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Keine Insel der Seligen

Unruhen in Bahrain. Die Menschenrechtsverletzungen in dem Königreich stören den Westen nicht

Von Gerrit Hoekman *

Die Unruhe im Inselstaat ­Bahrain ebbt nicht ab: Am Samstag kam es am Rande einer Beerdigung zu neuen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften. Trauergäste hatten versucht, Polizeisperren zu durchbrechen. Die Menschen waren zusammengekommen, um einem 16jährigen die letzte Ehre zu erweisen, der am Donnerstag bei Protesten gegen die Regierung von einer Polizeikugel getötet wurde.

Auf den 33 Inseln von Bahrain rumort es seit langem. Noch bevor in Syrien die Menschen auf die Straße gingen, demonstrierten im Februar 2011 die Bahrainer gegen die Herrscherfamilie Al-Khalifa. Nach Oppositionsangaben sollen es mehrere hunderttausend der 1,2 Millionen Einwohner gewesen sein, von denen die Hälfte Ausländer sind. »Es handelte sich also um eine Volksbewegung im wahrsten Sinne dieses Wortes«, sagte die Menschenrechtsaktivistin Maryam Al-Khawaja in einem Interview mit dem Nahost-Journalisten Ramon Schack. König Hamad bin Isa wußte sich nicht anders gegen sein Volk zu wehren, als den großen Nachbarn Saudi-Arabien zu Hilfe zu holen. Der schickte Panzer und 1000 Soldaten über den König-Fahd-Damm, der beide Länder miteinander verbindet. Der Aufstand wurde blutig niedergeschlagen. Es gab viele Tote und Verletzte. Der zweite Jahrestag der Rebellion ist der Anlaß für die momentanen Unruhen in Bahrain.

König Hamad bin Isa hat in Bahrain ein großes Problem: Zwei Drittel seiner Untertanen sind Schiiten, er und seine weit verzweigte Familie aber Sunniten. Der König regiert mit absoluter Macht. Zwar wählt Bahrain ein Parlament, Hamad bin Isa jedoch kann es auflösen, wann immer er will. Aber das ist unnötig, denn Differenzen können innerhalb der Familie gelöst werden: Der Regierungschef ist der Onkel des Herrschers, er ist seit 40 Jahren im Amt. Insgesamt sitzen acht Familienangehörige im Kabinett.

Die Oberschicht der Sunniten hat aber nicht nur die Macht im Staat, sondern in ihre Taschen fließt auch der größte Teil der Ölmilliarden. Die schiitische Bevölkerungsmehrheit wird von den Fleischtöpfen weitgehend ferngehalten. Es geht also in Bahrain nur vordergründig um Religion, in Wahrheit ist es ein Aufstand für Freiheit und Gleichberechtigung, an dem auch viele Sunniten teilnehmen. Eine Losung der Demonstranten vor zwei Jahren war: »Keine Schiiten, keine Sunniten – nur Bahrainer!«

Viele Gegner der Al-Khalifas sitzen im Gefängnis, weil sie frei ihre Meinung sagen wollen. Darunter auch viele junge Internetaktivisten. Im vergangenen November verloren 37 Bahrainer ihre Staatsbürgerschaft, weil sie verbotenen Parteien angehören. Im Westen bekam davon kaum jemand etwas mit, auch weil die einflußreichsten Medien in der arabischen Welt im Besitz der Scheichs in Qatar und Saudi-Arabien sind.

Saudi-Arabien, die Hochburg des Sunnitentums, beobachtet die Entwicklung im kleinen Nachbarland mit Argusaugen. Ein Sturz der Al-Khalifas könnte für die Saudis und ihre Freunde im Westen ein Horrorszenario nach sich ziehen: Eine schiitisch dominierte Regierung machte gemeinsame Sache mit dem Iran – und das nur 27 Kilometer vor der eigenen Küste. Ausgerechnet dort, im Osten des saudischen Königreichs, liegen nämlich die ergiebigsten Ölquellen, und ausgerechnet dort leben auch in Saudi-Arabien vor allem Schiiten. Riad fürchtet nichts mehr, als daß ein Aufstand in Bahrain auf das Festland überschwappen könnte. In den letzten zwei Jahren ist es in dem Gebiet immer wieder zu Protesten gekommen.

Anders als in Syrien etwa drückt der Westen am Golf beide Augen zu, wenn die Menschenrechte verletzt werden. Frauenunterdrückung, Folter, politische Gefangene und ein teilweise mittelalterlich anmutendes Rechtssystem sind läßliche Sünden, solange die Ölquellen in der Hand der Herrscherfamilien in Bahrain und Saudi-Arabien bleiben. In Bahrain befindet sich außerdem der Stützpunkt der 5. US-Flotte. Von hier aus kontrollieren die Amerikaner den Persischen Golf und stellen sicher, daß die Öltanker weiter ungehindert die Meerenge von Hormus passieren können.

* Aus: junge welt, Montag, 18. Februar 2013


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