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Schutz vor "Kinderehen"

Bangladesch: Flächendeckende Online-Registrierung von Geburten soll künftig Verheiratung minderjähriger Mädchen verhindern helfen und deren Rechte stärken

Von Thomas Berger *

Bangladesch will mit der flächendeckenden Einführung der Online-Registrierung von Geburten der weitverbreiteten Manipulation in Sachen Alter einen Riegel vorschieben. Behörden und Nichtregierungsorganisationen erhoffen sich durch die Maßnahme Unterstützung beim Kampf gegen Ehen mit Kindern. Zwar gibt es in dieser Hinsicht Fortschritte, doch noch immer werden in dem südasiatischen Land viele Mädchen von ihren Familien teils deutlich unter der gesetzlichen Altersgrenze von 18 Jahren verheiratet. So wurde erst kürzlich ein Fall aus dem ­Khustia-Distrikt im Westen des Landes öffentlich, als die Vermählung einer 15jährigen verhindert werden konnte. Die lokalen Behördenvertreter waren mißtrauisch geworden und hatten von den Eltern Beweise verlangt, daß ihre Tochter tatsächlich schon so alt ist wie behauptet. Solche kritischen Nachfragen sind bislang allerdings keineswegs die Regel.

Schulbesuch, Heirat, Eintragung ins Wahlregister oder die Verschickung noch nicht Volljähriger als Arbeitsmigranten ins Ausland – aus vielen Gründen machen Bangladeschis sich selbst bzw. ihre Kinder gern um ein oder zwei Jahre älter. Beim bisherigen System handschriftlicher Registrierungen reicht oft ein kleiner Betrag für den zuständigen Beamten, um das Geburtsdatum quasi mit amtlichem Segen zu »korrigieren«. Damit soll nun Schluß sein.

Erst 2004 ist in dem bevölkerungsreichen Staat per Gesetz überhaupt ein System der Registrierung aller Geburten und Sterbefälle eingeführt worden. Jahangir Kabir Nanak, der zuständige Minister in der Regierung, sagte Mitte Juli, inzwischen hätten fast 150 Millionen Einwohner eine Geburtsurkunde ausgestellt bekommen.

Seit der Einführung 2010 sind 55 Distrikte im Land sowie die diplomatischen Missionen im Ausland im Online-Systems erfaßt worden und 44 Millionen Registrierungen erfolgt. Minister Nanak gab nun als Zielmarke aus, innerhalb der nächsten zwölf Monate alle verbliebenen Lücken zu schließen. Ab Juli 2013 soll es keine handgeschriebenen Registrierungen mehr geben.

Eine staatliche Studie aus dem Jahr 2007 hatte ergeben, daß zwei Drittel der befragten jungen Frauen auf dem Lande im Alter zwischen 20 und 24 Jahren vor ihrem 18. Geburtstag verheiratet worden waren. Die Vereinigung der Frauenanwälte Bangladeschs verweist darauf, daß fast alle Mädchen ab zehn Jahren irgendwann Opfer sexueller Belästigung auf verbaler oder gar handgreiflicher Ebene werden, wie IRIN, das Informationsnetzwerk der Vereinten Nationen, Anfang Juli berichtete. Aus Angst vor Übergriffen werden sie von den Eltern früh verheiratet. Nichtregierungsorganisationen wie Plan International oder das UN-Kinderhilfswerk UNICEF fordern deshalb, daß neben den amtlichen Maßnahmen noch sehr viel mehr Aufklärung stattfinden müsse. Mit einer Geburtsurkunde mit dem realen Alter können Mädchen sich künftig immerhin effektiv gegen eine vorzeitige Verheiratung zur Wehr setzen, um etwa ihre Schulausbildung vollenden zu können. Ein Mittel gegen eine spätere von den Familien arrangierte Heirat ist das Dokument jedoch nicht.

* Aus: junge Welt, Freitag, 27. Juli 2012


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