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Schüsse auf dem Perlenplatz

Sicherheitskräfte von Bahrain gingen mit brutaler Gewalt gegen Demonstranten vor

Von Martin Lejeune *

Im Golfstaat Bahrain haben Sicherheitskräfte die Protestbewegung niedergeschlagen. Mindestens vier Menschen wurden laut Opposition in der Hauptstadt Manama in der Nacht zum Donnerstag getötet, als Sondereinheiten einen von Demonstranten besetzten Platz räumten.

Tagelang hatten in Manamah Tausende gegen die Regierung protestiert und politische Reformen gefordert. In der Nacht von Mittwoch zu Donnerstag (16./17. Feb.) griffen Sicherheitskräfte auf dem Perlen-Kreisverkehrsplatz im Zentrum der Hauptstadt Demonstranten an. »Die Aufstandsbekämpfungspolizei wartete, bis die auf dem Platz Protestierenden sich schlafen gelegt hatten, und schossen dann Gummigeschosse und Tränengasgranaten von einer gegenüberliegenden Brücke auf sie ab«, sagte am Donnerstagnachmittag (17. Feb.) Mohammed al-Maskatiam in einem Telefonat mit ND. Er war unter den Demonstranten und äußerte sich zutiefst betroffen über die brutalen Szenen, die sich vor seinen Augen abgespielt hatten. Unter den friedlichen Demonstranten seien auch Frauen und Kinder gewesen. Nun, so Maskatiam, »fordern die verbliebenen Demonstranten die Bestrafung der für die Gewalt Verantwortlichen«.

Die Hauptforderungen der Demonstranten blieben ein Regierungswechsel, eine neue Verfassung mit demokratischen Rechten, ein Ende der Menschenrechtsverletzungen sowie die Verbesserung der Lebensbedingungen. Auch den Ministerpräsidenten und die Regierung wollen die Menschen künftig direkt wählen können.

In Bahrain beträgt das Durchschnittskommen eines Arbeiters 110 Bahrain-Dinar, umgerechnet 216 Euro. In den vergangenen Monaten stiegen die Preise erheblich; der Kilopreis für Tomaten beispielsweise stieg von 300 auf 800 Fils, also von 60 Cent auf 1,60 Euro. Nur die Fleischpreise werden subventioniert. Fisch dagegen ist unbezahlbar geworden, weil die Königsfamilie den Fischern nicht erlaubt, in der Nähe ihrer Inseln zu fischen. Bahrain im Persischen Golf besteht aus 33 Inseln. Der sehr beliebte Zackenbarsch kostet derzeit auf dem Markt in Manama umgerechnet zehn Euro.

Auch Matar Ibrahim, Parlamentsabgeordneter der Liste islamischer Gemeinschaften Jam'iyat al-Wifaq al-Watani al-Islamiyah, war unter den Demonstranten und berichtet gegenüber ND als Augenzeuge: »Von den Sicherheitskräften ist Gewalt ausgegangen. Ich meine, sie wollten in dieser schrecklichen Nacht gezielt Menschen verletzen. Das steht für mich fest. Denn die Toten wurden aus kürzester Distanz erschossen.« Wifaq ist das größte Oppositionsbündnis in Bahrain. Es verfügt über 18 von 40 Sitzen im Abgeordnetenhaus, obwohl es bei den letzten Wahlen rund 64 Prozent der Stimmen bekommen hatte. »Das Wahlrecht ist nicht fair«, klagt Ibrahim und bestätigt: »Alle unsere 18 Abgeordneten sind heute von ihrem Mandat zurückgetreten, um gegen die Eskalation der Gewalt zu demonstrieren. Und weil unsere Forderungen nach einer grundlegenden Änderung des politischen Systems nicht erfüllt wurden.«

In Bahrain herrscht seit 1999 Scheich Hamad ibn Isa Al Chalifa, der sich 2002 selbst zum König ernannte. Er bestimmt auch die Regierung. »Alle wichtigen Ministerämter sind derzeit von der Herrscherfamilie besetzt, sie kontrolliert aber nicht nur das öffentliche Leben, sondern auch die Wirtschaft. Also ist es nur logisch, dass die Demonstranten auch die Herrscherfamilie für die Probleme im Land verantwortlich machen«, betont Matar Ibrahim.

* Aus: Neues Deutschland, 18. Februar 2011


Panzer in Bahrains Hauptstadt

Protestbewegung in Manama blutig niedergeschlagen. Vier Tote bei Räumung **

Im Golfstaat Bahrain haben Sondereinheiten der Polizei die Protestbewegung niedergeschlagen. Mindestens vier Menschen wurden laut Opposition in der Hauptstadt Manama in der Nacht zum Donnerstag getötet, als der von Demonstranten besetzte »Platz der Perle« geräumt wurde. An die hundert weitere wurden verletzt. Berichten zufolge gingen die Polizisten mit Tränengas, Gummigeschossen und sogar mit Splittermunition gegen die Demonstranten vor. Die hatten ihn seit Dienstag besetzt gehalten, um ihren Forderungen nach einem Systemwechsel Nachdruck zu verleihen.

»Tod für Al Khalifa«, riefen Hunderte Menschen nach dem Polizeieinsatz vor dem Krankenhaus Salmanija. Andere standen dort zum Blutspenden an. Auf dem Platz der Perle rissen Sicherheitskräfte unterdessen die Zelte der Demonstranten nieder, Dutzende Panzer bezogen Stellung.

Die Protestbewegung umfaßt in dem gerade einmal eine Million Einwohner zählenden Bahrain die mehrheitlich schiitische Bevölkerung, die gegen die sunnitische Dynastie unter König Mohamed Bin Issa Al Khalifa aufbegehrt. Sie bemängeln vor allem Diskriminierungen auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt sowie bei den Sozialdiensten. Der Führer der wichtigsten schiitischen Oppositionsbewegung Al-Wefak, Scheich Ali Salman, sprach von einem »wilden und unberechtigten Angriff«, der »katastrophale Folgen« für die Stabilität des Landes haben werde. Aus Protest gegen den Polizeieinsatz zog sich der Oppositionsblock von Al-Wefak am Donnerstag geschlossen aus dem Parlament zurück.

Die EU-Außenbeauftragte Cathe­rine Ashton rief die Regierung auf, das Recht auf Versammlungsfreiheit zu achten. Sie forderte zugleich »Ruhe und Zurückhaltung«. Die Außenminister des Golfkooperationsrats beriefen für Donnerstag eine Sondersitzung in Manama ein. Nach Angaben der Regierung in Bahrain soll damit die Staatsspitze unterstützt werden. Das kleine Königreich ist mit rund 711 Quadratkilometern Fläche nicht einmal so groß wie Hamburg, aber als Standort der 5.US-Flotte wichtig für Washingtons Dominanz im Nahen und Mittleren Osten. (AFP/dapd/jW)

** Aus: junge Welt, 18. Februar 2011


Wutentladung

Von Roland Etzel ***

Schüsse auf Demonstranten im mediterranen Benghasi, auf dem Perlenplatz Manamas am Persischen Golf, in den engen Gassen von Sanaa. Das alles passierte gestern in Libyen, Bahrain und Jemen, drei arabischen Staaten, aber dreien, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten. Jemen ist Republik, Bahrain Monarchie, die »Jamahiriya« Libyen nimmt gar für sich in Anspruch, gar kein Staat im herkömmlichen Sinne, sondern eine »Gemeinschaft der Volksmassen« zu sein. Sehr verschieden auch die Wirtschaftslage. In Bahrain liegt das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf bei 26 000 Dollar, in Jemen unter 1000.

Was alle genannten Länder dennoch eint und selbst auf die Proteste im bettelarmen Jemen zutrifft – es handelt sich nicht in erster Linie um Brotrevolten. Darum ging es auch zuvor nicht in Tunis und Kairo. Hier manifestiert sich das Fehlen von Lebensperspektiven für Millionen von einzelnen Menschen und damit ganze Gesellschaften. Und so werden wir Zeugen einer Wutentladung über die Ohnmacht, daran etwas ändern zu können.

Das hat viel mit Demokratiedefiziten zu tun. Was die Libyer oder Bahrainis vermissen, ist gewiss weniger der routinierte Parlamentarismusbetrieb westlicher Prägung, sondern greifbare politische Teilhabe. Daran mangelt es all den strukturell noch immer postkolonialen Regimes, und es eint wiederum ihre Führer – mögen sie sich nun Revolutionsführer nennen wie Gaddafi oder König wie der Herrscher von Bahrain.

*** Aus: Neues Deutschland, 18. Februar 2011 (Kommentar)


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