"Eine Befriedung des Konfliktes im Nahen Osten ist nur mit allen Konfliktparteien zu bewerkstelligen"
Der österreichische Bundeskanzler möchte an die außenpolitische "Tradition im Kreiskyschen Sinne" anknüpfen
Im Folgenden dokumentieren wir den außenpolitischen Teil eines Interviews mit dem österreichischen Bundeskanzler Gusenbauer, das die Tageszeitung "Neues Deutschland" am 25. August veröffentlicht hat.
Konfliktprävention statt Auslandseinsätze
Politisch hat die SPD dieser Tage
mit einem Vorschlag zur Verteidigungspolitik
aufhorchen lassen,
der einen Schritt weg von der
Wehrpflicht geht. Wie sieht das die
SPÖ?
Alfred Gusenbauer: Ich halte an der allgemeinen
Wehrpflicht fest. Es ist wichtig,
dass das Bundesheer in die gesellschaftliche
Struktur eingebettet
bleibt. Bei einem Berufsheer ist die
Neigung, Soldaten im Ausland einzusetzen,
bedeutend größer, als
wenn es die allgemeine Wehrpflicht
gibt. Die SPÖ setzt auf Konfliktprävention
und Konfliktvermeidung.
Wir haben keine Priorität,
das österreichische Bundesheer
für etwaige Kampfeinsätze
einsatzfähig zu machen. Unsere
Expertise liegt in friedenserhaltenden
Maßnahmen. Wir haben nicht
vor, unser Bundesheer quasi auf
Knopfdruck für jede Art von internationalem
Einsatz bereitzustellen.
Auf EU-europäischer Ebene
herrscht das Prinzip der ökonomischen
Konvergenz bei gleichzeitiger
sozialer Divergenz. Die Steuerpolitik
unterstreicht dies. Da
gibt es die unterschiedlichsten Unternehmensbesteuerungen
von Progression bis Flat tax. Wie kann
daraus ein soziales Europa werden?
Bevor man über Harmonisierung
von Steuersätzen reden kann,
wäre zu klären, was die Steuerbasis
ist. Ich bin der Meinung, dass in
Europa auf Basis einer einheitlichen
Grundlage Steuern bezahlt
werden sollen, egal wie hoch sie
sind. Der erste Schritt wäre eine
Vereinheitlichung der Steuerbemessungsbasis,
erst dann kann
man die Frage der Steuerharmonisierung
diskutieren.
Auch demokratiepolitisch steht
die EU nicht gerade als Vorbild da.
Nationale Exekutive wird im Rat
zur supranationalen Legislative.
Damit ist eigentlich das System
des Parlamentarismus ausgehebelt.
Gibt es Überlegungen Ihrerseits
dazu?
Der europäische Verfassungsvertrag
hat graduell einen Fortschritt
für das Europäische Parlament
bedeutet. Und eine Stärkung
des Europäischen Parlaments sollte
der Nukleus der Demokratisierung
sein. Derzeit ist die Bereitschaft
in Europa, einen Sprung in
Richtung Demokratisierung und
Europäisierung zu machen, nicht
gegeben. Die Verhältnisse für eine
fortschrittliche Europapolitik haben
sich in den letzten Jahren
nicht verbessert, sondern verschlechtert.
Der Konventvorschlag
wurde verwässert, darauf kamen
unterschiedliche Abstimmungsprozeduren,
anschließend jahrelanges
Dead lock. Jetzt gibt es ein
Mandat. Wir haben uns vom ursprünglichen
Konventtext, der der
weitestgehende war, schon weit
entfernt.
Alfred Gusenbauer
Seit mehr als einem halben
Jahr führt Bundeskanzler
Alfred Gusenbauer eine rot-schwarze Koalitionsregierung
an der Donau. Der 47-jährige frühere Friedensaktivist
und sozialistische Jugendfunktionär hatte im Jahr
2000 den Vorsitz der Sozialdemokratischen
Partei Österreichs (SPÖ) übernommen, die
Partei entschuldet und im Oktober 2006 für einen überraschend
klaren Wahlsieg gesorgt.
Im Interview spricht der
promovierte Politikwissenschaftler
über das Phänomen politischer Harmonisierungsprozesse
in der Europäischen Union, den Wettbewerb als gesellschaftliche
Triebkraft und die Notwendigkeit einer Friedenspolitik
durch Konfliktvermeidung.
Hannes Hofbauer, Historiker und Publizist aus Wien, traf den österreichischen Bundeskanzler in seinem Amtssitz am Wiener
Ballhausplatz zum Sommergespräch.
Anlässlich Ihres Regierungsantritts
haben Sie Bruno Kreisky als
Vorbild genannt. Kreisky hat die so
genannte aktive Neutralitätspolitik
propagiert und ist als Vermittler
in Krisenregionen aufgetreten.
Gibt es heute überhaupt noch eine
»österreichische« Außenpolitik?
Im Nahen Osten wäre eine Tradition
im Kreiskyschen Sinne gefragt.
Im ersten Halbjahr meiner Regierungszeit
ist es darum gegangen,
Österreich vernünftig in Europa
zu positionieren, das heißt
gute Beziehungen zu unseren
Nachbarn zu gestalten, die Russlandpolitik
zu ordnen... Jetzt werde
ich mich stärker um den Nahen
Osten kümmern und im September
nach Israel reisen.
Auch nach Palästina?
Selbstverständlich. Wir werden
uns auch an der Vorbereitung für
den Afrikagipfel aktiv beteiligen,
weil ich es beschämend finde, was
bisher an den Millenniumszielen
alles nicht erreicht worden ist. Europa
hat in seiner Afrikapolitik
enormen Aufholbedarf.
Gibt es eine sozialdemokratische
Bereitschaft, mit der gewählten
palästinensischen Regierung und
Vertretern der Hamas in Kontakt
zu treten?
Einige der sozialdemokratischen
Außenminister haben das über
verschiedene Wege bereits entriert.
Da wurden Fäden geknüpft.
Sie wollen diesen Weg weitergehen?
Die offizielle Position der EU ist
klar. In den nächsten Monaten
wird es sicher keine gemeinsame
Lösung mit der Hamas geben. Aber
früher oder später muss man davon
ausgehen, dass eine Befriedung
des Konfliktes im Nahen Osten
nur mit allen Konfliktparteien
zu bewerkstelligen ist. Das steht
meiner Meinung nach außer Frage.
Weitere Zitate aus dem Interview
Auf die Frage nach Gemeinsamkeiten oder Unterschieden der Sozialpolitik der Großen Koalition in Deutschland und deer Großen Koalition in Österreich:
Sozialpolitisch ist Deutschland
von der ewigen Diskussion um
einen gesetzlichen Mindestlohn
geprägt, während in Österreich der
Mindestlohn de facto über einen
Generalkollektivvertrag der Sozialpartner
existiert. (...)
Außerdem gibt es in Österreich offensichtlich
eine größere Bereitschaft
zur sozialpolitischen Innovation.
Hier wird nicht unter dem
Titel der Sozialreform Sozialabbau
diskutiert, sondern im Gegenteil:
Wir diskutieren, wie wir unser Sozialsystem
wasserdicht machen können.
Und hier ein Auszug aus Gusenbauers Grußbotschaft zum Hiroshima-Tag
Österreich wird sich gemeinsam mit der Friedensbewegung weiterhin für eine konsequente Abrüstungs- und Non-Proliferationspolitik engagieren. Im Rahmen des NPT, in der Genfer Abrüstungskonferenz, in den Vereinten Nationen. Die IAEO ist ein wichtiger und unersetzbarer Bestandteil in den internationalen Bemühungen das Gefährdungspotential zu minimieren.
Tatsächlich benötigen wir heute mehr denn je internationale Schritte zur atomaren Abrüstung. Ich appelliere daher auch an alle Staaten, endlich den Vertrag über ein umfassendes Verbot von Atomtests (CTBT) zu ratifizieren und rasch ein Verbot für die Produktion von Waffenfähigem Nuklearmaterial auszuverhandeln. Gemeinsam müssen wir darauf dringen, dass die Lehren aus Hiroshima und Nagasaki endlich gezogen werden. Nur eine Welt ohne Nuklearwaffen ist eine sichere Welt.
Siehe: www.
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