Freispruch für Österreich
Die "drei Weisen" stellen der Regierung in Wien gutes Zeugnis aus
Mit dem Bericht der "drei Weisen" kann wohl sehr schnell ein für die EU peinliches Kapitel bilateraler Beziehungen zum EU-Mitglied Österreich abgehakt werden. Die Sanktionen werden fallen, der Friede mit der schwarz-braunen Koalition in Wein wird wieder hergestellt werden. Die wichtigsten Informationen - entnommen der Tagespresse vom 09.09.2000 - enthält diese Seite. Außerdem eine streitbare Stellungnahme von André Heller. Der Bericht im Wortlaut kann in Auszügen nachgelesen werden. Dazu gibt es noch Kommentare und Einschätzungen aus der taz, dem Wiener Standard, der Frankfurter Rundschau, der jungen welt und aus dem "Friedensratschlag".
In ihrem Abschlussbericht haben sich die drei «Weisen» - Martti Ahtisaari, Jochen Frowein und Marcelino Oreja - für eine Aufhebung der Sanktionen von vierzehn EU- Staaten gegen Österreich ausgesprochen. Sie stufen die Freiheitliche Partei als rechtspopulistische, nicht aber als rechtsradikale Bewegung ein.
Die drei «Weisen», die im Auftrag von vierzehn EU-Mitgliedstaaten die Situation in Österreich nach der Bildung der blau-schwarzen Koalition überprüft hatten, haben am Freitagabend im Elysée-Palast Präsident Chirac, dem gegenwärtigen Vorsitzenden des Europäischen Rates, ihren Bericht überreicht. Nach einer knapp vierzigminütigen Unterredung, an der auch Aussenminister Védrine teilnahm, verliessen der frühere finnische Präsident Ahtisaari, der ehemalige spanische Aussenminister Oreja und der deutsche Jurist Frowein kommentarlos das Palais des französischen Staatschefs, der sie auf den Treppenstufen verabschiedete. Der Bericht wurde französischerseits umgehend den dreizehn anderen EU-Sanktionspartnern sowie auch Österreich zugeleitet.
Respektierung «europäischer Werte»
Die Sprecherin der französischen Präsidentschaft verzichtete demonstrativ auf jede Angabe über Inhalt und Verlauf der Unterredung und beschränkte sich auf die lakonische Mitteilung, dass Frankreich sich mit den dreizehn anderen EU- Staaten über die gemäss dem Bericht zu unternehmenden Schritte abstimmen werde. Das Missfallen über die Tendenz des Österreich-Reports der «Weisen» sowie über die vorangegangene Indiskretion in Spanien, durch die der Text noch vor der Veröffentlichung publik geworden und sogleich nach Wien gelangt war, schien mit Händen zu greifen. Gemäss den durchgesickerten Hinweisen verhehlen die drei Berichterstatter nicht, dass eine Aufrechterhaltung der von den vierzehn EU-Mitgliedern über Österreich verhängten bilateralen Sanktionen einen kontraproduktiven Effekt hätte. Ausdrücklich heisst es in dem Bericht bezüglich Wiens Respektierung der europäischen Werte, dass der Minderheitenschutz in Österreich besser entwickelt sei als in vielen anderen Staaten der Europäischen Union und es auch zu weniger Gewalt gegen Ausländer komme als anderswo in der EU.
Überaus differenziert erfolgt anscheinend die Bewertung der FPÖ, deren führende Figuren ausserhalb der Regierung bei verschiedenen Gelegenheiten eine überaus zweideutige Sprache gesprochen hätten. Diese Ausdrucksweise könne als fremdenfeindlich und rassistisch interpretiert werden, und die Freiheitlichen, die als «populistische Partei der Rechten mit radikalen Elementen» in dem Bericht charakterisiert werden, hätten nichts gegen Mitglieder unternommen, die sich solchermassen geäussert hätten. Seit der Bildung der blau-schwarzen Koalition hätten indes die im Kabinett vertretenen FPÖ-Minister keine zu beanstandenden Ausdrücke verwendet. Auch dieser Teil des Berichts lässt sich kaum als Stütze für die bilateralen Sanktionsmassnahmen auslegen, für deren Verhängung sich vor über einem halben Jahr namentlich Frankreich und Präsident Chirac eingesetzt hatten.
Fremdenfeindliche FPÖ
Die drei «Weisen», die im Auftrag der EU die jüngste innenpolitische Entwicklung in Österreich untersucht haben, befürworten in ihrem Abschlussbericht zuhanden der französischen Ratspräsidentschaft die Aufhebung der gegen die Republik verhängten Sanktionen. Der durch das Internet verbreitete Text hält fest, dass sie die Freiheitlichen (FPÖ), deren Eintritt in die Regierung zur EU-internen Isolierung Österreichs geführt hatte, zwar für eine rechtspopulistische Partei halten, die mitunter politische Heimat von radikalen Mitgliedern ist. Das Trio sieht allerdings davon ab, die FPÖ als rechtsextreme oder rechtsradikale Partei zu bezeichnen. Diese Einschätzung hält die «Weisen» nicht davon ab, Kritisches zur Natur der FPÖ festzuhalten.
Die Partei des nunmehr einfachen Parteimitglieds Haider habe im letzten Wahlkampf mit fremdenfeindlichen, ja rassistischen Ausdrücken operiert, die geeignet seien, die geschichtlichen Ereignisse während des Nationalsozialismus zu bagatellisieren. Dies habe einer Atmosphäre Vorschub geleistet, in der Manifestationen gegen Ausländer als unbedenklich aufgefasst würden. Die Autoren des Berichts heben in diesem Zusammenhang hervor, dass die FPÖ keine Massnahmen gegen Mitglieder verhängt hat, die in der Öffentlichkeit durch fremdenfeindliche Bemerkungen aufgefallen sind. Wohlwollend wird dagegen das Verhalten jener Freiheitlichen quittiert, die als Minister Einsitz in die neue Koalitionsregierung genommen haben. Nach ihrem Amtsantritt hätten sie, im Unterschied zu den Strategen in der FPÖ-Parteizentrale, keine fremdenfeindlichen Ausdrücke mehr in den Mund genommen.
Gefahr von Ressentiments
Die rechtlichen Rahmenbedingungen von Minderheiten, Flüchtlingen und Immigranten sind im Urteil des Dreiergremiums durchaus vergleichbar mit der Situation in anderen EU-Ländern. In Teilbereichen, etwa in der Frage nationaler Minderheiten, könne Österreich gar mit höheren Standards aufwarten. Auch bezüglich Asylsuchenden halte die jetzige Regierung an den Massstäben der traditionellen Flüchtlingspolitik fest. Zu bemängeln sei allenfalls der Umstand, dass zwei Dritteln der Antragsteller staatliche Beihilfen verweigert würden, so dass diese auf die Unterstützung nichtstaatlicher Organisationen angewiesen seien. Der Bericht kritisiert zudem die lange Ausschaffungshaft von abgewiesenen Asylsuchenden und weist auf die grosse Zahl von Jugendlichen hin, die in Gefängnissen auf ihre Abschiebung warten.
Unabhängig davon beurteilen die drei «Weisen» die rechtliche Situation von Asylbewerbern als vergleichbar mit den Standards in anderen EU-Ländern. Zudem habe es in Österreich keine Wellen der Gewalt gegen Ausländer gegeben, Fremde seien seltener das Ziel von Übergriffen gewesen als in weiten Teilen des übrigen Europa. Vor diesem Hintergrund kommt der Bericht zum Schluss, dass ein Festhalten an den Sanktionen mit einem Bumerang-Effekt verbunden sein könnte, zumal die Massnahmen nationalistische Ressentiments in Österreich schüren könnten. Viele Bürger hätten irrtümlicherweise den Eindruck, dass die Sanktionen gegen sie selbst und nicht gegen die Regierung gerichtet seien.
Wien für EU-Schlichtungsmechanismus
Bestätigt in ihrer nüchternen, auf Verständigung und Annäherung ausgelegten Politik fühlt sich Aussenministerin Ferrero-Waldner. In ihrem Sinne dürfte auch die im Bericht mit Nachdruck geforderte Implementierung eines Mechanismus sein, der Unstimmigkeiten in der Umsetzung gemeinsamer europäischer Werte rasch offenlegt und Lösungswege vorschreibt. Zu diesem Zweck schlägt der Bericht vor, Artikel 7 des EU-Vertrags entsprechend zu erweitern.
Der österreichischen Regierung war besonders aufgestossen, dass die anderen vierzehn EU-Länder, hinter ihrem Rücken, die Isolierung Wiens beschlossen hatten. Ferrero-Waldner geht von einer Aufhebung der Sanktionen noch vor dem EU-Gipfel von Mitte Oktober in Biarritz aus. Mit weniger Zuversicht als die Regierungsparteien blickt offensichtlich die Opposition in die Zukunft. Auch sie hatte eine Aufhebung der Quarantäne befürwortet. Sowohl Vertreter der Sozialdemokraten als auch der Grünen betonten, das Vertrauen der Partnerländer sei erschüttert, die Republik könne sich nicht länger als Zentrum Europas betrachten.
Aus: Neue Zürcher Zeitung, 09.09.2000
Aufhebung der Sanktionen gegen Österreich empfohlen
In Wien begrüßen alle Parteien den Bericht der drei Weisen
ÖVP-Außenministerin Ferrero-Waldner erwartet Einlenken der EU-Staaten / FPÖ: Ausland muss sich entschuldigen / Von Wolfgang Simonitsch
Die Empfehlungen der drei EU-Weisen an die 14 EU-Staaten, ihre im Februar gegen die Mitte-Rechts-Regierung aus Volkspartei und Freiheitlichen verhängten bilateralen Sanktions-Maßnahmen aufzuheben, werden von allen im österreichischen Parlament vertretenen Parteien positiv bewertet. Bundeskanzler und ÖVP-Chef Wolfgang Schüssel hat sich wie die FPÖ-Vorsitzende, Vize-Kanzlerin Susanne Riess-Passer, bisher nicht dazu geäußert. Sie wollten, wie der Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider, abwarten, bis der Bericht der Weisen offiziell an die Wiener Regierung übergeben worden ist.
Außenministerin Benita Ferrero-Waldner (ÖVP) sieht durch den Bericht ihre bisherigen Erklärungen bestätigt, dass der neuen Wiener Regierung nichts angelastet werden könne. "Er konnte nur gut ausfallen", sagte die Außenministerin. Nun seien Österreich - etwa im Umgang mit Minderheiten und in der Asylpolitik - sogar überdurchschnittliche EU-Standards bestätigt worden. Sie rechne damit, dass die bilateralen Sanktionen gegen die Wiener Regierung "bis zum EU-Gipfel in Biarritz" am 13. und 14. Oktober aufgehoben werden.
Zunächst sollten alle Regierungen Zeit haben, den 45-seitigen Bericht zu lesen und darüber zu beraten, erklärte Ferrero-Waldner. Die Kritik der drei so genannten Weisen, des früheren finnischen Präsidenten Matti Athisaari, des ehemaligen spanischen Außenministers Marcelino Oreja und des deutschen Völkerrechtlers Jochen Frowein an der Regierungspartei FPÖ, die "eine rechtspopulistische Partei mit radikalen Elementen" sei und durch ihre Wahlkämpfe fremdenfeindliche Gefühle in Österreich salonfähiger gemacht habe, wollte Ferrero-Waldner nicht kommentieren.
FPÖ-Fraktionschef Peter Westenthaler sagte, er könne "mit diesen Vorwürfen leben". Rechtspopulistisch werde eine Partei schnell genannt, und radikale Elemente seien wohl "auch in allen Parteien zu finden". Die FPÖ sei jedenfalls weder rechtsradikal noch rechtsextrem. Solche Behauptungen müssten "nun ein Ende haben", sagte Westenthaler, der den Weisen-Bericht grundsätzlich positiv bewertete. FPÖ-Generalsekretär Peter Sichrovsky sagte, dass nun wohl ausländische Entschuldigungen, etwa von Bundesaußenminister Joschka Fischer fällig seien, der wie EU-Parlamentspräsidentin Nicole Fontaine "Österreich in unglaublicher Weise diffamiert" habe.
Die oppositionellen Sozialdemokraten und die Grünen zeigten sich vom Inhalt des Berichts nicht überrascht. Beide Parteien befürworten ein Ende der Sanktionen gegen die Wiener Regierung, weil diese "kontraproduktiv" seien und den Nationalismus nur noch schürten. Mit dem bald zu erwartenden Ende der Sanktionen sei "die Politik der kalten Schulter" jedoch noch nicht überwunden. Die Wiener Regierung müsse nun um Vertrauen werben, um wieder bei wichtigen EU-Entscheidungen mitreden zu können, meinte Grünen-Chef Alexander van der Bellen. Der SPÖ-Vorsitzende Alfred Gusenbauer sprach von einem "ausgewogenen Bericht".
Aus: Süddeutsche Zeitung, 09.09.2000
André Heller äußert sich in der ZEIT
Der Bericht der Weisen zur politischen Lage in
Österreich gibt nach Ansicht des Wiener Intellektuellen André Heller
keinen Anlass zur Beruhigung. "Der Zustand, in dem das Land sich
befindet", sagte Heller der Wochenzeitung DIE ZEIT, "ist ein hoch
emotioneller, gewaltloser, geistig aber umso erbitterter geführter
Bürgerkrieg." Bei Begegnungen mit alten Bekannten würde man sich
stets fragen: Wo steht der? "So etwas haben wir noch nicht erlebt."
Heller muss sich am 3. Oktober wegen Beleidigung Jörg Haiders vor
Gericht verantworten. "Der Prozess, den die FPÖ gegen mich
angestrengt hat, wird eine herrliche Gelegenheit sein zu zeigen, wes
Geistes Kind diese Herrschaften sind."
Die FPÖ überziehe ihre Kritiker derzeit mit Klagen, so Heller
weiter. "Es gibt ein wollüstiges Verlangen, die Kritik abzuschaffen.
Das ist ein klares Merkmal jeder Führerbewegung." Das Papier der
europäischen Weisen, sagt Heller, stelle klar, dass die FPÖ eine
demokratiegefährdende Organisation ist. "Jetzt ist es an uns
Österreichern, den Wahrheitsbeweis hierfür aktiv anzutreten."
Aus: Die Zeit vom 14.09.2000
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