Rückkehr des Klassenkampfes
Österreichs Arbeitnehmervertretungen bringen sich in Debatte um Budgetsanierung ein
Von Hannes Hofbauer, Wien *
Ungewohnt kampfbereit hat sich am
vergangenen Wochenende die Führung
des Österreichischen Gewerkschaftsbundes
(ÖGB) zu Wort gemeldet.
Gemeinsam mit Vertretern der
Arbeiterkammer waren 400 Delegierte
zusammengerufen worden, um
Druck auf die Regierungsgespräche
zur Haushaltssanierung auszuüben.
Seit Wochen ringt die Wiener Koalitionsregierung
aus sozialdemokratischer
SPÖ und konservativer
ÖVP um ein Sparpaket, das sie sich
selbst auferlegt hat. Die Zurückstufung
österreichischer Staatsanleihen
durch die Ratingagentur
Standard & Poor’s gab den Sparmeistern
weiteren Schwung, Wirtschaftsforscher
aus liberalen
Denkfabriken taten ihr Übliches.
Die von der bürgerlichen Presse –
und eine andere existiert nicht in
gedruckter Form in Österreich –
breitgewalzten Vorschläge zur sogenannten
Schuldenbremse reichen
von der Anhebung des Pensionsalters
über die Erhöhung der
Mehrwertsteuer, Einsparungen im
Gesundheitswesen und einem
Aufnahmestopp bei Staatsdienern
(außer in Polizei und Justiz) bis zur
Änderung der Verwaltungsstruktur
zwecks Abbau von Personal.
Das Minus im Staatssäckel müsse
ausgabenseitig bereinigt werden.
Bundeskanzler Werner Faymann
(SPÖ) hält sich an ein selbst
auferlegtes Schweigegebot und
kommentiert die Vorschläge nicht.
Allenfalls aus der Provinz sind
Stimmen zu hören, die vor einem
»Kaputtsparen« mit dem Argument
des drohenden Kaufkraftverlustes
warnen. Liberale Ideen
halten das mediale Terrain fest im
Griff. Der Staat, so ihr primitiv gestricktes
Denkmuster, müsse wie
ein Unternehmen betrieben werden,
also profitabel, dürfe aber
keinesfalls neue Steuern einführen.
Nun meldete sich nach monatelanger
Abwesenheit die Gewerkschaft
zurück, zumindest in
der Debatte. Mit Unterstützung der
Arbeiterkammer, einer aus ständischem
Denken verbliebenen Organisation
der Lohnabhängigen,
die derzeit eine gut ausgerüstete
Denkfabrik für Wirtschaftsfragen
betreibt, legte man ein Konzept zur
Sanierung der Staatsfinanzen vor,
das über das scheinbar unumstößliche
Credo der ausgabenseitigen
Lösung hinausreicht. ÖGBChef
Erich Foglar skizzierte die
Vorschläge der Arbeiter- und Angestelltenvertretung
vor der Presse.
So sollen von den regierungsseitig
veranschlagten zehn Milliarden
Euro, die in den kommenden
fünf Jahren zusätzlich benötigt
würden, um der Schuldenfalle
zu entkommen, mehr als die Hälfte
aus neuen Steuern requiriert
werden. Die Megaprofite, die viele
Unternehmer seit der Ostöffnung
gemacht hätten, rechtfertigten
nun, diese zur Kasse zu bitten. Die
Statistik unterlegt sein Argument.
Allein im vergangenen Jahrzehnt
hat sich die Schere zwischen Kapitaleinkommen
und Arbeitseinkommen
stark erhöht. Ersteres
verdoppelte sich, während unselbstständige
Einkommen gerade
einmal um zwölf Prozent stiegen.
Das Budgetsanierungskonzept
der Gewerkschaft sieht u.a. die
Wiedereinführung von Erbschaftsund
Schenkungssteuer vor, eine
gerechte Besteuerung von Privatstiftungen,
die Erhöhung des Spitzensteuersatzes
von 50 auf 55
Prozent, eine massive Anhebung
der Grundsteuer, die Reduktion
der Möglichkeit, Verluste im Ausland
in der heimischen Unternehmensbilanz
abzuschreiben, sowie
eine Besteuerung von Vermögen,
die über 700 000 Euro liegen.
Die Forderungen klingen nicht
besonders revolutionär. Der
Nachdruck, mit dem sie aufgestellt
wurden, war allerdings ungewöhnlich
heftig. Hinter den Arbeitervertretern,
so Rudolf Kaske
vom ÖGB-Vorstand, stünden 1,2
Millionen Menschen, die es satt
hätten, für die Staatsschulden allein
aufkommen zu müssen. Nicht
sie seien es schließlich gewesen,
die 2008 die Finanzkrise ausgelöst
und damit die Misere ins Rollen
gebracht hätten. Sollte man nicht
gehört werden, sagte der Gewerkschafter
weiter, behalte man sich
alle Optionen des Kampfes vor,
auch die letzte, wie er betonte: den
Streik.
Im sozialpartnerschaftlich beruhigten
Österreich sind derlei
Töne nicht oft zu hören. Entsprechend
alarmiert geben sich Unternehmervertreter
und ÖVP. Beide
wollen von einnahmenseitigen
Sanierungsmaßnahmen nichts
wissen und beharren auf dem liberalen
Diktum: weniger Staat,
mehr privat. Die Gewerkschaft
scheint, reichlich spät, aber nun
doch aufgewacht zu sein. Und sie
will »die Stimmung der Menschen
draußen«, wie ÖGB-Chef Foglar es
nannte, in die Verhandlungen und
– notfalls – auf die Straße bringen.
* neues deutschland, 27. Januar 2012
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