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Asmas und Mamatas Sorgen

Bangladesch: Auf dem Land und in der Metropole Dhaka hat der Klimawandel bereits eine akute Krise ausgelöst

Von Hilmar König, Delhi *

In zwölf Tagen beginnt in Kopenhagen die 15. Weltklimakonferenz. Während die Regierungen schon seit zwei Jahren um Emissionsreduktionsziele, Finanzhilfen und Formulierungen für ein neues Klimaschutzabkommen feilschen, zeitigt die Erderwärmung in vielen Regionen bereits dramatische Folgen. Das dicht besiedelte Bangladesch kämpft mit sich häufenden Überschwemmungen. Das Land gehört zu den am meisten vom Klimawandel gefährdeten Ländern der Welt.

Asma Khatun sitzt vor ihrem Zelt und wäscht mit trübem Meerwasser ein paar Küchenutensilien ab. Um die 25-jährige Witwe herum ein trostloses Bild: überbelegte Notunterkünfte so weit das Auge reicht. Dazwischen im Schmutz spielende Kinder. In den Flüchtlingslagern auf dem etwas höher gelegenen Teil der Gabura-Insel in der südlichen Satkhira-Region hausen seit Mai etwa 20 000 Menschen, nachdem der Wirbelsturm »Aila« über das Eiland toste. Er löschte Menschenleben aus und riss Deiche auf. Er verursachte Überflutungen und machte tausende Familien obdachlos. Er vernichtete die Ernte und verseuchte die Brunnen mit Meerwasser. »Wohin aber sollen wir gehen?«

»Bei jeder Gezeitenflut erleben wir hier wieder Land unter«, berichtet Abdul Khalik, Vertreter der Hilfsorganisation Oxfam. Bislang warte man vergeblich auf Schutz vor den Naturgewalten. Shofiul Alam Lenin, der Vorsitzende des Gemeinderates, ergänzt: »Wenn die Uferbefestigungen nicht höher und stärker gebaut werden, haben wir hier keine Chance mehr.« Das glauben auch viele der Lagerinsassen wie Asma Khatun: »Es ist nicht mehr möglich, hier weiter zu leben. Wir müssen unsere Heimat verlassen. Wohin aber sollen wir gehen?«

Wirbelstürme an den Küsten des Bengalischen Meeres sind nichts Ungewöhnliches. Doch ihre Frequenz hat zugenommen und wegen des unaufhörlich steigenden Meeresspiegels werden die Folgen immer verheerender. In den vergangenen 30 Jahren, so haben elf Messstationen Bangladeschs registriert, stieg der Meeresspiegel um 5 Millimeter pro Jahr. »Für uns ist der Klimawandel keine Bedrohung irgendwann in der Zukunft, sondern eine aktuelle Krise«, sagt Ahmadul Hassan vom Zentrum für Umwelt- und Geografische Informationsdienste. Bis zum Jahre 2050, so die alarmierende Perspektive der Wissenschaftler, werden jährlich 70 Millionen Menschen von Überflutungen und 8 Millionen von Dürre in verschiedenen Landesteilen betroffen sein. In der Monsun-Zeit werden Überschwemmungen große Abschnitte des Südwestens paralysieren. Laut der UN-Klimabehörde IPCC könnten bis 2050 etwa 17 Prozent der Landmasse Bangladeschs permanent verschwinden.

Gerade in den Überschwemmungsgebieten jedoch wird der sogenannte Monsun-Reis angebaut. Vom Meer ins Inland strömendes Salzwasser würde Ernten des Grundnahrungsmittels schwer beeinträchtigen und, wie Ahmadul Hassan unterstreicht, in einer der ärmsten Gegenden Elend und Arbeitslosigkeit für Millionen ohnehin Bedürftige noch verschärfen.

Umweltminister Hasan Mahmud, der in seinem Ressort eine gesonderte Abteilung zum Klimawandel einrichten will, erklärt: »Wir brauchen zehn Milliarden Dollar in den nächsten vier Jahren, um die Wucht des Klimawandels abzubremsen. Wir zahlen den Preis der CO2-Emissionen der reichen und der sich rasch entwickelnden Länder. Diese müssen uns entschädigen.« Bangladesch brauche Geld, um Deiche zu bauen und zu erhöhen, Flüsse auszubaggern, Straßen und tausende Flut- und Zyklonschutzbunker zu bauen, Waldschutzgürtel anzupflanzen.

Premierministerin Sheikh Hasina Wajed verwies beim jüngsten Welternährungsgipfel auf die »direkte Verknüpfung von Nahrungsmittelsicherheit und Klimasicherheit«. Ihr Land liefere dafür ein trauriges Beispiel. Vor dem Hintergrund der Preisspirale für Lebensmittel, der globalen Wirtschaftskrise und der deutlicher werdenden Folgen der Erderwärmung nehme das Problem des Hungers immer schärfere Konturen an. »Wenn Industriestaaten Milliarden Dollar bereitstellen können, um kollabierte Finanzmärkte zu retten, sollten sie dann nicht die Verpflichtung spüren, Millionen hungernden Menschen zu helfen?«, fragte die Regierungschefin.

Ständig überlaufende Abflusskanäle

In einem Slum in Dhaka, das zu den am meisten vom Klimawandel bedrohten Großstädten der Welt zählt, hat Mamata Begum große Probleme mit den sich häufenden Überschwemmungen. »Es wäre ein Geschenk des Himmels, wenn alle Abflusskanäle nicht ständig überlaufen würden und abgedeckt wären«, sagt die 45-Jährige. Mit Begriffen wie Erderwärmung und Klimawandel kann sie nichts anfangen, doch deren Effekte bekommt sie zu spüren. »Meine tägliche Sorge ist, dass meine Kinder etwas zu essen bekommen.«

* Aus: Neues Deutschland, 25. November 2009


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