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"Beginn einer neuen Ära"

Nach 43 Jahren rollt zwischen Indien und Bangladesch seit Montag ein "Freundschaftsexpreß"

Von Hilmar König, Neu-Delhi *

Auf diesen Tag haben die Bengalen 43 Jahre lang gewartet. Am Montag, dem bengalischen Neujahrsfest »Poila Boishakh«, war es endlich soweit. Sie konnten wie in alten Zeiten, als ihre Heimat noch nicht geteilt war, wieder mit dem Zug von Dhaka, der Hauptstadt von Bangladesch, nach Kolkata (früher Kalkutta) reisen. In Kolkata gab Indiens Außenminister Pranab Mukherjee um 7.10 Uhr Ortszeit das Signal zur freien Fahrt für den prächtig geschmückten »Moitree-Expreß«, den Expreß der Freundschaft. Eine gute Stunde später setzte sich in Dhaka das bangladeschische Pendant gleichen Namens in Bewegung.

Die bemerkenswerte vertrauenbildende Maßnahme wird von den Regierungen Indiens und Bangladeschs als »historisches Ereignis« bewertet. Immerhin dauerte es fast ein halbes Jahrhundert, bis man sich zu diesem Schritt durchringen konnte. Zur Zeit der Unabhängigkeit Indiens im Jahre 1947, als Bengalen in den indischen Unionsstaat Westbengalen und Ostpakistan geteilt wurde, verkehrte ein Nachtzug zwischen beiden Metropolen. Auch nach der Teilung blieben drei Zugverbindungen zwischen dem damaligen Kalkutta und Städten im östlichen Bengalen bestehen. Dem indisch-pakistanischen Krieg von 1965 folgte dann aber die totale Abkopplung.

Nachdem sich die Bengalen im Ostteil 1971 mit indischer Hilfe von der Herrschaft Pakistans befreit hatten, kam für kurze Zeit der Frachtverkehr auf der Schiene wieder in Gang. Doch erst seit 2000 besteht diese Verbindung permanent. 2001 unterzeichneten beide Seiten ein Abkommen über die Wiederaufnahme des Personenverkehrs, das angesichts gespannter bilateraler Beziehungen jedoch in den Schubladen Staub ansetzte. Im Januar 2007 wechselte in Dhaka die Regierung. Drei Monate später signalisierte sie Bereitschaft, dem Abkommen neues Leben einzuhauchen. Dieser Prozeß endete jetzt im April 2008 mit der Vereinbarung etlicher Zusatzklauseln. Sie beziehen sich vorwiegend auf Sicherheitsmaßnahmen, das Grenzregime, Zoll- und Einreiseformalitäten. Am Samstag waren am indischen Streckenabschnitt Sprengsätze entdeckt und entschärft worden, was die Existenz von Gruppen belegt, denen die Verbesserung des Nachbarschaftsverhältnisses ein Dorn im Auge ist.

Die reine Fahrzeit für die 538 Kilometer lange Strecke beträgt mindestens acht Stunden. Das schreckt künftige Passagiere, darunter zahlreiche Angehörige getrennter Familien, aber nicht ab. Als am Freitag die Fahrkartenschalter öffneten, standen bereits Tausende in den Warteschlangen. Der »Moitree-Expreß« ist eine erschwingliche Alternative zum bestehenden Flug- und Busverkehr. Beide Seiten sprachen vom »Beginn einer neuen Ära« für und einem Beispiel der Kooperation, wie sie von der Südasiatischen Assoziation für Regionalzusammenarbeit (SAARC) angestrebt wird.

* Aus: junge Welt, 15. April 2008


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