Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Traurige, gottergebene Jungs

An den Koranschulen in Bangladesch lernen Kinder, den Spaß am Lernen zu verlieren

Von Caroline M. Buck *

Islamische Schulen, die Madrasen, sprießen in Bangladesch wie Pilze aus dem Boden. Der aus dem Land stammende Regisseur Shaheen Dill-Riaz hat diesem Phänomen seinen neuen Dokumentarfilm »Korankinder« gewidmet.

Mit einer Bevölkerungsdichte von rund 1000 Einwohnern pro Quadratkilometer ist Bangladesch der am dichtesten bevölkerte Flächenstaat der Welt und trotz eines kontinuierlichen Wirtschaftswachstums auch immer noch einer der ärmsten. Seit gut zwanzig Jahren ist der Islam Staatsreligion, und islamische Schulen, die Madrasen, gewinnen stetig an Boden. Wenn von 90 000 Schulen im Land 10 000 Madrasen sind, besteht entweder ein erhöhter Bedarf an religiöser Erziehung - oder es bleibt vielen Schülern aus Kostengründen schlicht nichts anderes übrig, als eine Madrasa zu besuchen, um zumindest einen minimalen Schulabschluss zu erreichen.

In einem Land, in dem die Alfabetisierungsrate nur rund 50 Prozent beträgt und die staatlichen Schulen nicht für jeden erschwinglich (oder zu schlecht ausgestattet) sind, können die Absolventen der Madrasen immerhin lesen - allerdings nicht das einheimische Bengali, sondern Arabisch, die Sprache des Koran, und die wenig mehr als phonetisch. Textverständnis oder gar Textexegese sieht der Madrasa-Stundenplan nicht vor. Stures Auswendiglernen und Rezitieren genügen den Ansprüchen, denn schon das reine Aufsagen gilt als gottgefällig, wo das aufgesagte Wort von Gott stammt. Und wenn es mal nicht so läuft mit Konzentration oder Sprachbegabung, hilft der Lehrer mit dem Schlagstock nach: Die Verse werden den Kindern buchstäblich eingebläut. Das pädagogische Konzept der Madrasen zerstört die Lust am Lernen.

Es sind traurige, gotterergebene Jungs, die Regisseur Shaheen Dill-Riaz, selbst aus Bangladesch gebürtig, in den Schulräumen und Schlafsälen ihrer Schulen filmte, »Korankinder«, deren einzige Kompetenz in der globalisierten Digitalgesellschaft einmal ihre wortgenaue Kenntnis eines frühmittelalterlichen Buches sein wird. Am Ende der Ausbildung werden sie als Hafez, als Lehrer oder Imam arbeiten können, materiell einigermaßen versorgt sein und der Familie den spirituellen Lohn einbringen, den christlich-abendländische Familien sich einst erhofften, wenn sie ihre nachgeborenen Söhne aufs Priesterseminar schickten oder die nicht heiratsmarktgängigen Töchter ins Kloster. Sie hätten alle eine gute Ausbildung westlichen Stils, erzählt ein erwachsener Gesprächspartner dem Regisseur, nur der jüngste Bruder, der habe weltlichen Gütern entsagen müssen und die Madrasa besuchen. Für das kollektive Seelenheil der Familie einzutreten, blieb am Jüngsten hängen.

Die besser ausgebildete Mittelschicht blickt auf die Madrasa-Absolventen herab, was deren Abneigung gegen alles »Verwestlichte« steigert und die soziopolitische Lagerbildung noch verstärkt. In letzter Instanz, sagt Dill-Riaz, sind die Engländer schuld an der Radikalisierung: Die Abkehr von westlichem Gedankengut war eine Folge der Kolonialzeit, ebenso wie die Gründung der fundamentalistischen Deoband-Bewegung, die heute in Indien die zweitgrößte islamische Hochschule weltweit unterhält, direkter Bezugspunkt der sunnitischen Missionsgemeinschaft Tablighi Jamaat im heutigen Pakistan mit ihrer enormen Breitenwirkung in der gesamten geopolitischen Region und bis nach Afghanistan und Europa. Terrorschulen, wie im Westen in den letzten Jahren gerne befürchtet, sind die Madrasen nach Dill-Riaz' Beobachtungen aber eher nicht. Jedenfalls nicht unmittelbar. Auf längere Sicht allerdings wird die erzkonservative, religiös-orthodoxe Geisteshaltung, der sie den Boden bereiten, für die einheimische Zivilgesellschaft und potenziell auch für alle Andersgläubigen gefährlich werden.

»Korankinder« läuft seit dem 4. Juni im Kino

* Aus: Neues Deutschland, 9. Juni 2009


Zurück zur Bangladesch-Seite

Zur Islam-Seite

Zurück zur Homepage