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Eskalation in Bangladesch

Konfrontation zwischen Opposition und sozialdemokratischer Regierung fordert immer mehr Opfer. Kommunistische Partei und Nationalisten drohen mit Wahlboykott

Von Hilmar König, Neu-Delhi *

Die Serie gewalttätiger, politisch motivierter Streiks in Bangladesch reißt nicht ab. Die Opposition hat ihre Blockade der Straßen, Schienen und Wasserwege vorerst bis zum Donnerstag verlängert. In den vergangenen zehn Tagen kamen über 30 Menschen ums Leben. Randalierer hatten unter anderem in der Hauptstadt Dhaka einen Brandanschlag auf einen Bus verübt. Neun Passagiere starben, 37 brauchen weiterhin medizinische Hilfe. Das chaotische Bild vervollständigten Dutzende demolierte Autos, abgefackelte Eisenbahnwaggons, brennende Geschäfte, Sprengstoffanschläge und bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Anhängern der Opposition und der Koalitionsregierung. Die Polizei griff mit Gummigeschossen und Tränengas ein. Es fuhren weder Überlandbusse noch Züge.

Die aus 18 Parteien bestehende Oppositionsallianz, die von der Bangladesh Nationalist Party (BNP) unter Expremierministerin Khaleda Zia angeführt wird, verlangt den Rücktritt der amtierenden sozialdemokratischen Regierungschefin Hasina Wajed und die Bildung einer neutralen Übergangsregierung aus Technokraten und Bürokraten. Unter deren Regie soll die für den 5. Januar angesetzte Parlamentswahl vorbereitet und durchgeführt werden. Solange Wajed im Amt ist, will die BNP zu der Abstimmung nicht antreten. Die Registrierung der Kandidaten endete am Montag ohne Bewerber der Nationalisten und ihrer Partner.

Mitte November hatte Wajed ein sogenanntes Allparteienkabinett gebildet. Es besteht überwiegend aus Politikern, die der gegenwärtigen Regierungskoalition aus 14 Parteien angehören. Die Opposition befürchtet, diese Zusammensetzung würde der Awami-Liga als stärkster Kraft in der Regierungskoalition Vorteile für die Wahlen verschaffen und der Ministerpräsidentin eine weitere Amtszeit sichern. Sie lehnte eine Mitarbeit an dem Gremium deshalb strikt ab und drohte mit Boykott.

Auch die Kommunistische Partei Bangladeschs wird sich laut einem Bericht der Zeitung The Daily Star nicht an dem Votum beteiligen. »Ohne Konsens unter den politischen Parteien sind Wahlen nicht akzeptabel«, erklärte Parteichef Mujahidul Islam Selim vor der Presse in Dhaka. Er kritisierte, daß die Wahlkommission und die Regierung den Abstimmungstermin selbstherrlich entschieden hätten. Ohne Teilnahme der Opposition werde das Votum zur Farce und weder im Inland noch im Ausland Anerkennung finden. Zugleich verurteilte Selim den Vandalismus und die Anarchie der Oppositionsallianz. Inzwischen deutete der Leiter der Wahlkommission, Kazi Rakibuddin Ahmad, an, daß das Votum verschoben werden könnte, wenn beide Seiten zu einem Kompromiß kämen.

Doch dafür gibt es bislang keine Anzeichen. BNP-Chefin Zia und Premierministerin Wajed sind erbitterte Rivalinnen. Seit Monaten haben sie nicht miteinander geredet. Versuche von Staatspräsident Abdul Hamid, zwischen den beiden Widersacherinnen zu vermitteln, schlugen fehl. Ebenso wenig Wirkung zeigten Appelle des UNO-Generalsekretärs Ban Ki Moon und der EU, durch Dialog eine politische Lösung zu finden und eine friedliche, transparente und glaubwürdige Wahl zu ermöglichen. Im Gegenteil, die Fronten scheinen sich von Tag zu Tag weiter zu verhärten. Zia beschuldigt die Awami-Liga, ein »undemokratisches Umfeld« geschaffen und die Opposition zum Widerstand gezwungen zu haben. Das Interimskabinett sei illegal. Wajed konterte, die Opposition wolle die Wahl mit »Terror und Massenmord« verhindern.

* Aus: junge welt, Mittwoch, 4. Dezember 2013


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