

Der Blick bleibt an Schiffskörpern in unterschiedlichem Grad der Verschrottung hängen. Zwei Abwrackplätze weiter ist es ein mehrere hundert Meter langer Ozeanriese. Es könnte ein Kreuzfahrtschiff gewesen sein. Genau ist das nicht mehr erkennbar, weil die Aufbauen bereits sämtlich entfernt worden sind. Bei vielen Schiffen ist die Herkunft nicht mehr festzustellen. Nur ein paar Ziffern sind von der einstigen Kennung übrig. »Sie kommen von überall her, aus den USA, Russland, den Niederlanden«, sagt ein junger Mann.

Damit hat er recht: Schiffe aus aller Herren Länder, gerade auch den reichen Industrienationen, werden hier zur ewigen Ruhe gebettet, ihre Körper geplündert. Es gibt so vieles, was noch weiterverwendbar ist, eventuell Profit verspricht. Motoren, Generatoren, gesammelte Metall- oder Plastikteile werden teilweise noch im Ort verkauft. Oft ein Vielfaches dessen, was die Abwrackfirma für das Schiff bezahlt hat, kommt so am Ende in die Kasse.

Erkauft sind die Gewinne der etwa 70 Unternehmen mit einem ökologischen Desaster sowie akuten Gefährdungen, denen die Beschäftigten Tag für Tag ausgesetzt sind. Am Nachbarplatz bewegen gerade zehn oder zwölf Leute gemeinsam per Hand ein schweres Teil. Keiner der Männer hat Arbeitsschutzkleidung. Manche Arbeiter scheinen noch nicht einmal volljährig, andere wirken wie 60, obwohl sie wohl kaum in den Vierzigern sind. Es ist eine Schufterei, die im Monat mit umgerechnet höchstens 100 Euro entlohnt wird, Überstunden bereits eingerechnet.

Den Männern fehlt die Möglichkeit, gewisse Mindeststandards bei ihren Chefs einzuklagen. Wer nicht zu den vorgegebenen Bedingungen arbeiten will oder kann, wird eben ersetzt. Arme Schlucker, die jeden sich bietenden Job klaglos annehmen, gibt es schließlich genug. Besonders schlimm dran sind jene, die sich verletzen: Medizinische Versorgung ist nicht billig, zugleich bedeutet jeder Arbeitsausfall Totalverlust an Lohn. Bezahlt wird nur, wer da ist.

Lediglich 2000 Arbeiter, zu diesem Schluss kam das Team der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) bei verschiedenen Untersuchungen, sind fest angestellt. Die Masse von etwa 25 000 weiteren Beschäftigten hingegen ist auf Tagelöhnerbasis der Willkür der Aufseher ausgeliefert. Gleichwohl wären sie diejenigen, die unter einem verfügten Aus für einen Großteil der Branche am meisten zu leiden hätten. Kein Wunder also, dass fünf Tage nach dem Richterspruch 10 000 Beschäftigte mit einer zehn Kilometer langen Menschenkette dagegen protestierten.

Ökologisch bedenkliche Praxis

Auf dem benachbarten Abschnitt steigt dicker, schwarzer Rauch in die Höhe. Auf diesem Areal, das als einziges nicht komplette Verbotszone für neugierige Blicke ist, lagert am linken Rand eine Fülle rostiger Fässer. Aus einigen quillt eine schwarze Flüssigkeit, ergießt sich auf den Strand – ob es »nur« Altöl ist oder eine noch gefährlichere Substanz, lässt sich nicht feststellen. Mit unzähligen giftigen Stoffen kommen die Arbeiter in Berührung, ein großer Teil davon gelangt in Boden und Wasser. In einer Studie, die vom Institut für Meereswissenschaften der Universität Chittagong 2007 erstellt wurde, wiesen die Studenten extrem hohe Schwermetallkonzentrationen nach. Zudem belegen Daten, dass allein zwischen 1995 und 2005 150 Arbeiter bei Unfällen umgekommen sind, über 500 wurden verletzt.

Politik und Behörden in Bangladesch haben jahrzehntelang die Augen vor den katastrophalen Zuständen verschlossen. Mit Schmiergeldzahlungen ließen sich Kontrollen abwenden oder ihr Ausgang für die Firmen günstig beeinflussen. Doch nun schritten die Richter ein: Eine Order des High Court erging am 17. März an die nationale Umweltbehörde. Alle Betriebe, die binnen zwei Wochen nach Erhalt des Schreibens keine ökologische Unbedenklichkeitsbescheinigung vorweisen könnten, seien zu schließen. Künftig dürften keine umweltgefährdenden Schiffe mehr zur Verschrottung in Bangladeschs Gewässer einlaufen. Dies gelte besonders für solche, die auf der schwarzen Liste von Greenpeace stehen.

Der Bezug auf eine Umweltorganisation ist ein absolutes Novum, das Urteil als Ganzes darf als kleine Sensation gelten. Ausgelöst hat sie eine Gruppe ökologisch orientierter Anwälte. Im Verfahren kamen erschreckende Fakten zur Sprache. Die Umweltbehörde musste einräumen, dass für keinen der 36 Abwrackplätze ein Antrag auf ökologische Unbedenklichkeit eingegangen sei. Die Folge war ein deutlicher Rüffel des Gerichts an alle beteiligten Ministerien.

Die Nutzungsdauer eines Schiffes wird allgemein mit 25 Jahren angegeben. Weltweit werden jährlich etwa 700 von den früheren Besitzern an die Verschrottungsfirmen, meist in Entwicklungsländern, verkauft. Selbst wenn künftig nicht mehr 150 davon auf den Abwrackplätzen bei Chittagong landen, bedeutet dies nicht das Aus für die Branche. Denn beispielsweise im indischen Alang nördlich von Mumbai käme eine Schließung der Konkurrenz im Nachbarland manchen sogar gelegen. Noch ist der Ausgang des ganzen Falles aber offen: Die betroffenen Firmen haben angekündigt, vor Bangladeschs Obersten Gerichtshof, ziehen zu wollen. Zumindest so lange wäre die Weiterarbeit garantiert.

* Aus: Neues Deutschland, 7. April 2009


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