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Ende einer Ära

Österreichs ehemaliger Bundeskanzler legt Mandat zurück. Ermittlungen gegen frühere Minister

Von Simon Loidl *

Die österreichische Innenpolitik ist derzeit von der Aufarbeitung der zwischen 2000 und 2006 regierenden rechtsbürgerlichen Koalitionen geprägt. Am Montag kündigte der Bundeskanzler dieser Jahre, Wolfgang Schüssel von der Österreichischen Volkspartei (ÖVP), seinen Rücktritt als Abgeordneter des österreichischen Nationalrats an. Beobachter werten diesen Schritt als Schuldeingeständnis Schüssels in Zusammenhang mit diversen Korruptionsvorwürfen gegen Minister der ÖVP-Koalitionen mit Jörg Haiders Freiheitlicher Partei Österreichs (FPÖ) bzw. – nach deren Spaltung – dem Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ).

Schüssel wies in einer Pressekonferenz Anfang der Woche jedoch alle Vorwürfe zurück und zeigte sich noch einmal überzeugt davon, daß während der Zeit seiner Kanzlerschaft vorwiegend positive Arbeit geleistet wurde. Er betonte, daß es »sachlich ungerecht und unverantwortlich« sei, seine Partei mit Korruption in Zusammenhang zu bringen. Sein Rücktritt sei keineswegs ein Hinweis auf Verstrickungen in die aktuelle »Telekom-Affäre«. Bei dieser geht es um undurchsichtige Zahlungen an mehrere ehemalige Minister und parteinahe Firmen. Im Raum steht der Verdacht, daß politische Weichenstellungen, die für die österreichische Telekom nützlich waren, schlicht von dem Unternehmen »gekauft« wurden. Die Staatsanwaltschaft ermittelt.

Schüssel sagte, er wolle durch seinen Rücktritt lediglich »eine objektive, eine von jeder politischen Beeinflussung oder medialen Vorverurteilung unabhängige Aufklärung durch die Justiz erleichtern«. Er betonte, daß er als Regierungschef an die Mitglieder seines Teams »hohe Anforderungen hinsichtlich Vertrauenswürdigkeit und Integrität gestellt« habe. Allerdings könne er nicht ausschließen, daß sein »Vertrauen von Einzelnen getäuscht oder mißbraucht wurde. Niemand würde dies mehr bedauern als ich selbst.«

Daß der ehemalige Kanzler die »Integrität« seiner früheren Mitarbeiter und die »hohen Anforderungen« an diese betont, wirkt nicht nur angesichts der umfangreichen juristischen Aufarbeitung der schwarz-blauen bzw. schwarz-orangen Koalition skurril. Allein die häufigen Ministerwechsel während der Schüssel-Jahre waren ein Ausdruck dessen, was der österreichische Schriftsteller Karl-Markus Gauß in einem bereits 2009 verfaßten Essay beschrieb. Noch nie hätten »so viele dummen Menschen so hohe Positionen innegehabt« wie während der Regierungsbeteiligung der Freiheitlichen.

Die derzeit im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehende Telekom-Affäre ist lediglich ein weiterer Höhepunkt in einer Reihe von zahlreichen Skandalen und Vorwürfen, welche die österreichische Justiz seit Jahren beschäftigen. Ermittelt wird etwa rund um mutmaßliche Bestechungszahlungen, die den Ankauf der Eurofighter im Jahr 2002 begleiteten. Bis zu 100 Millionen Euro an Schmiergeldern sollen zwischen Lobbyisten, dem Eurofighterhersteller EADS und mehreren FPÖ-Politikern geflossen sein. Außerdem beschäftigt die Staatsanwaltschaft die Privatisierungspolitik der Schüssel-Regierung. Auch hier geht es um die Zahlung von »Provisionen« etwa im Zuge des Verkaufs des vormals in Bundesbesitz befindlichen Wohnungsunternehmen BUWOG.

Im Zentrum dieser Affären steht der damalige Finanzminister Karl-Heinz Grasser. Gegen ihn wird derzeit wegen des Verdachts auf Amtsmißbrauch, Geldwäsche und unerlaubte Annahme von Zuwendungen ermittelt. Die Justiz geht dabei von einem Netzwerk aus Stiftungen und Firmen in Liechtenstein, auf Zypern und in der Karibik aus, mit deren Hilfe Grasser Einkünfte und illegale Zahlungen verschoben haben soll.

Der ehemalige Finanzminister selbst weist ebenfalls alle Vorwürfe zurück. Ende 2010 erstattete er jedoch Selbstanzeige wegen Steuerhinterziehung. Er gab an, in den Jahren 2002 und 2008 Einkünfte aus Spekulationsgewinnen und Dividenden nicht versteuert zu haben. Der Ermittlungsdruck in diesem Bereich war damals offensichtlich zu groß geworden, und Grasser trat die Flucht nach vorne an.

Im Zuge der juristischen Aufarbeitung wird vieles von dem bestätigt, was Beobachter den schwarz-blau-orangen Regierungen bereits bei Antritt des ersten Schüssel-Kabinetts im Februar 2000 vorgeworfen hatten. Doch auch die schärfsten Kritiker gingen damals davon aus, daß es sich um ein neoliberales politisches Projekt handelte, mit Hilfe dessen ÖVP und FPÖ die Republik nachhaltig umbauen wollten. Der Chefredakteur des österreichischen Magazins profil stellte nach den neuesten Enthüllungen jedoch bereits die Frage, ob »die schwarz-blaue Ära ein politisches oder letztlich nur ein kleptokratisches Experiment« gewesen sei.

* Aus: junge Welt, 8. September 2011


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