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Schwierige Vergangenheitsbewältigung

Österreich: SPÖ und ÖVP streiten um Rehabilitation von Opfern des Austrofaschismus

Von Velten Schäfer *

Fast 80 Jahre nach dem Staatsstreich des Regimes von Engelbert Dollfuß wird zwischen Österreichischer Volkspartei (ÖVP) und den Sozialdemokraten von der SPÖ wieder einmal darüber verhandelt, die Opfer des »austrofaschistischen« Regimes (1933 bis 1938) unter Dollfuß und seinem Nachfolger Kurt Schuschnigg zu rehabilitieren.

Die Verhandlungen, die bezeichnenderweise auf eine Initiative von außerhalb des parteipolitischen Raumes zurückgehen, gestalten sich offenbar überaus schwierig. Im Frühjahr hieß es, eine Lösung könne »bis Sommer« präsentiert werden. Ende September war wieder einmal die Rede von einer baldigen Einigung, Anfang Oktober wurde immerhin eine Gesetzesvorlage bekannt - doch der Streit hat schon längst wieder angehoben. So sehr nämlich ÖVP und SPÖ in Österreich politisch zusammenglucken und Skandale gern auch mal gemeinsam unter den Teppich kehren, so unversöhnlich stehen sich Rot und Schwarz zwischen Salzburg und Klagenfurt auf dem geschichtspolitischen Feld gegenüber.

Es geht dabei ums Eingemachte: Während sich erhebliche Teile der ÖVP bis heute fast bruchlos auf das »christsoziale Lager« der »Ersten Republik« (1919 bis 1933) berufen, aus dem die Regierung unter dem Kruckenkreuz hervorging, spielt im Selbstbild überzeugter Sozialdemokraten der von Kanzler Dollfuß 1934 niedergeschlagene »Februaraufstand« - der einer Durchsuchung eines Parteiheims der Sozialdemokraten folgte - noch immer eine große Rolle. Während auf Gedenktafeln, etwa in dem oberösterreichischen Salinenarbeiterstädtchen Ebenesee, das damals eines der Zentren der Kämpfe war, vom »ersten entschlossenen Widerstandsversuch gegen den Faschismus in Europa« die Rede ist, hängt in den Fraktionsräumen der Wiener ÖVP wohl weiterhin das Porträt des Diktators, der im Juli 1934 von nationalsozialistischen Putschisten erschossen wurde.

Obwohl weitreichende materielle Folgen nicht zu erwarten sind, scheint an dem Gesetz fast alles umstritten. Der Streit beginnt schon bei der Überschrift: Darf das Regime, das standrechtliche Erschießungen einführte und KPÖ wie SPÖ verbot, den »unfehlbaren Gott« als Quelle des Rechts einsetzte, Medien unterdrückte, Büchereien »säuberte« und »Anhaltelager« einrichtete, in denen schon ab 1934 neben Kommunisten, Anarchisten und Sozialdemokraten auch die österreichischen NSDAP-Leute saßen, als »Faschismus« bezeichnet werden? Im vom rot-schwarzen Parlamentspräsidium zwischen Barbara Prammer (SPÖ) und Fritz Neugebauer (ÖVP) verhandelten Entwurf kommt das F-Wort wieder einmal nicht vor. Auch eine Verurteilung des Regimes, das für hunderte Tote und etwa 16 000 Inhaftierungen verantwortlich war, wird in dem Text nicht vorgenommen. Neugebauer sagte dazu im »Standard«, die Politik solle keine historischen Wertungen vornehmen.

Schon das kritisieren die meisten Sozialdemokaten und auch die Grünen heftig. Und weitere Details verstärken den Ärger. Das Gesetz soll sich nämlich strikt auf diejenigen beschränken, die von der Dollfuß-Schuschnigg-Justiz formell belangt wurden - gerade die »wilden« Erschießungen des Jahres 1934 fielen nicht darunter. Wer aus dem Land hatte fliehen müssen, würde ebenfalls nicht rehabilitiert - und auch diejenigen nicht, die sich jemals für einen »Anschluss« ausgesprochen hatten. Das könnte den Kreis der »Rehabilitierten« sehr eng ziehen: Vor 1933 hatte eigentlich nur die KP konsequent eine österreichische Eigenstaatlichkeit vertreten.

Während in Deutschland das Zerwürfnis der linken Parteien den Aufstieg Hitlers begünstigte, hat das Dollfuß-Regime beim Versuch, die Nazis zu »überhitlern«, die Immunität der Republik zerstört - eine tragische Episode. So sieht in etwa das Geschichtsbild der ÖVP aus. Sozialdemokraten und Grüne betonen dagegen, dass der eigentliche Feind der Dollfuß-Leute immer die Linke gewesen sei. Eine konsensfähige Version der »Ersten Republik« und ihres Endes, eines entscheidenden Moments der österreichischen Geschichte, scheint nach wie vor in weiter Ferne.

* Aus: neues deutschland, 14. Oktober 2011


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