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Ohrfeige für Gillard & Co

Urteil zur Asylpolitik herber Rückschlag für australische Regierung

Von Thomas Berger *

Dieses Urteil hat unser bisheriges Verständnis des Gesetzes auf den Kopf gestellt«, wird eine sichtlich geschockte Julia Gillard in den Medien zitiert. In der Tat ist es ein wegweisender Richterspruch, den Australiens Oberster Gerichtshof verkündet hat: Der mit Malaysia ausgehandelte Deal zum »Austausch« von Flüchtlingen ist hinfällig. Weil das südostasiatische Land die UN-Flüchtlingskonvention nicht unterzeichnet hat, dürften keine Asylsuchenden von Australien nach Malaysia »verlagert« werden, schrieben die Richter der sozialdemokratischen Labor-Regierung ins Stammbuch. Das trifft natürlich nicht nur Premierministerin Gillard und ihr Kabinett hart. Erstmals ist in dieser Tragweite von höchstrichterlicher Instanz auf dem fünften Kontinent der grundlegende Schutz von Flüchtlingen festgeschrieben worden.

Das Urteil rüttelt nicht direkt an der umstrittenen, aber von einer breiten Mehrheit in offizieller Politik und Bevölkerung getragenen Praxis, insbesondere per Boot ankommende und von der Küstenwache aufgegriffene Süd­asiaten, Iraker, Iraner und Kurden bis zum Entscheid über den Asylantrag in Internierungslagern unterzubringen. Es ändert auch zunächst nichts an der verschärften Kasernierung Hilfesuchender jenseits des Festlandes wie auf Christmas Island. Die Insel liegt rund 350 Kilometer südlich der indonesischen Insel Java und etwa 1500 Kilometer nordwestlich der australischen Festlandsküste. Wegen ihrer Nähe zu Indonesien ist die Insel immer wieder Ziel von Flüchtlingen. Auf der Insel befindet sich daher eines von Australiens wichtigsten Lagern. Das Camp aus allen Nähten platzt und die Insassen machen immer wieder mit Verzweiflungsprotesten auf ihre dramatische Lage aufmerksam.

Aber zumindest unterschwellig wirft das Urteil die Grundfrage auf, wie durch die Behörden mit jenen Menschen umzugehen ist, die Schutz und Zuflucht suchen.

Ansatzweise scheint die Dimension auch bei den politisch Verantwortlichen anzukommen. Die Pläne, auch mehrere einst schon in Betrieb gewesene Lager andernorts wie auf Papua-Neuguinea wieder in Betrieb zu nehmen, scheinen vorerst auf Eis gelegt. Dazu müßte nach dem Urteil noch einmal die Rechtslage geprüft werden, hieß es zurückhaltend. Doch nicht nur die Sozialdemokraten dürfen den Richterspruch als Ohrfeige werten. Er trifft genauso die heutige konservative Opposition aus Liberaler und Nationaler Partei, die zu ihren Regierungszeiten unter Expremier John Howard die sogenannte »pazifische Lösung« eingeführt und damit die Auslagerung ungewollter Bootsflüchtlinge zur gängigen Praxis gemacht hatte.

Jubeln können hingegen alle, die sich schon immer auf der Straße, bei Konferenzen oder als absolute Außenseiter im Parlament für ein humanes Vorgehen eingesetzt hatten. Als Sieg des Rechts Schutzbedürftiger feiern Menschenrechtler beiderseits des trennenden Meeresabschnittes das Urteil. In Malaysia wird nun der Druck auf die dortige Regierung wachsen, endlich statt Lippenbekenntnissen zu angeblich »gleichrangiger Behandlung« tatsächlich die UN-Flüchtlingskonvention zum Maßstab des Handelns zu machen. In Australien wiederum schließen die Freudenbekundungen auch die Grünen ein, die die Labor-Regierung tolerieren. Jetzt sei es an der Zeit für ein politisches Umlenken, mahnte die grüne Senatorin Sarah Hanson-Young in Richtung Gillard & Co.

Die Regierung flüchtete sich zunächst in Panikmache, daß nun die Zahl der Neuankömmlinge wieder deutlich steigen werden. Bislang wurden dieses Jahr 36 Flüchtlingsboote mit 2183 Insassen gezählt – 2010 waren es insgesamt 134 Boote mit 6535 Flüchtlingen. Ende August waren 4427 Personen auf dem Festland interniert, 811 auf Christmas Island »ausgelager«. 800 Flüchtlinge sollten »zur Bearbeitung« nach Malaysia transferiert werden, dafür war im Austausch die Aufnahme von 4000 bisher dort Festsitzenden vorgesehen.

* Aus: junge Welt, 5. September 2011


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