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Harter rechter Einschlag in Wien

Landtagswahl spülte FPÖ auf Platz 2

Von Hannes Hofbauer, Wien *

Nach dem triumphalen Zugewinn der rechten FPÖ bei den Landtagswahlen in Wien hat in Österreich die Analyse der Ursachen begonnen. Die Sozialdemokraten erhielten trotz Verlusten zwar erneut die meisten Stimmen, die FPÖ konnte nach einem ausländerfeindlichen Wahlkampf mit 27 Prozent ihren Stimmanteil gegenüber 2005 aber fast verdoppeln.

Die sonntäglichen Wahlen in der Bundeshauptstadt Wien haben den Rechten einen unerwartet großen Erfolg beschert. Die Sozialdemokraten verlieren die absolute Mehrheit, die christdemokratische ÖVP sackt ab, die Grünen büßen 2,4 Prozent ein. FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache konnte sich als Haider-Klon etablieren.

Strache schließt an die schlechtesten Zeiten Mitte der 90er Jahre an, als Jörg Haiders FPÖ fast 28 Prozent der Stimmen bei den Wiener Landtagswahlen erreichen konnte. Für die Rechten ist es eine gute Zeit.

Mit 27 Prozent Zustimmung rückt die FPÖ hinter der SPÖ (44,2) auf Platz 2 vor, gefolgt von der ÖVP (13,2) und den Grünen (12,2). Die Kommunisten spielen in Wien mit 1,1 Prozent - anders als in der Steiermark, wo sie im Landtag vertreten sind - keine Rolle. Auch die niedrige Wahlbeteiligung von 56,6 Prozent muss als Zeichen der Unzufriedenheit mit der seit 1945 regierenden Rathaus-SPÖ gelesen werden. Wie schon 1996 muss sich Bürgermeister Michael Häupl für die kommende Legislaturperiode einen Koalitionspartner suchen.

Es war die Anbiederung der beiden Spitzenkandidatinnen von ÖVP und Grünen an die SPÖ, die der FPÖ das oppositionelle Feld weitgehend unbehindert überlassen hat. Christine Marek (ÖVP) und Maria Vassilakou (Grüne) erklärten ihren Wählern wochenlang, wie wichtig eine Regierungsbeteiligung der eigenen Mannschaft wäre. An Programmatischem war von den beiden Frauen nichts Wesentliches zu vernehmen. Dazu kam noch die Einsicht in Teilen der bürgerlichen Öffentlichkeit, dass die eigene Kandidatin farblos und mithin chancenlos wäre. In der ÖVP-nahen Wiener »Presse« erschien einen Tag vor der Wahl ein Kommentar des Chefredakteurs, in dem dieser FPÖ-Chef Strache zwar des Schürens von Ressentiments beschuldigte, ihn jedoch »für denkende Gemüter« als »nicht leicht wählbar« bezeichnete, was einer indirekten Aufforderung gleichkam, dem als Rabauken eingeschätzten rechten Radikalen - schweren Herzens - seine Stimme zu geben.

Den Wahlkampf hat die FPÖ mit islamfeindlichen Parolen und Comix-Zeichnungen geführt, das »Wiener Blut« als schützenswerten

Lebenssaft ins Spiel gebracht und ansonsten ihren Parteivorsitzenden Strache nächtens durch die Diskotheken geschickt, um im Dämmerlicht auf Stimmenfang zu gehen. Die Frage der Zuwanderung bzw. ihres Stopps war laut Wahlforschung das entscheidende Motiv für mehr als jeden vierten Wähler, sein Kreuz bei den Rechten zu machen.

Auf der Gegenseite, bei der SPÖ, war es die US-Beraterfirma Stanley Greenberg, die Bürgermeister Häupl ganz bewusst in Stellung gegen seinen Herausforderer Strache gebracht hat und damit dem Rechten medial jene Aufmerksamkeit zuteil werden ließ, die er für seine Politik benötigte. Wem dann noch eingefallen ist, fünf Tage vor der Wahl eine der ureigensten SPÖ-Positionen zur Wehrpflicht aufzugeben, bleibt ein strategisches Geheimnis. Häupls Schwenk in Richtung Berufsheer könnte jene paar Prozent gekostet haben, die ihm am Ende zur absoluten Mehrheit fehlten.

Am Montag (11. Okt.) gab sich FPÖ-Chef Strache zahm und kooperativ. »Die Wähler wollen rot-blau«, meinte er auf einer Pressekonferenz, wohl wissend, dass Altbürgermeister Häupl eine solche Koalition bisher immer ausgeschlossen hat. Ob sich die SPÖ in den kommenden Tagen für eine Partnerschaft mit der ÖVP - was aus bundespolitischer Sicht wahrscheinlicher ist - oder den Grünen entscheidet: Es wird eine Koalition der Verlierer sein, die der FPÖ weiteren Auftrieb geben könnte.

* Aus: Neues Deutschland, 12. Oktober 2010


"Sarrazin statt Muezzin!"

Wahlen in der österreichischen Hauptstadt. FPÖ punktet mit Ausländerfeindlichkeit

Von Werner Pirker, Wien **


Bei den Wiener Gemeinderatswahlen vom Sonntag (10. Okt.) haben die Sozialdemokraten unter Bürgermeister Michael Häupl ihre absolute Mehrheit eingebüßt. Gegenüber 2005 verloren sie knapp fünf Prozent und halten nun einen Stimmenanteil von 44,29 Prozent. Mit einem beträchtlichen Zuwachs von mehr als zwölf Prozent steigerte sich die stark rechtslastige Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) auf 26,98 Prozent und verwies die konservative ÖVP, die mit 13,5 (-5,6) Prozent einen historischen Tiefstand erreichte, auf den dritten Platz. Auch die Grünen verloren 2,4 Prozent und liegen nun bei 12,21 Prozent. Die KPÖ, deren Existenz mit Ausnahme der Steiermark so gut wie nicht mehr wahrnehmbar ist, kam auf 1,2 (-0,2) Prozent.

Ihr wichtigstes Wahlziel, das in der Verteidigung der absoluten Mehrheit bestand, hat die SPÖ nur knapp verfehlt. In ihrem Vorhaben, den FPÖ-Vormarsch zu stoppen, aber ist sie klar gescheitert. Die Sozialdemokraten hatten ihren Wahlkampf voll auf die Auseinandersetzung mit den »Freiheitlichen« ausgerichtet, die als verantwortungslose Demagogen vorgeführt werden sollten. Als Duell an der Donau stilisiert, lag am Ende des Showdowns aber nicht FPÖ-Chef Hans Christian Strache besiegt am Boden. Seine Wunden lecken muß nun vielmehr der SPÖ-Bürgermeister. Ein Grund dafür dürfte darin liegen, daß Häupl und Genossen die Auseinandersetzung mit den ausländerfeindlichen und islamophoben Demagogen auf deren Terrain ausgetragen haben. Mit der »Ausländerfrage« hatte die FPÖ das zentrale Wahlkampfthema vorgegeben - und die SPÖ nahm die Herausforderung an, statt eine die Xenophobie konterkarierende Problemsetzung vorzunehmen. Doch offenkundig wollen Wiens »Sozis« nicht einmal im Wahlkampf mehr Fragen der sozialen Gerechtigkeit aufwerfen, um sich nicht später an ihren Versprechen messen lassen zu müssen. So vermochte sich die FPÖ von Beginn an den Heimvorteil zu sichern, wobei ihr auch der von oben vorgegebene und von der SPÖ mitgetragene Integrationsdiskurs in die Karten spielte. Würden die Sozialdemokraten bei Verteilungsfragen von unten nach oben auf Befindlichkeiten der »einfachen Menschen« so viel Rücksicht nehmen wie beim Migrationsthema, gäbe es solch unsägliche Debatten vielleicht gar nicht, zumindest nicht in dieser Intensität.

Die ÖVP war darum bemüht, mit Straches ausländerfeindlichem Wahlkampf Schritt zu halten. Zwar war das angesichts von FPÖ-Slogans wie »Wiener Blut« oder »Sarrazin statt Muezzin« gar nicht so einfach. Gesprächsangebote ihrer Spitzenkandidatin Christine Marek an Migranten »am besten auf Deutsch« hatten es aber auch in sich. Zur Xenophobie neigende Wähler empfanden das FPÖ-Angebot aber offenbar als attraktiver.

Die Wiener Grünen haben das in Deutschland herrschende grüne Hoch offenbar nicht für sich zu nutzen verstanden. Nun bieten sie sich der SPÖ als Koalitionspartner an. Auch viele Sozialdemokraten erhoffen sich aus einer solchen Regierungszusammenarbeit einen Innovationsschub. Die KPÖ hat selbst ihren niedrigen Stimmenanteil von 2005 nicht zu halten vermocht und versinkt in die völlige Bedeutungslosigkeit. Ihr kommunistisches Profil hat sie ohnedies bereits verloren. An zweiter Stelle der KPÖ-Liste kandidierte mit Dunja Larise eine Aktivistin der »Stop the bomb«-Initiative, die sich für eine Verschärfung der Aggression gegen den Iran einsetzt.

** Aus: junge Welt, 12. Oktober 2010


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