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Der Kampf um Zentralasien geht weiter

Russland und die USA bleiben auch nach Obamas Moskau-Visite Rivalen in der Region

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Nicht Gegnerschaft, sondern Konkurrenz im guten Sinne des Wortes solle künftig das Verhältnis Russland-USA bestimmen, warb Barack Obama bei seinem Besuch in Moskau. Für Zentralasien gilt das wohl nur mit Einschränkungen. Dort ging der Verdrängungswettbewerb der Großmächte nach dem letzten Händedruck ihrer Präsidenten in die nächste Runde.

Statt Dementi kam die Bestätigung: Was russische Medien schon vergangenen Mittwoch gemeldet hatten, verlautete danach auch aus dem Pentagon: Auf dem Flughafen in Aschgabat - der Hauptstadt Turkmenistans - sei ein kleineres Kontingent von US-Soldaten stationiert worden. Sie würden das Betanken von Flugzeugen für die Anti-Terror-Operation im Westen Afghanistans übernehmen. Als diese Ende 2001 anlief, hatte Turkmenistan kurzzeitig seinen Luftraum geöffnet und Washington zwei Basen in Grenznähe für das Betanken mit Flugbenzin aus eigener Produktion zur Verfügung gestellt, sich dann jedoch auf seinen neutralen Status berufen und die Zusammenarbeit eingestellt.

Deren Wiederaufnahme wurde offenbar schon bei einer Zentralasien-Reise hoher US-Militärs im Februar mit Staatschef Kurbanguly Berdymuhamedow vereinbart. Dabei ging es auch darum, künftig den Luftwaffenstützpunkt Mary, den größten in der Region für den Transport nichtmilitärischer Güter, zu öffnen. Ebenso um die Nutzung des turkmenischen Straßen- und Schienennetzes. Über Details verhandelte Außenminister Raschid Meredow im Juni. Seit kurzen sind die USA auch in Usbekistan wieder militärisch präsent. Die Rückgabe der Nutzungsrechte für die strategisch wichtige Basis Chanabad bei Karschi, die Washington auf Druck Moskaus Ende 2005 räumen musste, steht aus Gründen der Gesichtswahrung in absehbarer Zeit zwar nicht zur Diskussion. Dafür darf Washington die Basis bei Navoi für den Umschlag nichtmilitärischer Güter nutzen.

Parallel verhandeln die USA mit Tadshikistan über eine Luftwaffenbasis im Norden. Auf die hat auch Moskau ein Auge geworfen, ein Interessenkonflikt ist daher programmiert. Ebenso beim Kampf um militärische Präsenz im benachbarten Kirgistan. Das dortige Parlament hatte den USA im Winter die Nutzungsrechte für die Luftwaffenbasis auf dem internationalen Flughafen Manas gekündigt und so Washingtons Position in der Region empfindlich geschwächt: Vor allem über Manas wurden Kriegstechnik und Mannschaften nach Afghanistan gebracht. Hiesige Medien hatten den Rausschmiss mit dem Druck Moskaus erklärt: Russland habe davon einen 1,7-Milliarden-Kredit für den Bau neuer Wasserkraftwerke abhängig gemacht - für die bitterarme Republik eine Frage von Sein oder Nichtsein.

Nach schwierigen Verhandlungen und Erhöhung der Pacht war es Washington im Juni jedoch gelungen, die Kündigung in Teilen rückgängig zu machen. Die USA und Kirgistan wollen Manas künftig gemeinsam als »Transitzentrum für nichtmilitärische Güter« nutzen. Ihre militärische Infrastruktur - darunter ein Abhörzentrum, das bis weit nach Sibirien hineinreicht und Russland begreiflicherweise stets ein Dorn im Auge war - müssen die USA trotzdem bis zum 1. August abbauen.

Moskau, das bei Kant nordöstlich der Hauptstadt Bischkek gegenwärtig 2000 Soldaten stationiert hat, fürchtet jedoch offenbar, dass Präsident Kurmanbek Bakijew, der bei den Wahlen am 23. Juli für eine weitere Amtszeit bestätigt werden dürfte, Washington weitere Zugeständnisse machen könnte. Man will daher die militärische Präsenz in der Republik ausbauen. Dazu soll im Süden bei Osch eine ehemalige sowjetische Basis reanimiert werden. Dort sollen dann auch Kontingente der neuen mobilen Eingreiftruppe der Organisation für kollektive Sicherheit - des Verteidigungsbündnisses der UdSSR-Nachfolgegemeinschaft GUS - stationiert werden. Über Details verhandeln Vizepremier Igor Setschin und Verteidigungsminister Anatoli Serdjukow derzeit in Bischkek.

Osch liegt im Fergana-Tal, der am dichtesten besiedelten Region Zentralasiens, wo Kirgistan, Tadshikistan und Usbekistan aneinandergrenzen. Interethnische Spannungen, angeheizt durch Verteilungskämpfe um die sich verknappenden Wasserressourcen, eskalierten in den letzten Wochen bis hart an den Rand eines Krieges. Russische Soldaten, so hiesige Experten, müssten daher schlimmstenfalls auch die Rolle eines Ordnungsfaktors übernehmen. Denn bei Kampfhandlungen droht die Implosion der instabilen Regimes und damit die Auflösung der ohnehin nur in Ansätzen vorhandenen staatlichen Strukturen der ehemaligen Sowjetrepubliken.

* Aus: Neues Deutschland, 13. Juli 2009


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