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Blutige Bilanz in Bangladesch

Tote bei politischen Unruhen / Präsident führt Interimsregierung

Von Hilmar König, Delhi *

Die Bilanz eines turbulenten Wochenendes in Bangladesch wies mindestens 21 Tote und rund 500 Verletzte aus. Am späten Sonntagabend (29. Oktober 2006) wurde in der Hauptstadt Dhaka eine Interimsregierung installiert.

Präsident Iajuddin Ahmed übernahm am Sonntag die Leitung einer Übergangsregierung, nachdem die beiden großen politischen Parteien sich nicht auf einen Chef des Interimskabinetts einigen konnten, das Parlamentswahlen im Januar vorbereiten soll.

Die Bildung einer solchen Regierung beziehungsweise die Ernennung eines provisorischen Regierungschefs bildete den Stein des Anstoßes und gab Anlass zu gewalttätigen Protesten in Dhaka und anderen Städten. Premierministerin Begum Khaleda Zia war, wie es die Verfassung festlegt, in der vorigen Woche zurückgetreten, um den Weg für eine Interimsregierung frei zu machen.

Der von Frau Zia und ihrer Bangladesh Nationalist Party (BNP) für den Vorsitz vorgesehene ehemalige Chefrichter K. M. Hasan wurde von der Awami Liga und allen anderen oppositionellen Parteien vehement abgelehnt. Als früheres BNP-Mitglied eigne der 67-Jährige sich nicht für dieses Amt. Er garantiere keine Neutralität in der brisanten Vorbereitungsphase für die Wahlen, lautete die Begründung für die Ablehnung. Diese wurde mit Protestmärschen am Freitag und Sonnabend untermauert, bei denen es zu blutigen Zusammenstößen mit politischen Rivalen kam und in die die Polizei mit Tränengas, Gummigeschossen, Stockschlägen und Warnschüssen eingriff. Während Frau Zia hartnäckig an ihrer Kandidatenwahl festhielt, offenbarte Hasan mehr Gespür für die eskalierende Kontroverse und ließ am Sonnabend schließlich über den Präsidialsprecher Rahman Chowdhry erklären, er stehe für den Posten nicht zur Verfügung. Die BNP wollte ihre Niederlage vertuschen und hatte die falsche Information verbreiten lassen, der pensionierte Chefrichter könne aus gesundheitlichen Gründen momentan die Regierungsgeschäfte nicht übernehmen.

Abdul Jalil, der Generalsekretär der stärksten Oppositionspartei Awami Liga, überraschte die Öffentlichkeit mit der Mitteilung, Staatspräsident Iajuddin Ahmed habe nun die Bildung einer Übergangsregierung angekündigt. Bei einem Treffen habe der Präsident versichert, dass den Vorsitz eine andere Person als K. M. Hasan übernehmen werde. Diese Person war er schließlich selbst.

In einer Studie zur Lage in Bangladesch hatte kürzlich die Internationale Krisengruppe mit Hauptsitz in Brüssel vor dem Hintergrund der Parlamentswahlen ein beträchtliches Maß an Instabilität vorausgesagt, weil die vier wichtigsten Institutionen, die mit den Wahlen befasst sind, nicht an einem Strang ziehen: Präsident, Chefrichter, Wahlkommission und Armee. Hinzu kommt eine tief sitzende Feindschaft zwischen der BNP und der Awami Liga. Diese Rivalität hat bislang nachhaltiges Regieren in Dhaka verhindert und zu häufigen, lang anhaltenden Boykotten des Parlaments geführt.

Politische Beobachter in der Region halten es für nicht ausgeschlossen, dass diese Instabilität Kreise im Militär oder islamistische Gruppen ausnutzen, ihr eigenes Süppchen zu kochen. Dass Indien die Entwicklung höchst aufmerksam verfolgt, fand am Wochenende Ausdruck darin, dass der neue Staatssekretär im Außenministerium, Shiv Shankar Menon, in Kolkata die Situation in Bangladesch mit Buddhadeb Bhattacharjee, dem kommunistischen Chefminister Westbengalens, das eine lange Grenze mit Bangladesch hat, intensiv beriet.

* Aus: Neues Deutschland, 30. Oktober 2006


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