Streit um Berufsheer in Österreich
Sozialdemokraten streben baldige Abschaffung der Wehrpflicht an
Von Hannes Hofbauer, Wien *
Sieben Modelle, mit denen das Bundesheer reformiert werden könnte, hat Österreichs
Verteidigungsminister Norbert Darabos (SPÖ) jetzt der Öffentlichkeit präsentiert. Seine Präferenz:
Berufsheer. Zur allgemeinen Verwirrung nennt er es »Mischmodell mit Freiwilligenheer«.
Seit sich Wiens Bürgermeister Michael Häupl im vergangenen Herbst drei Tage vor den
Gemeinderatswahlen für die Abschaffung der Wehrpflicht ausgesprochen hat, legen täglich ein paar
hochrangige Sozialdemokraten nach: Die Wehrpflicht sei nicht mehr zeitgemäß, heißt es ohne
nähere Begründung. Was als Wahlkampfzuckerl für Jüngere nicht funktioniert hat (Häupl hat die
absolute Mehrheit im Stadtparlament verloren), soll jetzt auf der Bundesebene in eine große Reform
münden.
Das österreichische Bundesheer operiert seit Jahrzehnten in Form eines Milizsystems. Von den
aktuell 35 000 Mann betreiben 10 000 den Dienst an der Waffe professionell. Der Rest der Truppe
wird über die Wehrpflicht einberufen und dient sechs Monate, bleibt aber bis zum 50. Geburtstag in
der Reserve. Seit seiner Gründung im Jahr 1955 kam das Bundesheer neben zahlreichen
Katastropheneinsätzen im Inland hauptsächlich über UN-Missionen auf dem Golan oder auf Zypern
zum Einsatz, bis die Änderung der politischen Großwetterlage 1989 auch Auslandseinsätze unter
dem Dach der NATO bzw. ihr vorgelagerter Organisationen erlaubt hat. Heute stehen
österreichische Berufssoldaten in Kosovo, in Bosnien und in Tschad. Einer von der ÖVP
losgetretene Debatte über einen NATO-Beitritt ist die SPÖ im Jahr 2000 entschieden
entgegengetreten.
Die Aussetzung der Wehrpflicht in Deutschland hat seine Nachwirkungen nun auch in Österreich
gezeitigt. Interessanterweise waren es hier vor allem die Sozialdemokraten und die Grünen, die das
Bundesheer in seiner aktuellen Form als »überholt« bezeichnet haben. Den Terminus »Berufsheer«
will man dennoch tunlichst vermeiden, erinnert er doch zum einen historisch an die 1930er Jahre, in
denen das damalige austrofaschistische Berufsheer die Arbeiterhochburgen in Schutt und Asche
geschossen hat. Zum anderen scheuen sich die (Un)Verantwortlichen auch, einem wesentlich
teureren Modell als der allgemeinen Wehrpflicht das Wort reden zu wollen.
Also hat man sich auf den Begriff »Freiwilligenheer« geeinigt, bei dem »freiwillige« Grundwehrdiener
von Berufssoldaten geführt werden. Laut Darabos-Plan sollen diese Freiwilligen monatlich 1700
Euro erhalten; wer sich zehn Jahre lang für Milizeinsätze bereithält, wird mit jährlich 5000 Euro
zusätzlich entlohnt. Dieses Verständnis von Freiwilligkeit entspricht jedem Berufsbild, in dem man für
einen bestimmten Lohn tätig ist.
Wichtig für das Verteidigungsministerium ist, die selbst auferlegten Verpflichtungen der
Auslandseinsätze aufrecht zu erhalten und zudem eine gewisse Einsatzbereitschaft im
Katastrophenfall zu gewährleisten. Die Kosten dieses »Mischmodells« sollen die derzeitigen von ca.
2,3 Milliarden Euro nicht übersteigen.
Opposition gegen diese sanfte Variante eines Berufsheeres regt sich von rechter und konservativer
Seite. Dort fordern Experten ein mit der NATO kompatibles Berufsheer. FPÖ-Chef Heinz-Christian
Strache wiederum vermeldet gegen die Fachleute in seiner Partei, für die Beibehaltung der
Wehrpflicht eintreten zu wollen.
Auch die mit der SPÖ in Koalition befindliche ÖVP sieht zur Zeit keinen Grund, die Wehrpflicht
abzuschaffen. Sie argumentiert mit der Notwendigkeit eines schlagfertigen Katastrophenschutzes
und damit, dass sich bei einer Abschaffung der Wehrpflicht auch der Zivildienst erledigte, was eine
Reihe karitativer Organisationen schwer beeinträchtigen würde.
Als Ausweg aus der verfahrenen Diskussion böte sich eine Volksabstimmung an. Die SPÖ wäre
dafür zu haben und hat auch schon mit dem Stichwort »Freiwilligenarmee« ideologisch für ein Ja
zum Berufsheer vorgesorgt. In der ÖVP wird eine mögliche plebiszitäre Entscheidung derzeit
allerdings noch diskutiert.
* Aus: Neues Deutschland, 20. Januar 2011
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