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Inselstreit und Spionageflüge

"Shangri-la Dialogue" 2015: In Singapur tagt ab heute "Asiens Münchner Sicherheitskonferenz". Auch USA und BRD nehmen teil. China wirbt für regionalen Sicherheitsrahmen

Von Jörg Kronauer *

Diesmal kommt die Ministerin selbst. Hatte die Bundesregierung sich 2014 noch damit begnügt, mit Ralf Brauksiepe einen der beiden parlamentarischen Staatssekretäre im Bundesverteidigungsministerium zum »Shangri-La Dialogue« nach Singapur zu entsenden, so nimmt dieses Jahr Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) persönlich an der am heutigen Freitag beginnenden Konferenz teil. Und das nicht ohne Grund. Schließlich treffen beim jährlich abgehaltenen »Shangri-La Dialogue«, der hierzulande noch recht unbekannt ist, Verteidigungsminister und Spitzenmilitärs aus zahlreichen Staaten Asiens aufeinander. Es handelt sich um die höchstrangige sicherheitspolitische Zusammenkunft des gesamten Kontinents. Da die Vereinigten Staaten sich weltpolitisch in zunehmendem Maß auf ihre Rivalität zu China konzentrieren, ist auch der US-Verteidigungsminister regelmäßig dabei. Der ungebrochene Aufstieg Asiens, vor allem Chinas, rechtfertigt die Mühe aus Washingtons Sicht allemal. Und auf Dauer kann auch Berlin, das in der Weltpolitik ein gewichtiges Wörtchen mitreden möchte, nicht nur untergeordnetes Personal nach Singapur entsenden. Immerhin wählt Deutschlands dortiger Botschafter in dem Stadtstaat mit 5,5 Millionen Einwohnern für die Veranstaltung gewichtige Worte: Er nennt sie inzwischen, wie manch anderer, schlicht »Asiens Münchner Sicherheitskonferenz«.

Brisante sicherheitspolitische Themen, die in Asien heiß debattiert und am Wochenende in Singapur wohl ausführlich besprochen werden, gibt es wahrlich genug. Eine wichtige Rolle spielen werden die Streitigkeiten um Inseln und Inselgruppen im Ost- und im Südchinesischen Meer, die jeweils von China und von einem oder mehreren weiteren Staaten beansprucht werden. In den vergangenen Wochen haben sich westliche Medien lauthals darüber empört, dass Peking mehrere Riffe, die seiner Auffassung nach zur Volksrepublik gehören, zu Miniaturinseln hat aufschütten lassen, um sie für wirtschaftliche Zwecke, für die Forschung sowie militärisch nutzen zu können. Auch das wird beim »Shangri-La Dialogue« wohl thematisiert. Kaum ignorieren lassen werden sich die provozierenden US-Spionageflüge über von China beanspruchten Riffen. Einer führte erst vor wenigen Tagen zu einem ernsthaften Konflikt zwischen Washington und Peking. Ebensowenig wird bei der Konferenz unbeachtet bleiben können, dass Japan massiv aufrüstet und, das Ganze mit einem krassen Geschichtsrevisionismus begleitend, bestehende Beschränkungen für seine Militäreinsätze aufheben will.

Ob die Spannungen in Ost- und Südostasien sich beim »Shangri-La Dialogue« auch diesmal in heftigem Streit entladen werden? Im vergangenen Jahr hatte der japanische Ministerpräsident Shinzo Abe die Konferenz eröffnet – und die Volksrepublik China attackiert. Niemand dürfe Territorialansprüche mit Gewalt durchsetzen, hatte er – genau dies Peking unterstellend – erklärt. Der damalige US-Verteidigungsminister Chuck Hagel unterstützte ihn. »Die USA werden nicht wegschauen, wenn jemand die fundamentalen Prinzipien der internationalen Ordnung anficht«, tönte er, Chinas Positionen im Inselstreit jede Legitimität absprechend. Und weiter: »Wir sind klar gegen Einschüchterung, Nötigung und Androhung von Gewalt.« Nun – für ihre Gewaltlosigkeit sind die USA natürlich berühmt. Die Äußerungen seien »eine Provokation« und »inakzeptabel«, beschwerte sich denn auch der stellvertretende Stabschef der chinesischen Volksarmee, Wang Guanzhong: »Wenn man sich die beiden Reden von Abe und Hagel anschaut, muss man sich fragen: Wer provoziert und wer macht Ärger?« Prompt hatte der »Shangri-La Dialogue« 2014 seinen Eklat.

Dabei geht es im Kern um weitaus mehr als um die Frage, welcher Staat welche Inseln und Inselgruppen für sich beanspruchen darf. Bei dem Treffen würden letzten Endes »zwei konkurrierende Visionen für die Asien-Pazifik-Region beworben«, bemerkte in seiner Konferenzberichterstattung vergangenes Jahr das in Tokio publizierte Internetmagazin The Diplomat. Japan wünsche »einen asiatischen Sicherheitsrahmen«, in dem es selbst »eine zentrale Rolle spielt«. Es setze dabei auf die traditionellen, aus dem Kalten Krieg überkommenen Bündnisse, also vor allem auf seinen Pakt mit den USA und deren sonstigen Militärkooperationen in der Region. Natürlich wird Tokio dabei nicht nur von Washington unterstützt. Neben US-Verteidigungsminister Ashton Carter werden unter anderem dessen Amtskollegen aus den NATO-Staaten Großbritannien und Spanien sowie aus dem mit dem Militärpakt verbundenen Australien zum »Shangri-La Dialogue« erwartet – und eben auch die deutsche Verteidigungsministerin.

China wiederum – so beschrieb es 2014 The Diplomat – setzt sich für einen neuen asiatischen Sicherheitsrahmen ein. Den hat Staatspräsident Xi Jinping im Mai vergangenen Jahres beileibe nicht zufällig auf einem Treffen der seit 1992 regelmäßig tagenden »Conference on Interaction and Confidence Building Measures in Asia« (CICA) skizziert. »Wir können nicht Sicherheit nur für eines oder für wenige Länder bilden und den Rest in Unsicherheit lassen«, erklärte Xi, ausdrücklich auf das »überholte Denken des Kalten Kriegs« anspielend. Er stellte klar: »Ein Militärbündnis, das auf eine dritte Partei zielt« – gemeint waren die USA –, »dient der gemeinsamen regionalen Sicherheit nicht.« Asiens Probleme müssten »von den Asiaten selbst gelöst werden«. Peking hätte sicherlich nichts dagegen, die CICA – ihr gehören bereits viele asiatische Länder an – zu einem Forum dafür zu entwickeln, zumal Japan und die Vereinigten Staaten darin nur Beobachterstatus haben. Ob diese bislang recht schwache Organisationsstruktur dafür aber überhaupt in Frage kommt, ist keineswegs klar.

Womöglich wird die Frage nach einem neuen asiatischen Sicherheitsrahmen beim »Shangri-La Dialogue« diesmal etwas offener thematisiert. US-Verteidigungsminister Carter jedenfalls wird sich am Samstag zum Thema »Die Vereinigten Staaten und Herausforderungen für die asiatisch-pazifische Sicherheit« äußern. Anschließend wird sein japanischer Amtskollege Gen Nakatani über »neue Formen der Sicherheitszusammenarbeit« in Asien spricht. Erst am Sonntag darf der stellvertretende chinesische Generalstabschef Sun Jianguo dann Pekings Positionen zur »Stärkung der regionalen Ordnung in der Asien-Pazifik-Region« vorstellen. Unabhängig davon macht sich die Regierung der Volksrepublik inzwischen auf breiter Ebene für ihre Vorstellungen stark: Am Montag hat sie in der chinesischen Hauptstadt die erste Jahrestagung des CICA-Nichtregierungsforums eröffnet – und dort um öffentliche Unterstützung für eine »regionale Sicherheitskooperation« geworben.

* Aus: junge Welt, Freitag, 29. Mai 2015


Was ist der »Shangri-La Dialogue«?

Offizieller Veranstalter des »Shangri-La Dialogue« ist das renommierte Londoner »International Institute for Strategic Studies« (IISS). Der 1958 gegründete Thinktank rühmte sich einst, »die intellektuellen Strukturen für die Bewältigung des Kalten Kriegs massiv beeinflusst« zu haben. Im Jahr 2002 hatte er zum ersten Mal maßgebliche Verteidigungsminister und Militärs aus mehreren asiatischen Staaten zu einem »Asia Security Summit« nach Singapur eingeladen. Es war die Zeit, als der Aufstieg Chinas den bevorstehenden Machtkampf zwischen der Volksrepublik und dem Westen bereits absehbar werden ließ. Im Februar 2002 hatte der damalige US-Präsident George W. Bush erstmals von einem »pazifischen Jahrhundert« gesprochen und angekündigt, Washington wolle in Asien auch in Zukunft eine herausragende Rolle spielen. Dem transatlantisch bestens vernetzten IISS gelang es, nach dem ersten »Asia Security Summit« jährlich ein solches Treffen zu organisieren. Dabei wurden den Verteidigungspolitikern und Militärs zunächst Raum für Hintergrundgespräche, dann aber auch für öffentliche Debatten geboten. Die Veranstaltung benannte man nach dem Tagungsort, dem noblen Hotel Shangri-La in Singapur.

Der Durchbruch geang dem IISS 2007, als zum ersten Mal eine hochrangige Delegation aus China auf der Konferenz empfangen werden konnte. In dem Jahr war mit Franz Josef Jung (CDU) erstmals auch ein deutscher Verteidigungsminister gekommen. Berlin, mit der Bewältigung der Finanz- und der Euro-Krise beschäftigt, vernachlässigte die Veranstaltung jedoch bald wieder. In China ist die Beteiligung am »Shangri-La Dialogue« nicht unumstritten. Es sei nicht ersichtlich, wieso man an einer vom Westen initiierten Konferenz teilnehmen solle, wenn man dort von dessen Politikern und ihren asiatischen Verbündeten scharf attackiert und der eigene Beitrag anschließend in den westlichen Medien verrissen werde. So hieß es 2014 in der Volksrepublik. Peking hat sich dennoch entschlossen, sich weiterhin an den Diskussionen zu beteiligen. Auch dieses Jahr entsendet es einflussreiche Persönlichkeiten nach Singapur. (jk)



Deutsche Militärpolitik in Asien

Von Jörg Kronauer **

Seit die damalige US-Außenministerin Hillary Clinton im November 2011 »Amerikas pazifisches Jahrhundert« ausgerufen hat, besteht kein Zweifel mehr: Die Asien-Pazifik-Region ist zumindest ein bedeutendes, wenn nicht sogar das Zentrum schlechthin der künftigen Weltpolitik. Die Bundesrepublik, die unbedingt Weltpolitik treiben will, hat begonnen, sich darauf einzustellen. Seit einigen Jahren intensiviert sie nicht nur die außen-, sondern auch die militärpolitische Kooperation mit wichtigen prowestlichen Staaten dort. Die »Berlin-Canberra-Absichtserklärung über eine strategische Partnerschaft« zwischen Deutschland und Australien vom 28. Januar 2013 enthält klare Ansagen zur »Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich«. Die Bundeswehr und die Streitkräfte Japans haben erste gemeinsame Manöver unternommen und am Horn von Afrika bereits Seite an Seite operiert. Der »sicherheits- und verteidigungspolitische Dialog« zwischen Berlin und der hochmilitarisierten südostasiatischen Drehscheibe Singapur wird systematisch gestärkt. Hinzu kommen Kooperationen mit weiteren Ländern der Region, etwa mit Vietnam (siehe jW vom 10. März 2015).

Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen steht also beim am heutigen Freitag beginnenden »Shangri-La Dialogue« keineswegs mit leeren Händen da – und sie arbeitet weiter an der Stärkung deutscher Positionen in Asien. Nach Singapur ist die CDU-Politikerin direkt aus Indien gekommen, wo sie sich seit Dienstag nicht nur für deutsche Rüstungskonzerne eingesetzt hat. ThyssenKrupp will mal wieder U-Boote verscherbeln, Und dann ist da immer noch die Sache mit den Eurofightern. Die indische Luftwaffe braucht neue Kampfflieger. Sie könnte sich nach jahrelangem Hickhack vielleicht doch noch für den Kauf mehrerer Dutzend Flugzeuge des Konsortiums mit Sitz im bayrischen Hallbergmoos entscheiden. Indien sei allerdings auch sicherheitspolitisch ein wichtiger »Anker« in der Asien-Pazifik-Region, stellte von der Leyen in Neu-Delhi fest. Für Deutschland sei es ein »natürlicher Partner«. Unter anderem werde man künftig in Sachen Cyberkrieg zusammenarbeiten.

** Aus: junge Welt, Freitag, 29. Mai 2015


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