Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Schüssel für "europäische Bündnisverpflichtung"

Österreichische Regierung will außenpolitisches Programm zügig umsetzen

Österreich ist drauf und dran, seine Neutralität aufzugeben und mittels aktiver Militarisierung der EU in ein europäisches Militärbündnis einzusteigen. Dies entspricht durchaus dem außenpolitischen Teil der ÖVP-FPÖ-Koalitionsvereinbarung. Damit verstieße die schwarzbraune Regierung nicht nur gegen die eigene Verfassung, die seit 1955 die "immerwährende Neutralität" des Landes vorsieht. Sie verstieße auch gegen jede politische Vernunft: Die Welt braucht nämlich nicht noch mehr Militärbündnisse, sondern eine auf Abrüstung und Frieden gerichtete Außen- und Weltinnenpolitik. Zum nachfolgenden Artikel aus der österreichischen überregionalen Zeitung "Der Standard" sind einige e-mail-Botschaften an die Redaktion eingegangen, die wir auszugsweise ebenfalls zum Besten geben. Schwarzer Humor ist nicht nur in Großbritannien, sondern auch in Österreich beheimatet.

Der Kanzler fordert ein klares Ja zu einem "aktiven Frieden stiftenden Engagement zwischen Ost und West, zwischen Nord und Süd"

Alpbach - Bundeskanzler Schüssel hat sich erneut für die Schaffung einer "europäischen Bündnisverpflichtung" ausgesprochen. Wenn man Europa ernst nehme, "dann muss es irgendwann einmal zu einer gemeinsamen Bündnisverpflichtung der Mitgliedsstaaten kommen, und damit auch zu einer handlungs- und schlagkräftigen militärischen Schutzgemeinschaft", betonte Schüssel bei der Eröffnung des Europäischen Forums Alpbach. Es gehe nicht darum, einem "simplen Militarismus das Wort zu reden". Der Kanzler regte an, darüber nachzudenken, "das ohnehin überholte Konzept der alten österreichischen Neutralität" in eine "europäische Neutralität" umzuformulieren. Eine "europäische Neutralität" sollte nach Ansicht Schüssels Abschied nehmen von einem "aktiven offensiven Militarismus, aber ein klares Ja zu einem aktiven Frieden stiftenden Engagement zwischen Ost und West, zwischen Nord und Süd" enthalten. "Wer dies will, muss dann aber auch bereit sein, die Instrumente zu bejahen", forderte Schüssel.

Vor dem Hintergrund der Diskussion über die Zukunft Europas sprach sich Schüssel klar gegen eine Abschaffung der Nationalstaaten aus. Dies wäre ein "fataler Fehler", mahnte der Kanzler. Neben Europa seien es der Nationalstaat, die Länder und die Regionen, welche den Menschen von heute ihre Bindungen geben, sagte Schüssel.

Kostelka: Neutralität nicht über Bord werfen

SPÖ-Klubobmann Peter Kostelka zeigte sich empört über die Aussagen von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (V) über die Umformulierung der österreichischen Neutralität in eine europäische Neutralität. Kostelka verwies darauf, dass "ein Bundeskanzler auf die Verfassung vereidigt ist und hinter allen geltenden Verfassungsgesetzen zu stehen hat". Schüssel habe daher jeden Versuch zu unterlassen, die österreichische Neutralität wegzuargumentieren.

Die Wortmeldungen des Bundeskanzlers zeigten, dass die Regierung nur von dem Ziel geleitet werde, die Neutralität über Bord zu werfen und der NATO beizutreten. Schüssel stehe mit seiner Forderung nach einer Bündnisverpflichtung bzw. Beistandspflicht in der EU allein da. Kein anderer EU-Staat wolle das, so Kostelka. Die SPÖ sei jedenfalls der Garant dafür, dass Österreich in kein kriegerisches Abenteuer geführt werde.

EU-Erweiterung "in unterschiedlichem Tempo"

Die EU-Erweiterung wird nach den Worten von Schüssel "das europäische Thema zumindestens der nächsten ein bis zwei Dekaden" sein. Der Beitritt neuer Länder zur Europäischen Union werde "in unterschiedlichem Tempo und in unterschiedlichen Erweiterungsschritten" erfolgen, sagte Schüssel. Vor diesem Hintergrund sehe er einen "dringenden Bedarf nach Begegnungstätten, nach Austausch von Erfahrung und Problemen". Für Österreich sei die Frage der EU-Erweiterung "besonders wichtig". Die wegen der Regierungsbeteiligung der FPÖ von den 14 EU-Partnern verhängten Sanktionen gegen Österreich erwähnte Schüssel in seiner Rede mit keinem Wort. Schüssel ging auch auf drohende globale Konflikte um die Verteilung von Wasser ein. Während heute geschätzte 700 Mio. Menschen keinen ausreichenden Zugang zu Trinkwasser hätten, werde dieser Anteil in den kommenden 20 bis 30 Jahren auf zwei bis drei Milliarden Menschen ansteigen, sagte Schüssel. Damit drohe eine "dramatische Situation", vor allem in den Ländern des Nahen Ostens, in denen Trinkwasser bereits heute knapp sei. Gerade das Forum Alpbach sei ein Ort, um über diesbezügliche Konfliktlösungsmöglichkeiten nachzudenken.

Atompolitik "mittelfristig irreversibel"

Mehrmals ging Schüssel in seiner Rede auf die Verantwortung des Politikers für zukünftige Generationen ein. Als Beispiele nannte er "ökologische und finanzielle Erblasten". In Hinblick auf die Staatsverschuldung etwa entpuppe sich "manches, was vorgestern für richtig gehalten wurde", als "Defizitbeitrag von heute und leider auch noch von morgen". Ebenso seien manche Folgen der Atompolitik "mittelfristig irreversibel".

Den neuen Alpbach-Präsidenten Erhard Busek bezeichnete Schüssel als "ausgezeichnete Wahl". Busek sei in den Bereichen Medien, Politik, Kunst und Wirtschaft verankert und könne gerade in seiner neuen Funktion die verschiedensten Persönlichkeiten zusammenführen. Buseks Vorgänger als Alpbach-Präsident, Heinrich Pfusterschmid-Hardtenstein, überreichte Schüssel das große silberne Ehrenzeichen für die Verdienste um die Republik Österreich. Der 73-jährige Diplomat hatte im Frühjahr den Vorsitz des Österreichischen College, der Trägerorganisation des Forum Alpbach, abgegeben.

Der traditionelle Auftakt des Forum mit Stamperl, Salutschüssen und Klängen der Alpbacher Schützenkompanie ist heuer auf den am Sonntag erstmals stattfindenden "Tirol-Tag" verschoben worden. Vertreter aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik wollen dabei "Tirol im Spannungsfeld von Globalisierung und grenzüberschreitender Kooperation" erörtern, vor allem unter dem Gesichtspunkt der Innovations- und Forschungspolitik. Eröffnet wird der "Tirol-Tag" von Landeshauptmann Wendelin Weingartner, der auch dem heutigen Start des Forums beiwohnte.
Aus: Der Standard, 18.08.2000

Aus den e-mails an die Redaktion:

Europäische Neutralität
Was will er bitte???
Sollen etwa die EU-Staaten, die gleichzeitig NATO-Mitglieder sind, aus dem Nordatlantikpakt austreten und sich alle 15 gemeinsam und kollektiv für neutral erklären?
Wo lebt dieser Mensch eigentlich? Wolfi im Wunderland?
War dieser Mensch wirklich einmal Außenminister?
Plinius der Jüngling

Mutmaßlich..
..lebt der Oppositionelle der jetzt Kanzler spielen darf, der Zupfgeigenhansl des Kärntner Landeshauptmannes, dieser geistige Riese,
a) im Erdbeerland,
b) im Grabsteinland, oder
c) im Selbstbewunderungsland.
Alle Antworten sind gültig, der Gewinner erhält ein gemeinsames Wochenende mit Susi und Strolchi...
Günter Reisenauer

Bemitleidenswert, der Mann.
Zuerst posaunt er hinaus:
"dann muss es irgendwann einmal zu einer gemeinsamen Bündnisverpflichtung der Mitgliedsstaaten kommen, und damit auch zu einer handlungs- und schlagkräftigen militärischen Schutzgemeinschaft"
Dies war auch für den Pressesprecher zu wenig, also lässt er Schüssel weitersprechen:
"Es gehe nicht darum, einem 'simplen Militarismus das Wort zu reden'."
Und ab geht es nach Nord und Süd, nach Ost und West ...
Ja, das muss wohl extra dazugesagt werden.
Diwan Bartwisch

Zur "Österreich-Seite"

Zu anderen Regionen/Ländern

Zurück zur Homepage