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"Schlächter" hingerichtet

Gewaltausbruch nach Tötung von Kriegsverbrecher in Bangladesch

Von Hilmar König, Delhi *

Mit Gewalt reagierten am Freitag in Bangladesch Anhänger der Partei Jamaat-e-Islami (JeI) und ihrer Studentenorganisation Chhatra Shibir auf den Vollzug der Todesstrafe für Abdul Qader Mollah.

Wegen Verbrechen im Befreiungskampf von 1971 wurde Abdul Qader Mollah am Donnerstagabend (Ortszeit) trotz Protesten der UNO, der USA, der EU, von Amnesty International und anderen Menschenrechtsgruppen in einem Gefängnis der Hauptstadt Dhaka gehängt.

Die daraufhin einsetzenden Gewaltausbrüche forderten bis Freitagnachmittag mindestens acht Todesopfer. Hunderte Bürger wurden beim Wüten der Jamaat-e-Islami (JeI) verletzt. Über 100 Autos und Busse gingen in Flammen auf. Geschäfte, Bahnhöfe, Tankstellen, Banken und Wohnhäuser wurden demoliert. Die Islamisten hatten schon Tage vor der Hinrichtung mit einem Bürgerkrieg gedroht.

Der 65-jährige Abdul Qader Mollah spielte als junger Mann eine unrühmliche Rolle bei der Befreiung Ostpakistans, wie Bangladesch vor 1971 hieß. Er kollaborierte, wie ein 2010 eingerichtetes sogenanntes Internationales Kriegsverbrechertribunal feststellte, mit den pakistanischen Besatzern und beteiligte sich an Massakern unter Zivilisten, an Vergewaltigungen und anderen Verbrechen. Wegen seiner Bluttaten bekam er den Beinamen »Schlächter von Mirpur«. Seiner Familie soll er zum Abschied gesagt haben, er sei »stolz, ein Märtyrer für die Sache der islamischen Bewegung zu sein«.

Bangladesch erklärte am 16. Dezember 1971 seine Unabhängigkeit von Pakistan. Die bengalischen Freiheitskämpfer »Mukti Bahini« hatten mit Unterstützung der indischen Streitkräfte die 90 000 Mann starke Armee Pakistans besiegt. Drei Millionen Menschen kamen in diesem Krieg ums Leben, zehn Millionen Flüchtlinge retteten sich nach Indien. Das Sondergericht hat bislang zehn Angeklagte verurteilt, acht davon zu einer Todesstrafe. Qaders Hinrichtung, die von Anhängern der Regierungspartei Awami Liga und ehemaligen Freiheitskämpfern öffentlich gefeiert wurde, war die erste.

Die Regierung ist mit diesem Akt bewusst ein hohes Risiko eingegangen, denn die ohnehin turbulente Lage kann sich damit weiter zuspitzen. Ein Eingreifen der Armee ist nicht ausgeschlossen. Seit rund einem Monat jagt ein politisch motivierter Streik den nächsten, begleitet von Blockaden der Straßen, der Schienen- und Wasserwege sowie von Gewaltausbrüchen. Dabei wurden seit Anfang November mehr als 50 Menschen getötet.

Eine aus 18 Parteien bestehende oppositionelle Allianz, in der die Bangladesh Nationalist Party die Hauptrolle spielt und zu der auch die JeI gehört, fordert den Rücktritt von Regierungschefin Hasina Wajed. Sie hat eine »Allparteien-Übergangsregierung« gebildet, der aber fast nur Mitglieder ihrer Partei angehören. Die Opposition verweigert ihre Mitarbeit in diesem Gremium und verlangt eine neutrale Regierung aus Bürokraten und Technokraten, die bis zu den fälligen Parlamentswahlen im Januar die Geschäfte führt. Bei in den letzten Tagen angebahnten Gesprächen beharren beide Seiten aber bislang stur auf ihren Positionen.

Bangladesch taumelt in die nächste Ungewissheit, denn für Sonntag hat die Jamaat-e-Islami zu einem sicherlich nicht friedlich verlaufenden Generalstreik aufgerufen.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 14. Dezember 2013


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