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Aktive friedensorientierte Außenpolitik mit Herz und Hirn

Die österreichische Außenpolitik ist seit dem EG-Beitritt 1995 weitgehend uninnovativ geworden - Gastkommentar von Thomas Roithner *

Manche mögen die Weltpolitik in Bezug auf Krieg und Frieden mit dem Blick auf den Nahen Osten, afrikanische Konflikte oder zentralasiatische Spannungen mit Hoffnung, einer Portion Resignation oder einigen guten Vorschlägen begleiten. Wie auch immer man dazu stehen mag: auf jeden Fall ist es verfolgenswert und spannend. Im gleichen Ausmaß ist die österreichische Außenpolitik seit dem EG-Beitritt 1995 weitgehend uninnovativ geworden. Friedenspolitische Initiativen und eine aktive Außenpolitik Österreichs sind verloren gegangen. Die politischen Eliten scheinen Herz und Hirn einer eigenständigen österreichischen Außenpolitik in Berlin und Brüssel abgegeben zu haben und verwirken damit auch ihren künftigen Handlungsspielraum. Statt vielleicht manchmal mit Vorschlägen bei den großen Kerneuropa-Militärmächten Deutschland und Frankreich anzuecken, steht das Mitmachen im "Gravitationszentrum" (Joschka Fischer) an der ersten Stelle der Agenda.

Österreich benötigt wieder eine friedensorientierte Außenpolitik, die über die Grenzen der EU hinweg wirkt. Das Neutralitätsgesetz – keine Teilnahme an Kriegen, keine fremden Truppen in Österreich, keine Teilnahme an einem Militärpakt – ist dazu nur die Grundlage. Bei den heutigen im Zuge der Globalisierung auftretenden Probleme sind militärische Interventionen vielfach kontraproduktiv. Die auch von der EU erkannten Herausforderungen wie Hunger, Klimaerwärmung oder Migration verlangen zivile Instrumente im Rahmen einer starken UNO (z.B. UNO-Millenniumsziele). Die EU-Militarisierung durch "battle groups" und Aufrüstungsverpflichtung sind keine geeigneten Instrumente. Sie stellen ein Exempel einer interventionistischen Politik und einer verkehrten Prioritätensetzung zwischen Zivilem und Militärischem dar.

Die Wirkungsmöglichkeiten ziviler Außenpolitik und ziviler Krisenprävention können durch eine verstärkte Ausbildung und den Einsatz ziviler Fachkräfte innerhalb und außerhalb des EU-Rahmens verbessert werden. Es liegt heute nicht an den Konzepten aus Forschung und Praxis, sondern am politischen Willen. Österreich hat dazu gute Voraussetzungen und könnte sich mit einem noch auszubauenden zivilen Schwerpunkt einen guten Ruf zurück’erobern’. Es ist nun hoch an der Zeit, diesen Vorteil in Zusammenarbeit mit den anderen neutralen Staaten zu nützen.

Die EU war im Jahr 2005 – noch vor den USA und Russland – Weltmeister im Export von konventionellem Kriegsmaterial. Im Sinne der Tradition neutraler Staaten und besonders zur Stärkung des UN-Standortes Wien sollte die nächste Bundesregierung das nationale Engagement – beispielsweise gegen die zivile und militärische Nutzung der Atomkraft oder gegen Landminen – engagiert in die internationale Politik einbringen. Auch ein Neutralitätsvorbehalt muss wieder in Kriegsmaterialiengesetz Österreichs aufgenommen werden. Das im Vergleich geringe Militärbudget erlaubt Österreich, glaubwürdig und selbstbewusst neue Anläufe für den nuklearen Teststopp oder die Abrüstungskonferenz zu unternehmen. Erste kleine Schritte – den hierzulande unpopulären Eurofighter für künftige Militärinterventionen zu hinterfragen – wurden bereits in die Wege geleitet. Einen Weg, den man bis zu Ende denken und gehen muss.

Eine aktive Friedenspolitik braucht keine offensiven Militärkapazitäten. Anstatt auf die möglicherweise völkerrechtswidrig agierenden „battle groups“ zu setzen, ist die Tradition der auf Akzeptanz der Konfliktparteien basierenden „Blauhelme“ fortzusetzen und weiterzuentwickeln. Die Bejahung des internationalen Rechts bedeutet auch, die nationalen Gesetze dementsprechend zu formulieren (d. h. eine Änderung des Artikel 23 f der Verfassung). Das Recht des Stärkeren – so zu betrachten im Irak und Afghanistan – muss aktiv durch die Stärke des Rechts entgegengetreten werden.

Eine gemeinsame Außenpolitik der EU ist nicht über eine Einigung in der Militärpolitik herzustellen. Dem entsprechend muss sich eine neue Bundesregierung dafür einsetzen, die sicherheitspolitischen Teile der EU-Verfassung (militärischer Beistand, Aufrüstungsverpflichtung, globaler Interventionismus) zu ändern bzw. zivile Maßnahmen und Abrüstung als Verfassungsprinzipien zu präzisieren und fix zu verankern. Dann braucht sie auch eine Volksabstimmung weniger zu fürchten.

* Dr. Thomas Roithner, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Österreichischen Studienzentrum für Frieden und Konfliktlösung (ÖSFK), Schlaining–Wien; zahlreiche Veröffentlichungen auch auf unserer Website; regelmäßiger Gast/Referent beim "Friedenspolitischen Ratschlag" in Kassel

Dieser Kommentar erschien am 20. November 2006 in der österreichischen überregionalen Zeitung "Der Standard".



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