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So etwas kenne ich aus Thüringen

Die Bundestagslinke Martina Renner war Zuhörerin beim "Objekt 21"-Prozess in Österreich


Bevor Martina Renner in den Bundestag gewählt wurde, war sie Abgeordnete der Linksfraktion im Thüringer Landtag und hatte als Obfrau im sogenannten NSU-Untersuchungsausschuss großen Anteil an der Aufdeckung von Neonazi-Strukturen. Mit ihr sprach René Heilig.


Sie waren jüngst in Österreich bei einem Prozess gegen Angehörige vom »Objekt 21«. Haben Sie nicht hierzulande genügend Herausforderungen im Kampf gegen Neonazis?

Als ich vor einem Jahr etwas über die Neonazis-Gruppierung rund um das »Objekt 21« gelesen habe, war bei uns in Thüringen der NSU natürlich schon das beherrschende Thema. Dann wurde im November 2012 ein Thüringer Neonazis verhaftet und an Österreich ausgeliefert. Danach kam es zu einer weiteren Verhaftung. Auch dieser Rechtsextreme wurde ausgeliefert. Er war in der Thüringer Kameradschaftsszene aktiv und als Agitator, Redner und Liedermacher unterwegs. Schließlich wurde ein dritter Thüringer an die österreichischen Behörden ausgeliefert. Der ist hierzulande im Umfeld eines rechtsextremistischen Hausprojektes aufgefallen. Spätestens da war klar: Hier ist kein Zufall im Spiel. Es gibt ein Netzwerk, das möglicherweise zurückgeht auf die frühen 2000er Jahre, als der NSU sein Terrorhandwerk auszuüben begann.

Uns interessieren Akteure und organisatorische Hintergründe. Wie groß ist dieses Netzwerk, das bis nach Österreich und womöglich weiter führt? Welche Straftaten wurden von dessen Mitgliedern wo und wann begangen? Wie haben die Strafverfolgungsbehörden reagiert, nicht nur in Österreich, sondern vor allem in den betroffenen deutschen Ländern? Hat man die Gefahren, die von diesen »Objekt 21«-Leuten ausgehen, richtig eingeschätzt?

Diese Fragen sind auch deshalb spannend, weil die länder- und staatenübergreifende Zusammenarbeit militanter Neonazis in den NSU-Untersuchungsausschüssen nie richtig beleuchtet wurde. Gibt es neue Erkenntnisse, die aus der Verhandlung gegen »Objekt 21«-Mitglieder resultieren?

Wenn wir uns Neonazi-Vereinigungen seit Ende der 90er Jahre angucken, zum Beispiel Blood&Honour, dann wissen wir, dass wir es mit europäischen Netzwerken zu tun haben. In denen Akteure hin- und herwechseln zwischen Skandinavien, der Schweiz, Österreich, der Bundesrepublik Deutschland. Belegt ist mehrfach, dass in Thüringen immer wieder Neonazis aus Österreich zu Gast sind. Und umgekehrt ebenso. Ein Problem beim »Objekt 21« in Österreich war, so scheint es mir, dass die politischen Hintergründe zu lange vernachlässigt wurden. Man hat den Fokus auf die kriminellen Straftaten gerichtet.

Und die waren ja heftig: illegale Prostitution, Raub, Erpressung, Brandstiftung, Verstöße gegen das Waffengesetz...

Erst als der österreichische Verfassungsschutz Fotos aus dem Inneren des »Objekt 21« in seinem Briefkasten fand, die dann auch noch in der Presse auftauchten, kamen die Behörden auf Trab. Man ist mit den Ermittlungen gewiss noch nicht am Ende. Die Justiz bereitet weitere Verhandlungen vor. Ich nehme an, dass wesentlich mehr, auch Neonazis aus der Bundesrepublik, in die Machenschaften verwickelt sind.

»Objekt 21« zeigt nicht nur die internationale Verflechtung von Neonazi-Gruppierungen auf, sondern belegt ebenso die engen Beziehungen zwischen Organisierter und der politischer Kriminalität. Ein Lehrbeispiel für deutsche Verhältnisse?

Mit der Organisierten Kriminalität wird Geld gemacht für die »Bewegung«, für die neonazistische Aktivität. Das muss genauer untersucht werden. Auch in Deutschland kaufen Neonazis Häuser. Zwei der drei in Deutschland Verhafteten kauften Immobilien: Philipp T. einen Drei-Seiten-Hof in Görschen, das liegt in Sachsen-Anhalt. Steffen M. erwarb in Ballstädt, das liegt im Landkreis Gotha, ein Objekt: Kaufpreis 165 000 Euro. Dabei ist er schon beteiligt an einem weiteren Neonazi-Objekt in Crawinkel, das noch nicht abbezahlt ist.

Wo kommt das Geld her? Was haben die Neonazis mit den Immobilien vor? Wollen sie nur darin wohnen? Sind das Orte für Konzerte? Tonstudios? Treff- und Vernetzungspunkte?

Oder Waffenarsenale?

Das wäre nicht der erste Fall. Man muss sich »Objekt 21« auch angucken, weil es durchaus Parallelen zu Nazi-Objekten in Deutschland gibt.

Offiziell war »Objekt 21« ein Kulturverein.

Die Taktik finden wir auch in Thüringen. Beim Prozess in Österreich sprach man nur von freundschaftlichen Beziehungen der Angeklagten nach Deutschland. Doch dahinter stehen tatsächlich organisatorische Kontakte. Das muss aufgedröselt werden.

Ich bin auch in den Bundestag gewählt worden, um nicht locker zu lassen in der Frage, die sich uns spätestens seit dem Auffliegen des NSU vor zwei Jahren mit grausamer Schärfe stellt: Welche Gefahren gehen von diesen militanten Netzwerken – von den alten wie neuen – aus? Reagieren die Behörden adäquat? Das, was man Versäumnisse nennt bei der Abwehr der NSU, sollte hellwach machen. Haben wir es womöglich weiter mit dem NSU oder schon mit einem »NSU reloaded« zu tun?

Wie gesagt, einer der Verhafteten entstammt der Nazi-Hausgemeinschaft in Crawinkel. Das war die Truppe, die zu Beginn des NSU-Prozesses in München ein Transparent aus dem Fenster gehängt hat, um »Freiheit für Wohlleben« zu fordern. Crawinkel hat mit der Band SKD zu tun, die auf der Soli-CD gleichfalls »Freiheit für Wolle« verlangt.

SKD heißt »Sonderkommando Dirlewanger«. Der Typ war im Zweiten Weltkrieg ein SS-Führer der schlimmsten Sorte. Er versammelte in seinem Haufen Mörder und Banditen jeder Art...

Genau. Und da sind wir wieder beim »Objekt 21«, in dem solchen Kriegsverbrechern gehuldigt wurde und deren Mitglieder sich als politische Soldaten verstehen. Denen ist keine noch so kriminelle Tat fremd. Wir haben Mitte und Ende der 90er Jahre in Thüringen schon solche fließenden Übergänge zwischen Organisierter Kriminalität und Rechtsextremismus entdeckt. Die neonazistische Szene, insbesondere der Thüringer Heimatschutz, aus dem die NSU-Zelle mit Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe entstanden ist, hatte solche Momente in sich: Wohnungsprostitution, Waffenhandel... Man trieb gewaltsam Geld ein. Es gab 1999 einen Überfall auf einen Geldtransporter in Pößneck. Dieses Geld soll Grundstock gewesen sein, um ein Bordell in Rudolstadt zu errichten.

Das Verfahren in Österreich muss also die Ermittler in Deutschland interessieren. Haben Sie einen Einblick in die Zusammenarbeit der Behörden?

Ich weiß, dass es in Thüringen großes Interesse seitens der Polizeibehörden gibt. Da besteht eine Besondere Aufbauorganisation, die sich Zesar nennt. Sie beschäftigt sich mit militanten kriminellen Nazistrukturen. Ob es ein ähnliches Interesse in Sachsen-Anhalt, Bayern, Hessen gibt, wohin ebenfalls Bezüge vom »Objekt 21« weisen, kann ich nicht einschätzen.

Im Terrorismusbereich gibt es eigentlich eine gute Zusammenarbeit der Ermittler – jedenfalls, wenn es um islamistisch motivierte Täter geht. Bei der Fahndung nach Rechtsterroristen war bisweilen schon die Unterschrift unter einen Dienstreiseantrag ein Problem.

Es ist klar, dass Ermittlungen gegen den Rechtsextremismus nicht einfach sind und einen langen Atem brauchen, dass sie personell untersetzt und materiell abgesichert sein müssen. Da geht es nicht um den schnellen Erfolg. Mir ist ganz wichtig, dass diese Strukturen auch entwaffnet werden. Es darf nie wieder passieren, dass Neonazis am helllichten Tag in irgendein Geschäft gehen und jemanden ins Gesicht schießen.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 8. November 2013


»Objekt 21« – Freizeit- und Kulturverein

Grenzüberschreitung auch im geografischen Sinne

Von René Heilig **


Im ersten sogenannten Wiederbetätigungs-Prozess um das »Objekt 21« sind in dieser Woche alle sieben Angeklagten vom Landesgericht Wels in Österreich schuldig gesprochen worden. Die ausgesprochenen und noch nicht rechtskräftigen Strafen liegen zwischen Bewährung von 18 Monaten und sechs Jahren Haft. Die Männer wurden für schuldig befunden, in einem Bauernhof nahe Attnang-Puchheim, dem sogenannten »Objekt 21«, die nationalsozialistische Ideologie verherrlicht und illegal Waffen besessen zu haben.

Na bitte, der Rechtsstaat hat dem Gesetz Geltung verschafft. Der Fall ist erledigt? Keineswegs! Nicht nur, weil noch weitere angeklagte Mitglieder von »Objekt 21« auf ihre Verhandlungen warten, sondern weil von diesem politischen Kriminalfall Warnsignale ausgehen, die auch jenseits österreichischer Grenzen empfangen werden sollten.

Die als Freizeit- und Kulturverein amtlich genehmigte Ansammlung von über 200 zum Gutteil militanten Neonazis war eine Schnittstelle zwischen der Organisierten Kriminalität und ideologisch gefestigtem Neonazitum. Körperverletzung, Raub, Drogen- und Menschenhandel, Diebstahl, Brandstiftung und Nötigung waren ebenso an der Tagesordnung wie Liederabende, bei denen Hassgegröle gegen Juden und Ausländer angestimmt wurde. Holocaust-Zustimmung und Holocaust-Leugnung waren je nach Zweckmäßigkeit gestreut.

Im »Objekt 21« überschritt man nicht nur die von Anstand und Gesetz gesetzten Grenzen. Auch rein geografisch überschritt man sie. So gab es einen regen Austausch mit militanten Neonazis in Thüringen, Sachsen, Bayern. Kameraden vom Thüringer Heimatschutz – aus dem die NSU-Terrorbande hervorgegangen ist – sowie Mitglieder des »Freien Netzes Süd« oder der »Aktionsgruppe Passau« hatten vielfältige Kontakte zum »Objekt 21«. Drei deutsche Neonazis wurden auf Bitten der österreichischen Justiz in Thüringen verhaften und ins Nachbarland ausgeliefert. Dort warten sie jetzt auf ihren Prozess.

** Aus: neues deutschland, Freitag, 8. November 2013


Verbotsgesetz und völkische Gemeinschaft

Von Karl Öllinger ***

Das Timing für die Aussage hätte nicht besser sein können. Während die Geschworenen in Wels gerade berieten, ob die »Objekt 21«-Neonazis schuldig sind, gegen das NS-Verbotsgesetz verstoßen zu haben, sinnierte der vor wenigen Tagen zum dritten Präsidenten des Nationalrats gewählte Norbert Hofer (FPÖ) öffentlich, ob das NS-Verbotsgesetz genau in dieser Bestimmung noch zeitgemäß und »nicht ein bisschen ein Widerspruch zu einer liberalen Gesinnung ist«.

Hofer, der als Präsident Martin Graf, dem extrem rechten Burschenschafter, nachfolgt, gilt als »freundliches Gesicht« der FPÖ. Bisher ist es ihm gelungen, alle Vorwürfe wegzulächeln. Etwa, dass er 2011 der Neonazizeitschrift »hier & jetzt« ein Interview gab oder dass er auf Facebook mit Nazis befreundet war. Hofer war nicht der einzige, der sich auf Facebook mit rechtsextremen FreundInnen zeigte. Die Facebook-Freundschaften der Freiheitlichen und ihre Haltung zum NS-Verbotsgesetz sind symptomatisch für die Positionierung der Partei, die sich – moderater im Ton, dafür aber publikumswirksamer – ebenso wie die NPD als »soziale Heimatpartei« bezeichnet. Es ist eine bittere Ironie, dass ausgerechnet die unter Partei- und Klubobmann Heinz-Christian Strache neu formierte, stramm rechte FPÖ, in der die deutschen Burschenschafter den Ton angeben, als »Arbeiterpartei« auftritt und von sozialdemokratischen Gewerkschaftern sogar als Koalitionspartner herbeigesehnt wird.

Im aktuellen Parteiprogramm der FPÖ, das von Hofer mitentwickelt wurde, spielt das Bekenntnis zur »deutschen Volks-, Sprach- und Kulturgemeinschaft« wieder eine zentrale Rolle. Der Rekurs auf die »Volksgemeinschaft«, also auf ein völkisch-rassistisches Ideologiekonstrukt, ist nicht zufällig. Er ermöglicht eine soziale Programmatik, die den Angehörigen dieser Gemeinschaft alle sozialen Rechte und Vorteile verspricht, wenn sie denen, die nicht dem »Staatsvolk« angehören, verwehrt bleibt. Damit landen die »neuen« Freiheitlichen programmatisch dort, wo die »alten« Freiheitlichen nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes ihren Ausgangspunkt genommen haben: bei der Sammlung ehemaliger Nationalsozialisten und aller von der neuen Ordnung Enttäuschten und Benachteiligten.

Das Verbotsgesetz von 1945, das damals versuchte, die Entnazifizierung belasteter Nationalsozialisten zu regeln, sie bis zum Jahr 1949 sogar vom Wahlrecht ausschloss, war für die Freiheitlichen immer ein Reibepunkt. Mittlerweile ist das Gesetz, das in Österreich im Verfassungsrang steht und durchaus drakonische Strafandrohungen enthält, erheblich modifiziert worden. Der letzten Novellierung 1992 stimmte sogar die FPÖ zu, weil mit ihr die Mindeststrafen reduziert wurden. Dennoch polemisiert die FPÖ, die nach ihrer Neuformierung unter Strache immer wieder durch rechtsextreme, antisemitische und neonazistische Kontakte und Äußerungen auffiel, heftig gegen das Verbotsgesetz.

www.stopptdierechten.at

*** Karl Öllinger, langjähriger Nationalrat und Grünen- Politiker in Österreich.

Aus: neues deutschland, Freitag, 8. November 2013 (Gastbeitrag)



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