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Schilderstreit beigelegt

Österreich: Nach Debatten wird die Kärntner »Ortstafelfrage« geregelt

Von Simon Loidl *

Der österreichische Nationalrat hat gestern (6. Juli) ein neues Volksgruppengesetz beschlossen. Dieses besiegelt den nach jahrelangem Ringen erzielten Kompromiß im sogenannten Ortstafelstreit. Dabei geht es um die Aufstellung zweisprachiger Ortsschilder in Gemeinden, in denen in Österreich anerkannte Minderheiten leben. Jahrzehntelang war dies im Bundesland Kärnten nicht umgesetzt worden. Das nun beschlossene Gesetz schreibt 164 zweisprachige Tafeln für Kärnten fest.

Kritik kam von den Grünen, die der Vorlage aber trotzdem zustimmten – mit drei »symbolischen Gegenstimmen«. Die Klubchefin der Grünen, Eva Glawischnig, kritisierte vor allem die »Kleingeistigkeit«, die sich in der neuen Regelung ausdrücke. »Der Diskurs war bis zum letzten Tag von Gehässigkeit geprägt. Das war nicht nur ein Symptom, sondern auch eine Ursache des Konflikts«, so Glawischnig.

Selbst der Rat der Kärntner Slowenen – eine von drei Vertretungen der slowenischsprachigen Minderheit in Kärnten – lehnt das nunmehr beschlossene Gesetz ab. Dieses würde sich in einigen Punkten von dem im Frühjahr zwischen der Kärntner Landesregierung und den Minderheitenvertretern ausgehandelten Kompromiß unterscheiden. Der Rat kritisiert zudem den Verfassungsrang des neuen Gesetzes, weil damit eine Beschränkung auf die 164 Orte festgeschrieben ist.

Daß in österreichischen Gemeinden, in denen anerkannte Minderheiten leben, »Bezeichnungen und Aufschriften topographischer Natur« mehrsprachig sein sollen, regelt bereits der 1955 unterzeichnete österreichische Staatsvertrag, das Gründungsdokument der Zweiten Republik.

Von Beginn an gab es vor allem in Kärnten massiven Widerstand seitens der deutschsprachigen Mehrheitsbevölkerung gegen die Aufstellung zweisprachiger Ortstafeln. Nachdem 1972 endlich ein Bundesgesetz die staatsvertraglichen Rechte der Minderheiten umsetzen sollte und zahlreiche Schilder aufgestellt worden waren, kam es im Herbst 1972 zum »Ortstafelsturm«. In ganz Kärnten wurden Ortstafeln teilweise vor laufenden Fernsehkameras und in Anwesenheit der Polizei wieder abgerissen. Auch sozialdemokratischer Kärntner Politiker beteiligten sich an der pogromartigen Aktion.

In den folgenden Jahrzehnten war die »Ortstafelfrage« zentrales Thema der Kärntner Politik. Nicht zuletzt dem im Jahr 2008 alkoholisiert verunfallten Rechtspolitiker Jörg Haider verhalf die Nichtumsetzung geltenden österreichischen Rechts zu anhaltender Popularität in Kärnten. Die minderheitenfeindliche Politik war aber nicht nur auf die rechtsextreme FPÖ beschränkt. Kärntner Sozialdemokraten (SPÖ) und Christlichsoziale (ÖVP) vertraten in dieser Frage ebenfalls stets strammrechte Positionen.

Für Außenstehende war die Diskussion oft nur schwer nachzuvollziehen. So wurde jahrelang um den prozentalen Anteil slowenischsprachiger Einwohner eines Ortes gefeilscht, der Voraussetzung für die Aufstellung zweisprachiger Schilder sein müsse. Geltendes Recht wurde von Kärntner Politikern nicht umgesetzt, legal aufgestellte Tafeln wurden wieder abmontiert, ohne daß dies Konsequenzen hatte.

Anfang des Jahres zeichnete sich schließlich eine Einigung zwischen österreichischer Bundesregierung und Kärntner Landesregierung ab. Die ergebnislosen Diskussionen über Prozentanteile an Einwohnern wurde zugunsten konkreter Verhandlungen über einzelne Orte beendet. Ob in den nun fixierten 164 Orten auch tatsächlich zweisprachige Tafeln angebracht werden und auch stehenbleiben, muß allerdings abgewartet werden.

* Aus: junge Welt, 7. Juli 2011


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