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Mit dem Schlafsack zur Uni

Uni-Proteste in Österreich

Von Piotr Dobrowolski, Wien *

Seit zwei Wochen protestieren StudentInnen gegen die Studienbedingungen. Sie sind sich mit der Regierung einig: Österreichs Bildungswesen braucht Reformen. Bei den Inhalten aber gehen die Ansichten weit auseinander.

Die Nächte im Auditorium maximum sind kalt. Wenn der zentral gesteuerte Heizungsregler die Temperatur herunterfährt, helfen den BesetzerInnen auch die heissesten Rhythmen nichts mehr, die hier als Begleitmusik zu den seit rund zwei Wochen dauernden Student­Innenprotesten zu hören sind. Dann sind Mütze, warme Handschuhe und Daunenjacke angesagt. Oder gleich der Schlafsack. Im Hörsaal C1, dem zweitgrössten Hörsaal der Universität Wien, sieht es ähnlich aus. Doch jene Hundertschaft, die diesen Raum besetzt hält, übt sich in skurrilem Aktionismus, um gegen die Kälte anzukämpfen: StudentInnen waten trotz Temperaturen um die null Grad durch den vor dem Hörsaal gelegenen Springbrunnen -- damit ihnen nachher wärmer ist. Ausserdem gibt das gute Bilder für die diversen Protestblogs im Internet. Und für die Presse.

Protest gegen Bologna

Spassoffensive, politische Diskussion, unpolitische Verzweiflung. Beim aktuellen Protest der österreichischen StudentInnen, der neben Wien auch Graz, Salzburg, Linz und Klagenfurt erfasst hat, vermischt sich so manches. Denn ebenso vielfältig wie ihre Anliegen sind auch die Motive der Protestierenden. Zwar ist die politische Ausrichtung der StudentInnen im Wiener Hörsaal C1 auf dem Gelände des alten Allgemeinen Krankenhauses, das vor elf Jahren zu einem vorzeigbaren Campus umgestaltet wurde, relativ einheitlich. Die meisten der hiesigen BesetzerInnen kommen vom Studiengang «Internationale Entwicklung» -- und sind traditionell eher links. «Dass es während der Besetzung auch Vorträge über feministische Theorie oder globale Unterdrückung gibt, find ich richtig gut», sagt Clemens**.

Der Kern der Protestforderungen hat dann allerdings doch weniger mit Weltrevolution als mit den Studienbedingungen zu tun: mit dem an Österreichs Hochschulen auch von den meisten Lehrenden abgelehnten Bologna-Prozess, der die Unis immer mehr verschult; mit dem katastrophalen Betreuungsverhältnis von ProfessorInnen und Studierenden, das bei eins zu hundert liegt; und mit den Studiengebühren. Die sind zwar als «Wahlzuckerl» vor der letzten Nationalratswahl in einem gemeinsamen Coup von SozialdemokratInnen, Grünen und der rechtsradikalen Freiheitlichen Partei Österreichs abgeschafft worden, doch die bürgerliche Öster reichische Volkspartei, die jetzt wieder in einer grossen Koalition mit den SozialdemokratInnen steht, lässt seitdem nichts unversucht, um die Gebühren wieder einzuführen.

Ist- und Soll-Analysen

Abgesehen davon fordern die Studierenden aber auch die Beibehaltung des freien Studienzugangs, was den konservativen Wissenschaftsminister Johannes Hahn, der demnächst EU-Kommissar werden soll, kürzlich zu der hämischen Bemerkung veranlasste: «Keine Studiengebühren, keine Zugangsbeschränkungen und eine Weltklasse-Uni -- das wird sich nicht ausgehen.» Die Studierenden bezeichneten im Gegenzug Hahns Aussagen bei einem Austausch am Wochenende als «schwammig» und kritisierten, dass die Regierung das Gespräch nicht wirklich suche.

Im Auditorium maximum findet derweil ein durchaus gemischtes Programm statt: Vorträge wechseln sich ab mit Musik und Speisung aus der selbstverwalteten «Volxküche». Die gilt übrigens vielen als das A und O des Protests. «Solange es etwas zum Essen gibt, werden die Leute kommen. Fällt das weg, wird auch der Protest zu bröckeln beginnen», sagt Alexander, der auch sonst einen überaus pragmatischen Zugang zu den Protesten pflegt und immer wieder in krudes Managementdeutsch fällt: «Wir müssen allmählich die Ist-Analyse und die Soll-Analyse zur Deckungsgleichheit bringen», sagt er. Seine Mitbesetzerin Karin kommt von einem Treffen der Pressegruppe, die jeden Tag an Strategien feilt, wie sie ihre Anliegen am besten weiterverbreiten kann. «Ich bin eigentlich überhaupt nicht der Protesttyp», sagt sie. «Ich würde lieber lernen. Aber wenn du keinen Platz mehr in den Kursen kriegst, wenn du dich jede Woche um Sitze in den Vorlesungen raufen musst, dann reicht es.»

Weil Zugangsbeschränkungen an den Universitäten dank der sozialdemokratischen Reformen der siebziger Jahre politisch kaum durchsetzbar sind, versuchen Österreichs Wissenschaftsminister seit Jahren, solche Beschränkungen durch die Hintertür einzuführen. Den Bologna-Prozess, der für ganz Europa vergleichbare, aus Modulen (Lehreinheiten) aufgebaute Studien verlangt, missbrauchte die Regierung dazu, eine Studieneingangsphase einzuführen, die den Studierenden einen Querschnitt des Stoffs in ihrem Fachbereich vermitteln soll; die Betroffenen nehmen diese Eingangsphase jedoch vor allem als Schikane wahr, um StudienanfängerInnen zu vergraulen. So gibt es in vielen Fächern neuerdings in den ersten zwei Semestern ausschliesslich Vorlesungen mit mehreren hundert ZuhörerInnen im Saal, denen eine grosse Menge Unterrichtsstoff ohne Betreuung durch Lehrpersonen vermittelt wird. Erst danach beginnen die interessanten Kurse und Seminare, die in viel kleineren Gruppen stattfinden. Doch Erfahrungen mit dem neuen Sys­tem zeigen: Bis dorthin schaffen es nur wenige, der Rest wirft entmutigt das Handtuch. Dem Wissenschaftsministerium scheint das überaus recht zu sein: Es sei doch besser, heisst es dort, wenn man frühe Studienabbrecher produziere. Die kosten weniger als Studierende, die erst nach mehreren Semestern aufhören.

Dr. Dr. Krankenpflegerin?

Das Absurde an der ganzen Diskussion: In Österreich wird immer wieder wortreich beklagt, dass das Land im EU-Vergleich eine viel zu niedrige AkademikerInnenquote aufweist. Doch statt mehr Geld für Bildung auszugeben, damit Österreich dabei wenigstens den europäischen Durchschnitt erreicht, wird getrickst und geschwindelt: In einem Akt statistischer Kosmetik werden Ausbildungen für akademisch erklärt, die früher keinen solchen Titel hatten; nach Fachhochschulen sollen nun auch LehrerInnenbildungsanstalten für Volksschulen diesen Statuts erhalten. Zudem ist immer wieder die formale Akademisierung von medizinischen Hilfsberufen wie DiplomkrankenpflegerInnen im Gespräch.

Darüber kann Alexander im Audimax nur den Kopf schütteln: «Es mag ja gut sein, dass diese Berufe aufgewertet gehören. Aber die Universität ist etwas anderes: Das ist ein Ort, an dem man frei studieren können sollte, wo man seinen Interessen im Sinne einer umfassenden Bildung nachgehen kann.» Die Regierung sieht das anders. Seit den späten neunziger Jahren setzt man in Österreich auf Spezialisierung und wirtschaftlich schnell verwertbares Wissen. Wer solche Lehrpläne anbietet, kann wie die Fachhochschulen mit deutlich besserer Finanzierung rechnen als die Universitäten -- verbunden allerdings mit überaus strikten Zugangsbestimmungen. Und einem perfekt verschulten Unterricht.

* Aus: Schweizer Wochenzeitung WOZ, 5. November 2009

** Die interviewten StudentInnen wollten nur ihre Vornamen nennen.




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