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100 Tote für 190 Euro

Feuer bei Bekleidungshersteller in Bangladesch vermutlich Brandstiftung

Von Jörg Meyer *

Am Montag hat es wieder in einer Bekleidungsfabrik in Dhaka gebrannt. Nach dem Feuer am Samstag mit über 110 Toten wurden zwei Männer festgenommen. Einer hat die Brandstiftung als Auftragsarbeit gestanden.

Das verheerende Feuer in einer Bekleidungsfabrik in Bangladeschs Hauptstadt Dhaka wurde gelegt. Das teilte Premierministerin Sheikh Hasina am Montag mit. Sie habe Bilder von Überwachungskameras gesehen. Zwei Männer seien festgenommen worden, die am Samstag versucht haben sollen, ein weiteres Gebäude in Brand zu setzen, sagte die Politikerin laut dpa. Einer der Männer habe gestanden, für die Brandstiftung umgerechnet etwa 190 Euro bekommen zu haben. »Diejenigen, die hinter dem Sabotageakt stecken, werden ebenfalls gefasst werden«, so Sheikh Hasina. Bei dem Brand in Dhaka am Samstag waren über 110 Textilarbeiterinnen und -arbeiter gestorben. Der Eingang des Gebäudes war verschlossen, Notausgänge nicht vorhanden.

Und da liegt das eigentliche Problem. Ver.di forderte den Textilkonzern C & A, für den in der Fabrik Pullover produziert wurden, auf, einem internationalen Brandschutzabkommen beizutreten. Dieses hatte der US-Textilriese PVH im März initiiert, will es aber nur in Kraft setzen, wenn sich mindestens drei europäische Bekleidungskonzerne beteiligen. Johann Rösch, Textileinzelhandelsexperte bei ver.di, sagte, das Sterben müsse endlich gestoppt werden. Die Kampagne für Saubere Kleidung in Deutschland und Österreich, medico international und die Menschenrechtsorganisation ECCHR forderten einen Wandel im Verhältnis der deutschen Auftraggeber zu Unternehmen, die Arbeitsschutzbedingungen nicht einhalten. »Dass es in so kurzem Abstand zu zwei Unglücken kommt, ist kein Zufall«, so Thomas Seibert von medico international.

Bei einem weiteren Feuer in einer Bekleidungsfabrik in Dhaka erlitten am Montagmorgen nach Angaben des TV-Senders Al Dschasira acht Arbeiter Rauchvergiftungen. Die Regierung Bangladeshs ordnete für den heutigen Dienstag einen Trauertag an. Fabriken ohne Notausgänge sollen überdies geschlossen werden. Tausende Arbeiter protestierten teils militant für bessere Arbeitsbedingungen. Zudem fanden die ersten Massenbegräbnisse für die am Wochenende Gestorbenen statt.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 27. November 2012


Modeketten mitschuldig

Bangladesch: Arbeiterinnen und Arbeiter protestieren nach Großbrand in Textilfabrik mit 110 Toten. Ausländische Auftraggeber wußten offenbar von gefährlichen Zuständen

Von André Scheer **


In Bangladesch haben am Montag Tausende Beschäftigte der Textilindustrie für bessere Arbeitsbedingungen und schärfere Sicherheitsmaßnahmen demonstriert. Sie reagierten damit auf den verheerenden Großbrand in einer Textilfabrik im Industrieviertel Ashulia am Rande der Hauptstadt Dhaka, bei dem in der Nacht zum Sonntag jüngsten offiziellen Angaben zufolge mindestens 110 Menschen ums Leben gekommen waren (jW berichtete). Viele Unternehmen blieben zunächst geschlossen. Für den heutigen Dienstag hat die Regierung des südasiatischen Landes einen nationalen Trauertag ausgerufen.

Grund für die hohe Opferzahl am Wochenende waren offensichtlich die mangelnden Sicherheitsvorkehrungen im Werk, das Bekleidung für ausländische Abnehmer wie C&A und Walmart produzierte. Die Nachrichtenagentur dapd zitierte am Montag einen Überlebenden der Katastrophe. Dieser habe beim Ton des Feueralarms aus dem Gebäude flüchten wollen, sei aber von Vorgesetzten aufgehalten worden. »Die Manager sagten zu uns: ›Nichts passiert. Der Feueralarm ist nur kaputtgegangen. Geht wieder an die Arbeit‹«, erzählte er. »Aber wir begriffen schnell, daß es brannte. Als wir wieder zum Notausgang rannten, fanden wir ihn von außen verschlossen, und es war zu spät.« Er sei schließlich im ersten Stock aus dem Fenster gesprungen. Ein weiterer Augenzeuge sagte, die Feuerlöscher in der Fabrik hätten nicht funktioniert: »Die waren nur dazu da, bei den Kunden oder den Behörden einen guten Eindruck zu machen.«

Die Zustände im Betrieb waren den internationalen Auftraggebern des Unternehmens Tazreen Fashions Ltd. jedoch offenbar lange bekannt, wie die New York Times am Montag berichtete. Demnach habe ein für »ethische Akquise« zuständiger Walmart-Manager bereits im Mai 2011 bei einer Besichtigung der Fabrik Bedingungen kritisiert, die »ein hohes Risiko« und eine Verletzung der Vereinbarungen darstellten. Konsequenzen daraus hat der Konzern offenbar nicht gezogen.

In Deutschland hat die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di nun C&A aufgefordert, einem internationalen Brandschutzabkommen beizutreten, wie es der US-Branchenriese PVH (»Tommy Hilfiger«, »Calvin Klein«) im Frühjahr mit Gewerkschaften in Bangladesch ausgehandelt hatte und das Brandschutzschulungen sowie die Bildung von betrieblichen Arbeitsschutzkomitees vorsieht. Allerdings verlangt PVH, daß mindestens drei weitere wichtige Textilkonzerne dem Abkommen beitreten, bevor dieses in Kraft tritt. Der ver.di-Experte für den Textileinzelhandel, Johann Rösch, kritisierte am Montag in Berlin, daß Modeketten wie H&M und Zara eine derartige Verpflichtung noch immer ablehnen und forderte: »Die Textilunternehmen, die bei uns ihre Produkte verkaufen und in Bangladesch fertigen lassen, dürfen nicht weiter über Leichen gehen.« Die Firmen seien dafür mitverantwortlich, »unter welchen katastrophalen Bedingungen sie fertigen lassen«.

Auch die Bundestagsabgeordnete Karin Binder (Die Linke) will deutsche Kaufhäuser und Discounter zur Verantwortung ziehen. »Unternehmen müssen für die Arbeitsbedingungen, unter denen ihre Produkte hergestellt werden, in Haftung genommen werden können«, fordert Binder.

** Aus: junge Welt, Dienstag, 27. November 2012


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