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"Was ist ein toter Demonstrant gegen einen geplatzten Reifen?"

Ein Bericht über den Formel-1-Zirkus auf unserer Website? Es muss sein, denn es geht um Bahrain


Weltmeister Sebastian Vettel (Heppenheim) meldete sich am Sonntag im Formel-1-Zirkus eindrucksvoll zurück. Der Red-Bull-Pilot feierte beim Großen Preis von Bahrain beim heftig umstrittenen, politisch äußerst fragwürdigen Formel-1-Rennen in der Steinwüste von Sakhir seinen ersten Saisonsieg - und übernahm damit gleich noch die Führung in der Gesamtwertung.
Damit wollen wir es gut sein lassen in der "Sport"-Berichterstattung (wenn es sich denn wenigstens um Sport handeln würde!). Wichtiger für uns sind die politischen Rahmenbedingungen dieses Ereignisses, über die wir bereits im Vorfeld berichteten (Rennen für den König). Daher im Folgenden zwei Kommentare nach dem Rennen.


Vettels Werte

Formel 1 unbeeindruckt von Protesten

Von Werner Pirker *


Man solle sich nicht um Dinge kümmern, die einen nichts angingen, sondern nur um »das wirklich Wichtige: Reifentemperaturen und Autos«. Mit diesen Worten verwies der amtierende Formel-I-Weltmeister Sebastian Vettel auf die Vorrangigkeit eines Autorennens um den Grand Prix von Bahrain gegenüber der Achtung der Menschenrechte in diesem Land.

Um die ist es in der Golfmonarchie ganz schlecht bestellt, wie auch Amnesty International vergangene Woche in einem Bericht feststellte. »Entgegen den Behauptungen der Behörden«, heißt es darin, »hat die Anwendung staatlicher Gewalt gegen die in Opposition zur Al-Khalifa-Familie stehenden Personen nicht aufgehört.« Folterungen, unfaire Gerichtsprozesse und gesetzwidrige Tötungen stünden nach wie vor auf der Tagesordnung. Doch um auf das wirklich Wichtige zurückzukommen: Was ist ein toter Demonstrant gegen einen geplatzten Reifen?

Daß saudi-arabische Truppen dem »Frühlingserwachen« in Bahrain ein brutales Ende gesetzt haben, hat im Westen keinen medialen Empörungssturm ausgelöst. Vor dem Inselstaat ist immerhin die 5. US-Flotte stationiert, die für die Seewege am Persischen Golf zuständig ist und ebenso wie der Formel-I-Zirkus keine politischen Störungen wünscht. Mit dem in offen konterrevolutionärer Absicht erfolgten Einmarsch der Saudis in Bahrain nahm der arabische Aufruhr eine vorerst tragische Wende. Das Königshaus in Riad und der Golf-Kooperationsrat unterstützten in der Folge den bewaffneten Aufruhr gegen Ghaddafi, wobei sich katarische Truppen auch an der NATO- Aggression gegen Libyen, diesmal im Namen des »arabischen Frühlings«, der »Demokratie« und der »Menschenrechte«, beteiligten.

Nachdem die Nordatlantiker die libyschen Rebellen mittels einer Militärintervention an die Macht gehievt haben, ist nun auch in Syrien ein »Regime Change« angesagt. Dabei geht es den westlichen Hegemonialmächten und den arabischen Königsfamilien um die Installierung eines sunnitisch dominierten Regimes, das die alawitische Machtelite ablösen und in eine Frontstellung gegen den schiitischen Iran gebracht werden soll. Menschenrechtsrhetorik ist dazu da, die wahren strategischen Absichten zu verschleiern. Allein die Tatsache, daß neuerdings Händeabhacker als Menschenrechtsaktivisten in Erscheinung treten, sollte zu denken geben. Während die saudi-arabischen Panzer, die den Volksaufstand in Bahrain niedergewalzt haben, von der veröffentlichten Meinung so gut wie nicht wahrgenommen wurden, erscheinen die von der syrischen Regierung im Bürgerkrieg eingesetzten Kettenfahrzeuge als monströse, das eigene Volks zermalmende Ungeheuer. Über die Verhältnisse in Syrien hätte sich ein Sebastian Vettel sicher nicht so kaltschnäuzig zu äußern gewagt wie zur Lage in Bahrain. Immerhin hat er auf seine Weise zum Ausdruck gebracht, was der westlichen Wertegemeinschaft »wirklich wichtig« ist. Die Menschenrechte sind es nicht.

* Aus: junge Welt, Montag, 23. April 2012


Job erledigt - in Bahrain

Von Detlef D. Pries **

Den Job erledigte Sebastian Vettel zur Zufriedenheit seiner selbst, seiner Chefs und seiner Fans. Denn: »Unser Job ist der Sport. Sonst nichts«, hatte der 24-Jährige vor dem Formel-1-Rennen in Bahrain unbedarft geäußert. Ganz im Sinne der Bosse im PS-Zirkus, die den Fahrern soufflierten: »Wir sind nicht hier, um uns in die Politik einzumischen.« Also sorgte sich der Jungstar um Motor- und Reifentemperaturen, nicht um die Hitze der politischen Kämpfe unweit der Rennstrecke, die laut Augenzeugen wie ein Hochsicherheitstrakt abgesperrt war.

Einer von Vettels berühmten Vorgängern war schon mal zu der Erkenntnis gelangt, dass es Sachen im Leben gibt, »die wichtiger sind, als mit dem Auto im Kreis zu fahren«. Allerdings bezog auch der - Niki Lauda - das nur auf sein eigenes Leben, das er im Rundenkarussell fast verloren hätte. In Bahrain aber starben im vergangenen Jahr mehr als 30 Menschen, die sich gegen die Unterdrückung durch das Königshaus aufgelehnt hatten. Hunderte wurden verhaftet und gefoltert. Und nur Stunden vor dem Vettel-Sieg wurde nach gewaltsam aufgelösten Demonstrationen in Manama wieder ein Toter gefunden. Doch die Show lief weiter.

Wieder wird man streiten, ob Großveranstaltungen überhaupt an »Problemstaaten« vergeben werden sollten oder nicht. Wahr ist, dass Protestbewegungen und Menschenrechtsorganisationen solche »Mega-Events« inzwischen ebenfalls nutzen, um Aufmerksamkeit zu erregen, die ihnen sonst verwehrt bliebe. Das berechtigt indes auch 24-Jährige nicht zur Ignoranz gegenüber allem, was nicht ihr »Job« ist. Selbst wenn ihnen skrupellose Bosse genau diese Haltung vorleben.

** Aus: neues deutschland, Montag, 23. April 2012 (Kommentar)


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