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Eine "Mini-NATO" im fernen Osten?

USA wollen mehr Präsenz im Asien-Pazifik-Raum - Eine russische Sicht

Von Armen Oganesjan, RIA Novosti *

“Die Zukunft der Geopolitik wird in Asien und nicht in Afghanistan oder im Irak bestimmt. Die USA müssen sich im Mittelpunkt dieser Ereignisse befinden”.

Das ist das Leitmotiv eines Artikels der US-Außenministerin Hillary Clinton, der in der November-Ausgabe des Magazins “Foreign Policy” erschien. Der Titel des Artikels beeindruckt - “Amerikas pazifisches Jahrhundert”. Auf der Titelseite heißt es nur– “Unser pazifisches Jahrhundert”.

In dem Artikel wird der Region nicht nur ein enormes Wirtschaftswachstum eingeräumt, das den Schwerpunkt der Weltwirtschaft nach Asien verschoben hat, sondern auch die Wichtigkeit der US-Führungsrolle und -Dominanz im Asiatisch-Pazifischen Raum hervorgehoben. Vor dem Hintergrund der bevorstehenden Präsidentenwahlen fühlen sich jetzt die US-Oppositionellen herausgefordert, die der Ansicht sind, dass die USA bei der Wirtschaftskrise und finanzieller Instabilitat zurückkehren sollen.

Eine der wichtigsten Botschaften Clintons an die Wähler war wohl: Wir kommen nicht nach Hause zurück – wir gruppieren unsere Kräfte und Strategien zugunsten der Region um, die den USA Prosperität versprechen.

Die Zweideutigkeit des von Clinton vorgeschlagenen Plans ist in China nicht unbemerkt geblieben. Die amtlichen Medien kritsierten, dass der asiatisch-pazifische Raum allen Völkern dieser Region gehört. “Es ist merkwurdig zu hören, dass eine US-Offizielle, die gerne immer von der Diplomatie redet, das nicht versteht. Wenn auch wir vor einem pazifischen Jahrhundert stehen, wird es sich um ein pazifisches Jahrhundert aller Länder der Region handeln.”

Clitons Kritik an den gegenseitigen Wirtschaftsbeziehungen prallte an Peking ab. China bestreitet den Vorwurf, dass die US-Unternehmen und ihre Innovationstechnologie diskriminiert werden. China brachte eigene Gegenargumente vor.

Das Hauptargument ist, dass der US-Protektionismus die chinesischen Unternehmen daran hindert, Investitionen unter dem Vorwand der nationalen Sicherheit durchzuführen, und den Export der High-Tech-Technologien nach China einschränkt. “Braucht China denn nur Soja-Bohnen und Mais aus den USA?”. China erkennt zwar die Rolle der USA als eines globalen Anführers an, erinnert jedoch an die Worte von George F. Kennan - die Welt werde niemals nur eine einzige Führung respektierren, die von einem einheitlichen Zentrum ausgehe.

Chinas Reaktion auf Clintons Artikel ist von großer Bedeutung, weil das größte Pathos in diesem Artikel gerade an Peking gerichtet ist, das seine eigene Nische im System der regionalen und Weltordnung weiter rasant ausbaut. Es muss ebenfalls berücksichtigt werden, dass es in den USA bis heute keinen offiziellen Handlungsplan für ihre strategischen Ziele im Asiatisch-Pazifischen Raum gibt.

Clintons Artikel hat den Schleier um die US-Strategie etwas gelüftet. “Die USA sind sowohl eine atlantische als auch eine pazifische Macht… Heute haben wir eine Aufgabe - ein Netz aus Partnerschaften und Institutionen im Pazifischen Raum zu schaffen, der so zuverlässig sein und den Interessen und Werten der USA entsprechen wird wie die Beziehungen, die mit den Ländern jenseits der Atlantik aufgebaut wurden”.

Falls die atlantische Erfahrung der USA mit ihrer pazifischen Erfahrung verglichen wird, könnte es bald zur Stärkung der alten und vielleicht auch zur Bildung neuer militärpolitischer Bündnisse kommen. Dies löst Befürchtungen wegen der möglichen Schaffung einer „Mini-Nato“ im Asiatisch-Pazifischen Raum aus, deren Grundlage die USA, Japan, Indien und Australien bilden könnten. Indien könnte dabei die Rolle eines Gegengewichts zu China spielen.

Hillary Clinton spricht offen über einen notwendigen Ausbau der US-Militarpräsenz in der Region und der Militärkraft ihrer Verbündeten. Die „Mini-Nato“ könnte die Größe der Nato erreichen, der Südkorea, die Philippinen und Thailand beitreten könnten.

Das hat bei vielen Erinnerungen wachgerufen und dazu geführt, die jetzigen US-Pläne in Bezug auf China, mit dem US-Konzept des Kalten Krieges gegen die Sowjetunion zu vergleichen. Die Sowjetunion war mit zahlreichen Militärstützpunkten in den sensiblen Regionen der Welt umgeben. Das weltumspannende US-Sicherheitssystem war damals eine wichtige politische Rente und ein Einflusshebel auf die europäischen Verbündeten gewesen.

Einige asiatische Wissenschaftler stellen sich die Frage: Wenn die USA wollen, jedoch nicht imstande sind, eine Führungsrolle zu spielen, werden sie nicht einen größeren Preis dafür verlangen, dass sie als Schutzmacht agieren? Werden die USA zu alten Methoden greifen, um Konflikte zu schüren?

An dieser Stelle sind Vergleiche mit der Ära des Kalten Krieges unangebracht. Die US-Wirtschaft war nie von der Sowjetunion und dem sowjetischen Markt direkt abhängig gewesen. Die Sowjetunion war keine aufsteigende Handels- und Wirtschaftsmacht gewesen, die die halbe Welt (darunter den US-Markt) mit ihren Waren hätte beliefern können. Moskau konnte nie seine Dollar-Reserven nutzen, über die heute Peking verfügt.

Angesichts dieser Umstände ist die US-Strategie sehr widerspruchsvoll. Neben der notwendigen Stärkung der militärpolitischen Allianzen ist das Konzept einer “korporativen Lösung” der in der Subregion entstandenen Situation. Es ist sogar die Rede von einem Jahrhundert der Partnerschaft im Asiatisch-Pazifischen Raum.

Wie die Zeitung “Renmin Ribao” schreibt, hängt die Situation der USA in Asien davon ab, inwieweit sie sich in der Region engagieren. Dies ist nur möglich, wenn sie eine konstruktive Rolle bei der Wirtschaftsentwicklung der Region spielen und in verschiedenen Bereichen kooperieren. Die Militärpräsenz zu verstärken, um ihre Macht zu demonstrieren, ist ein Weg, der ins Nichts führt.

Es muss ebenfalls berücksichtigt werden, dass China und asiatische Länder bereits eigene Kooperationsformen gebildet haben, bei denen China häufig die Führungsrolle spielt. Die Präsenz in einer Region mit unterschiedlichen politisch und wirtschaftlich konkurrierenden Allianzen kann neue unvorhersagbare Spannungen in die Region bringen.

Europa und Russland passen anscheinend nicht in Washingtons Pazifik-Konzept. Gleich nach dem Aufbau des Raketenabwehrsystems werden feierliche Akkorde des US-Marsches lauten – “Auf Wiedersehen Europa!”. In Bezug auf die asiatischen Markte sind die USA und die Europaische Union selbstverständlich Konkurrenten.

Jemand kann vielleicht davon überrascht sein, dass Russlands US-Politik im asiatisch-pazifischen Raum nicht erwähnt wird. Clinton schenkte in dem Artikel Russland „stilles Schweigen“, obwohl Russland im kommenden Jahr den Vorsitz beim APEC-Gipfeltreffen in Wladiwostok übernimmt.

Washington hält sich die Meinung der führenden Think Tanks in den USA, dass Russlands Wunsch, in der Weltpolitik wieder mitzumischen, zu Unklarheiten wegen des beschränkten Potentials führt, das Geschehen in der Region zu beeinflussen.

Doch Russland kann nicht bei der Verschiebung eines globalen politischen und wirtschaftlichen Zentrums vom Westen nach Osten abseits bleiben. Falls es in der US-Politik im asiatisch-pazifischen Raum ein „Block-Herangehen“ und Erhöhung der Militärstärke mit dem Hauptziel, China abzuschrecken, dominieren, ist es kaum ein Geheimnis, wie Peking auf diese Tendenz reagiert.

Chinas wachsende Militärstärke und Polarisierung der Bündnisse erfordern objektiv eine deutliche Verstärkung der russischen Pazifikflotte und Erhöhung der Verteidigungsfähigkeit von der Pazifikkuste bis zum Ural.

Aus wirtschaftlicher Sicht muss Russland eigene asymmetrische Antwort finden, die vor allem eine innenpolitische Dimension hat. Die Entwicklung der Wirtschaft Sibiriens und des Fernen Ostens ist eine dringende und offenbar alternativlose Strategie Russlands. In dieser Richtung kann Russland auch Partner erhalten.

Europa von Lissabon zum Wladiwostok könnte in der Zukunft den Brückenkopf zwischen der EU und den Märkten des Asiatisch-Pazifischen Raums spielen. In der Gemeinschaft der BRICS-Länder liegen Russland, Indien und China am Pazifik. Diese Troika hat zwar noch keine Konturen angenommen, die dynamische Entwicklung der Region, die neuen Aktivitäten der „alten“ Spieler, das sich rasant wandelnde Weltbild könnten diese Länder jedoch näher bringen.

Der Abzug der USA wird kaum ruhige Tage bringen. Das ohnehin vielschichtig und instabil strukturierte Asien wird hingegen noch unvorhersagbarer.

Wie in den Zeiten des Kalten Krieges, werden die Allianzen auf der Angst vor einem potenten Finanzierer und potenziellen Gegner geschmiedet. Der Unterschied besteht lediglich darin, dass die Wirtschaftssituation in den USA derzeit sehr instabil ist.

„Alle werden ohne Zweifel ein Problem im Kopf haben, wenn es um den Verteidigungsetat gehen wird. Falls der Schulden-Ausschuss des Kongresses nicht 1,2 Billionen Dollar bei der Kürzung der staatlichen Ausgaben in den nächsten zehn Jahren findet, wird der Haushalt des Pentagons um mehr als 20 Prozent zurückgehen“, sagte Michael Green, der Ko-Vorsitzende von Japan am Center for Strategic and International Studies (CSIS).

Vielleicht wird das Lied „Ich komme und umarme dich“ in Bezug auf den Asiatisch-Pazifischen Raum keine optimistische Fortsetzung haben. Doch in diesem Fall werden diejenigen Recht haben, die den USA empfohlen haben, nach Hause zurückzukehren, so die Agentur Xinhua.

Die Meinung des Verfassers muss nicht mit der von RIA Novosti uebereinstimmen.

* Dieser Artikel erschien unter dem Titel "USA wollen mehr Präsenz im Asien-Pazifik-Raum" in der Online-Ausgabe der Russischen Nachrichtenagentur RIA Novosti, 21. November 2011; http://de.rian.ru


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