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Krise in Hillary Village

Bangladesch: Frauenrechtlerin Farida Akhter wendet sich gegen westliche Scheinlösungen für Entwicklungsländer. Scharfe Kritik an »grüner Revolution« und Mikrokrediten

Von Gerhard Klas *

Bangladesch ist hierzulande Thema, wenn ein Militärputsch stattfindet oder sich eine Naturkatastrophe ereignet, inzwischen oft auch, wenn es um die Ausbeutung der überwiegend weiblichen Belegschaften von Textilfabriken geht. Daß es in diesem Land auch eine starke Frauen- und Bauernbewegung gibt, kommt jedoch kaum zur Sprache. Die Wissenschaftlerin Farida Akhter engagiert sich seit Jahrzehnten auf beiden Gebieten – und vielen weiteren. Mit ihrem in diesem Jahr in deutscher Übersetzung erschienenen Buch »Samenkörner sozialer Bewegungen« hat sie eine Art Geschichte der sozialen Bewegungen ihres Landes vorgelegt, deren Motive analysiert und in einen globalen Zusammenhang gestellt.

Akhter ist Leiterin der Nichtregierungsorganisation Ubinig. Deren bescheiden eingerichtete Zentrale befindet sich in Dhaka, der Hauptstadt Bangladeschs. Dort unterhält Ubinig auch ein Frauencafe und einen Buchladen. Wenn die mehr als zwei Dutzend Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter morgens ins Haus kommen, beginnen sie ihren Arbeitstag mit den Liedern. Die Texte handeln von der Verbundenheit der Menschen mit der Natur und den Kräften der Zerstörung, denen sie ausgesetzt sind: Klimawandel, Gentechnologie, Mikrokredite, Bevölkerungskontrolle und Raubbau an der Natur.

Das westliche Entwicklungsparadigma lehnt Farida Akhter ab. Wie wenig tauglich zum Beispiel der Begriff des Empowerments – der Frauen-»Ermächtigung« – teilweise ist, macht sie an konkreten Geschichten deutlich. Ein Absatz in ihrem Buch heißt »Hillary hat keine Kuh«. Die damalige Präsidentengattin Hillary Clinton besuchte Mitte der 90er Jahre ein bengalisches Dorf, um sich über das Empowerment von Frauen durch Mikrokredite der Grameen-Bank zu informieren. Clinton fragte Indikatoren ab: Verdienst du eigenes Geld, gehen deine Kinder zur Schule, besitzt du eine Kuh. Letzteres gilt in Bangladesch als wichtiger Vermögenswert. Die meisten Frauen bejahten die Fragen, denn Grameen-Gründer Muhammad Yunus führte der Politikerin nur erfolgreiche Kreditnehmerinnen vor. Dann durften die Frauen Fragen stellen. »Hast du eine Kuh?«, wollten sie als erstes wissen. Die Frau des Präsidenten der reichsten Nation der Welt mußte verneinen. Die Geschichte zeige, »daß Empowerment eine sehr relative Angelegenheit ist, die man nicht einheitlich definieren kann«.

Heute sind viele der Kreditnehmerinnen in »Hillary Village«, wie das Dorf seit dem Clinton-Besuch genannt wird, völlig überschuldet. Farida Akhter wehrte sich schon als Studentin gegen die Anmaßungen westlicher Entwicklungsprogramme. In den 70er Jahren engagierte sie sich als führendes Mitglied der Frauenbewegung gegen Bevölkerungskontrolle und Familienplanung. Denn in Bangladesch wurde sie unter anderem mit Hilfe von Versuchsreihen transnationaler Pharmakonzerne und sogar durch Zwangssterilisationen umgesetzt. Akhter wurde so schon früh mit der Doppelmoral westlicher Entwicklungspolitik konfrontiert. Denn nicht besinnungslose Massenproduktion und entsprechender Konsum in den Industrieländern und der dadurch verursachte Raubbau an den globalen Ressourcen galt und gilt ihr nicht als Problem – aber »Überbevölkerung« in armen Ländern. Als 1978 in England das erste Retortenbaby zur Welt kam, war dies für Farida Akhter ein Beleg für die westliche Doppelmoral: In Entwicklungsländern mit ethisch mindestens fragwürdigen Mitteln gegen die Vermehrung der Menschen vorzugehen – und in der westlichen Hemisphäre ein Recht auf leibliche Nachkommen zu konstruieren, koste es, was es wolle. Chemie-, Pharma- und Medizinkonzerne profitieren von beiden Entwicklungen. Akhter geht in ihren Publikationen aber auch auf die negativen körperlichen und seelischen Folgen ein, die etwa das Verfahren der In-Vitro-Befruchtung für Frauen hat, die sich dem unterziehen – und auf die Quasi-Schöpferrolle, die sich die meist männlichen Spezialisten dabei anmaßen.

Akhter engagiert sich außerdem gegen die »Grüne Revolution« in der Landwirtschaft, die mit dem Einsatz von Kunstdünger, Breitbandpestiziden und kommerziellem Saatgut den Kleinbauern in Bangladesch großen Schaden zufügte. Von all diesen Kämpfen berichtet ihr Buch. Auch von Schwächen und Niederlagen: »Die meisten Nichtregierungsorganisationen lassen sich auf Dinge ein, die der Westen ihnen vorgibt«, kritisiert die Frauenrechtlerin. In den 80er Jahren sei es die Familienplanung gewesen, in den 90ern der Verkauf von Mikrokrediten. »Wenn man heute Entwicklungsgelder für ein Frauenprogramm haben will, muß man auch Mikrokredite anbieten«, so Akhter. »Mit Frauenrechten hat das nichts zu tun. Eine Frau ist nicht emanzipiert oder empowert, nur weil man ihr Geld gibt.«

Farida Akhter lehnt Dinge aber nicht aus Prinzip ab. Sie begründet ihre Ansichten – und zeigt Alternativen auf, die sie auch praktisch fördert. In vielen Dörfern hat sie mit ihrer Organisation Saatgutbanken aufgebaut, die lokale Sorten vor dem Aussterben bewahren und ihren Anbau fördern. Es sind die Frauen aus den Dörfern, die diese Banken verwalten und pflegen. Die Menschen in Bangladesch, so Akhter, wissen um die Lösungen für ihre Probleme. Für den Westen sei es an der Zeit, sich endlich für die oft verheerenden Folgen seiner »Entwicklungs«politik zu entschuldigen. Das Buch bietet einen kompetenten Einblick in eine hierzulande wenig beachtete politische Sphäre. Einen Einblick, der mit vielen Illusionen aufräumt. Die Hoffnung hat Farida Akhter deshalb noch lange nicht aufgegeben. Samenkörner sind für sie die »Metapher für Ideen, die im Rahmen verschiedener Bewegungen des Widerstandes entstehen, um die Gegenwart in eine glücklichere Zukunft zu transformieren«, erklärt sie zu dem Titel ihres Buchs.

Farida Akhter: Samenkörner sozialer Bewegungen – Frauenbewegungen und andere Bewegungen in Bangladesch und weltweit. Centaurus Verlag, Freiburg 2011, 300 Seiten, 22,80 Euro * Hrsg. von Maria Mies

* Aus: junge Welt, 23. Dezember 2011


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