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Österreichs Selbstbedienungsladen

Liberalismus in dreister Vollendung

Von Hannes Hofbauer, Wien *

Ein seit Wochen tagender parlamentarischer Untersuchungsausschuss zu Korruption und Bestechlichkeit fördert in Österreich Tag für Tag neue Skandale an die Oberfläche. In der Ära unter Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (2000 bis 2007) scheinen sich Rechte und Liberale hemmungslos bereichert zu haben.

Zurzeit steht der Ausschuss im Banne der Affaire Telekom. Aussagen von ehemaligen Mitarbeitern und immer noch tätigen Lobbyisten zeigen ein System, in dem sich der größte österreichische Kommunikationskonzern, zu dem auch bulgarische, serbische, kroatische, belarussische und liechtensteinische Firmentöchter gehören, Gesetze schlicht und einfach gekauft hat. Im Fall der Erarbeitung einer sogenannten Universaldienstverordnung, die das Recht auf Gebührenerhebung für andere Anbieter regelte, soll das entsprechende Gesetz am Schreibtisch von Telekom-Juristen entstanden sein. Die sandten, so die Aussage eines Mitarbeiters, den Text an den zuständigen Minister, der im Verfahren »Kopieren und Einfügen« den ministeriellen Briefkopf darüber setzen lassen hat. Von den dadurch entstandenen riesigen Gewinnen hätten sowohl der Minister wie auch seine engste Sekretärin profitiert und ein paar Krümel abbekommen, indem jahrelang Telekom-Überweisungen auf ihre Konten geflossen wären. Eine drohende Kartellstrafe in Millionenhöhe ist auf ähnlichem Wege entschärft worden.

Drehscheibe dieses Systems Telekom war der Lobbyist und - laut Selbstbekenntnis - Freimaurer Peter Hochegger, der im Parlamentsausschuss aus der Schule für Bereicherung plauderte. 28 Personen aus der Politik, darunter mehrere Minister, hätten auf seiner Gehaltsliste gestanden, gab er unumwunden zu. Gesetze habe er nicht verletzt, moralisch zweifelhaft sei sein Vorgehen aber allemal gewesen, meinte er vor der Ausschussvorsitzenden Gabriele Moser (Grüne). In allen Parteien, so Hochegger, habe er Leute gehabt, die seinen Kunden, darunter Großkonzernen wie der Telekom, Türen in die Ministerbüros geöffnet hätten. Mit diesen Kontakten wären entsprechende Gesetze leichter zu beschließen gewesen. Dass sich die Minister dafür Wahlkämpfe bezahlen und die Hobbys ihrer Kinder sponsern ließen oder monatliche Überweisungen oder jahrelange Beraterverträge einstrichen, war offensichtlich Teil des Deals.

Österreichs Medienwelt ist empört. In vielen Kommentaren ist von Demokratiegefährdung durch um sich greifende Korruption zu lesen. Diese Einschätzung ist nicht einmal die halbe Wahrheit. Denn tatsächlich handelte es sich bei all diesen Korruptionsvorgängen um direkte Folgen einer Privatisierungswelle, die insbesondere zwischen 2003 und 2007, in der Regierungszeit des zweiten Kabinetts Wolfgang Schüssel, betrieben worden ist. In dieser Koalition aus ÖVP und FPÖ, von der sich während der Legislaturperiode das BZÖ abspaltete und ohne weiteren Wählerauftrag in der Regierung verblieb, haben sich - so wird nun überdeutlich - vor allem Führungskräfte des BZÖ (Bündnis Zukunft Österreich) schamlos bereichert. Gesetze waren gegen Geld zu haben.

Auch die Telekom war so ein Fall. Im April 2003 kam es zum Privatisierungsbeschluss durch den Ministerrat; die folgenden Monate und Jahre ließen sich die entsprechenden Regierungsstellen - wie die Aussagen und der teilweise veröffentlichte E-Mail-Verkehr belegen - ihre Dienste entlohnen. Als Vermittler waren Werbeagenturen und Lobbyisten unterwegs. Das rechtsliberale BZÖ handelte entsprechend seiner Philosophie, möglichst wenig für den Staat und möglichst viel privat einzunehmen. Die ehemaligen FPÖler an den politischen Machthebeln sahen nicht ein, warum für ihre finanzschwache neue Gruppe des BZÖ und ihr persönliches Umfeld bei diesem Vorgang nichts herausspringen sollte.

* Aus: neues deutschland, 18. Februar 2012


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