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Apartheid in Alice Springs

Rassistische Kampagnen bedrohen Kultur der australischen Aborigines

Von Maria Röckmann, Brisbane *

Mit einer Petition an die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Navi Pillay, wollen Menschenrechtsaktivisten in Australien auf die Gefährdung der Aborigines im Norden des fünften Kontinents aufmerksam machen. Die älteste noch lebende Kultur unserer Erde sei vom Aussterben bedroht, warnt die Aktionsgruppe »Rollback the Intervention« im Vorfeld des für Mai geplanten Australien-Besuchs von Pillay. Ihre Kampagne richtet sich gegen Maßnahmen der Behörden, die den Menschen in nordaustralischen Aborigine-Gemeinden seit fast vier Jahren ihre Selbstbestimmung nehmen.

In vielen dieser Gemeinden fehlt es an allem, von guter Infrastruktur über Arbeitsstellen bis hin zu angemessenem Wohnraum. Zwar habe die australische Regierung zugesagt, in Nordaustralien neue Arbeitsstellen zu schaffen, Häuser zu sanieren und in die Infrastruktur zu investieren. Diese Versprechen seien jedoch gebrochen worden, kritisiert John Leemans, Sprecher des Gurindji-Stamms in Nordaustralien. Statt dessen habe die Regierung Gelder für selbstbestimmte soziale Projekte gestrichen und öffentliche Arbeitsstellen gekürzt.

So verlassen viele Menschen aus ökonomischen Gründen ihre traditionellen Herkunftsorte, was für die Kultur der Ureinwohner fatale Folgen habe, so Leemans. »Wir sind mit unseren traditionellen Ländern verwurzelt, es ist das Land unserer Vorfahren. Wenn wir es verlassen müssen, gehen unsere spirituellen Verbindungen verloren.«

»Viele unserer Traditionen und Sprachen sind in der Vergangenheit bereits ausgestorben«, warnt auch Lara Watson aus Brisbane, die die Gemeinden in Nordaustralien besucht hat. »Ich möchte unsere Kultur erhalten und dafür kämpfe ich.«

Die Folgen der von Kritikern als Assimilierungspolitik bezeichneten Maßnahmen seien bereits spürbar, so Leemans. Von ihrem Land entwurzelten Menschen fühlen sich »verloren und leer, sie trösten sich mit Alkohol«. Ironischerweise waren gerade Alkoholprobleme in Aborigine-Gemeinden im August 2007 ein Grund für die Intervention im Norden Australiens. Seitdem ist die Zahl der Delikte im Zusammenhang mit Drogen und Alkohol jedoch um 87 Prozent gewachsen. Im gleichen Zeitraum stieg auch die Zahl der Menschen, die versucht haben, sich selbst zu verletzen oder gar das Leben zu nehmen, um 50 Prozent.

Eine weitere Folge der Regierungsmaßnahmen sind rassistische Spannungen in Alice Springs. Die Touristenhochburg machte in den letzten Monaten aufgrund einer gestiegenen Kriminalitätsrate Schlagzeilen. Eine Gruppe von Geschäftsleuten startete daraufhin eine Kampagne, die jugendliche Aborigines als Gangmitglieder stigmatisiert. Dadurch sei »in Alice Springs eine Atmosphäre von Apartheid geschaffen« worden, so »Rollback the Intervention«. Die Aborigines seien hier zur Zielscheibe brutaler Übergriffe von Polizei und Sicherheitskräften in der Öffentlichkeit geworden, »nur weil sie Alkohol bei sich haben oder einkaufen gehen«.

* Aus: junge Welt, 8. April 2011


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