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Kaspisches Meer: Kein Zankapfel mehr, aber noch kein Meer der Freundschaft

Zur Interessenlage der Anrainerstaaten Russland, Kasachstan, Turkmenien, Aserbaidschan und Iran

Das Kaspische Meer - der weltweit größte Binnensee der Welt, gehört fünf Anrainerstaaten Russland, Kasachstan, Turkmenien, Aserbaidschan und Iran. Seit Jahren streiten die Länder um den Status des Gewässers.

Das Kaspische Meer ist mit einer Fläche von 376 000 Quadratkilometern das größte Binnengewässer der Erde. Es liegt 27,9 Meter unter dem Weltmeeresspiegel. Das Kaspische Meer weist immense Vorräte an Bioressourcen auf. Es ist beinahe der einzige Ort in der Welt, wo Störfische unter natürlichen Bedingungen aufwachsen. Im Flachwasserbereich des Sees lagern immense Vorräte an Kohlenwasserstoffen. Die genauen Mengen sind bislang noch nicht festgestellt, weil die Felder im Einzugsgebiet des Kaspischen Meeres noch unzureichend erkundet sind. Aber allein schon die nachgewiesenen Vorräte von etwa vier Milliarden Tonnen Öl können eine große Rolle bei der Lieferung von Energieträgern nicht nur nach Europa, sondern auch nach Asien spielen. Die prognostischen Ressourcen der Region werden von Experten auf 18 Milliarden bis 20 Milliarden Tonnen Einheitsbrennstoff geschätzt.

Gemäß dem gültigen Rechtsstatus, der sich auf einen zwischen der RSFSR und Persien am 26. Februar 1921 unterzeichneten Vertrag und ein zwischen der Sowjetunion und dem Iran am 25. März 1940 geschlossenes Handels- und Schifffahrtsabkommen stützt, ist das gesamte Gewässer für die Anrainerstaaten frei. Nach diesem Vertrag wurde das Kaspische Meer zum sowjetisch-iranischen Gewässer erklärt. Es gab keine Seegrenzen. Allerdings wurde für jeden Staat eine zehn Meilen breite nationale Fischfangzone reserviert. Das restliche Gewässer galt als Zone der freien Schifffahrt. Das Problem der Nutzung der Bodenschätze und der Umweltaktivitäten wurde von diesen Verträgen nicht behandelt.

Nach dem Zerfall der Sowjetunion entstanden in der Region vier unabhängige Anrainerstaaten - Russland, Aserbaidschan, Kasachstan und Turkmenien. Die Aufgabe, den völkerrechtlichen Status des Kaspischen Meeres zu bestimmen, wurde sofort zum Hauptanliegen der Anrainer. Mit der praktischen Lösung des Problems wurde 1994 begonnen, als Aserbaidschan "einen Jahrhundert-Vertrag" über die Erschließung der Ölfelder in seinem Sektor des Flachwasserbereiches unterzeichnet hatte. Im Juli 2006 wurde aserbaidschanisches Öl zum ersten Mal direkt in den Westen gepumpt - durch die neue Pipeline zwischen Baku/Aserbaidschan, Tiflis/Georgien und Ceyhan/Türkei. Unabhängige Experten sind der Ansicht, dass es auch nach voller Auslastung dieser Pipeline nicht zu einer wesentlichen Veränderung in der Struktur des weltweiten Verbrauchs von Energieträgern kommen wird: Die Pipeline wird nur knapp ein Prozent des internationalen Ölbedarfes decken. Indes liefert der Nahe Osten, vor dessen Unberechenbarkeit die Pipeline Baku-Tiflis-Ceyhan nach dem Willen der westlichen Sponsoren des Projektes die Abnehmer schützen soll, bis zu zehn Prozent des erforderlichen Öls in die USA, von den benachbarten Abnehmern ganz zu schweigen.

Die Anrainer des Kaspischen Meeres erzielten die Übereinkunft, eine Konvention über den Rechtsstatus des Gewässers zu unterzeichnen und sich vor ihrem Inkraft-Treten von den Bestimmungen der sowjetisch-iranischen Verträge von 1921 und 1940 leiten zu lassen. Vereinbarungsgemäß kann die Konvention nur auf der Grundlage eines Konsens aller fünf Anrainerländer angenommen werden.

Seit Oktober 1992 fanden einige multilaterale Treffen von Vertretern der Anrainer statt. Am 23./24. April 2002 wurde in der turkmenischen Hauptstadt Aschchabad das 1. Gipfeltreffen der Anrainerländer des Kaspischen Meeres durchgeführt. Damals konnte keine Einigung bezüglich der Teilung des Gewässers erzielt werden. Die Schlussdeklaration wurde nicht unterzeichnet.

Die Sonderarbeitsgruppe auf der Ebene der stellvertretenden Außenminister der fünf Länder, die die Konvention über den Rechtsstatus des Gewässers ausarbeiten soll, ist ein multilateraler Verhandlungsmechanismus. Zuletzt tagte die Gruppe im März 2006 in Moskau.

Die Positionen der Seiten

Russland geht davon aus, dass das Kaspische Meer ein einmaliges Binnengewässer ist, für das weder die UN-Seerechtskonvention noch international gültige Regeln für die Aufteilung des Gewässers als Binnensee vollständig angewandt werden könnten.

Die Position Russlands zeichnet sich durch einige prinzipielle Momente aus:
  1. Die Wasseroberfläche und das Wasser sollen allgemein genutzt werden. Nur der Meeresgrund wird in nationale Sektoren aufgeteilt.
  2. Umstrittene Lagerstätten sollen gleichermaßen aufgeteilt werden. Das heißt, dass die Seite, die Anspruch auf das jeweilige Feld erhebt, einer anderen Seite, die dieses Feld bereits als erste erschließt, die Hälfte der Erkundungs- und Förderkosten ersetzt und als gleichberechtigter Partner in das Projekt einsteigt.
Russland besteht darauf, dass unaufschiebbare Probleme, die unter anderem die Biosphäre, die Nutzung von Naturreichtümern, aber auch die Fischerei und Schifffahrt betreffen, noch vor der Bestimmung des Rechtsstatus des Gewässers gelöst werden. Zur Lösung aller Probleme um das Kaspische Meer schlägt Russland vor, ein unabhängiges internationales Organ ins Leben zu rufen. Dieses Zentrum für die strategische Lösung der Probleme des Kaspischen Meeres soll in der ersten Phase Umwelt, Schifffahrt und Fischerei kontrollieren und kann in der Zukunft zu einer politischen Organisation werden.

Aserbaidschan steuerte zu Beginn einen Kurs auf die Aufteilung des Kaspischen Meeres in nationale Sektoren als Teil des Landesterritoriums, wie dies in der Verfassung der Aserbaidschanischen Republik von 1995 festgeschrieben ist. Der nationale Sektor genießt die Souveränität der Republik und beinhaltet den Meeresgrund und die Wasseroberfläche sowie das Wasser dazwischen und den Luftraum darüber. Später änderte die aserbaidschanische Führung ihre Position, was in einer zwischen den Präsidenten Aserbaidschans und Russlands, Gejdar Alijew und Wladimir Putin, am 9. Januar 2001 in Baku unterzeichneten gemeinsamen Erklärung zum Kaspischen Meer seinen Niederschlag gefunden hat. Laut dem Dokument soll der Grund des Kaspischen Meeres in der ersten Phase nach der so genannten modifizierten Mittellinie in Sektoren (Zonen) aufgeteilt werden. Dabei sollen die allgemein gültigen völkerrechtlichen Normen und die auf dem Kaspischen Meer üblichen Gepflogenheiten berücksichtigt werden.

Kasachstan bezieht eine ähnliche Position wie Russland. Diese Position ist im russisch-kasachischen Abkommen über die Aufteilung des nördlichen Teils des Kaspischen Meeres vom 6. Juli 1998 und in der Deklaration über die Kooperation im Einzugsgebiet des Kaspischen Meeres vom 9. Oktober 2000 festgeschrieben.

Der Iran bevorzugt die gemeinsame Nutzung des Kaspischen Meeres gemäß einer Kondominium-Regelung. Zugleich erklärt sich Teheran bereit, das Gewässer in nationale Sektoren aufzuteilen, aber nur, wenn sie gleichermaßen groß sein würden. Das bedeutet, dass jeder Anrainerstaat 20 Prozent des Gewässers kontrollieren würde. Indes macht die iranische Küste nur 13 Prozent der gesamten Küstenlinie aus. Am 12. März 2001 nahmen Russland und der Iran eine Gemeinsame Erklärung an, in der besonders hervorgehoben wird, dass die beiden Seiten offiziell keine Seegrenzen anerkennen, bis der rechtliche Status des Kaspischen Meeres bestimmt worden ist. Auf dieser Grundlage würden die Seiten die Kooperation im Einzugsgebiet des Kaspischen Meeres durch die Ausarbeitung entsprechender rechtlicher Mechanismen fördern.

Turkmenien befürwortete zu Beginn die Position des Irans zugunsten der Teilung des Gewässers in gleiche Sektoren. Zudem besteht Aschchabad auf der Festlegung einer 15-Meilen-Küstenzone und einer 25-Meilen-Wirtschaftszone. Somit würde jeder Anrainerstaat 40 Meilen entlang seiner Küste souverän kontrollieren.

In den letzten Jahren konnten Russland, Kasachstan und Aserbaidschan einen Kompromiss herbeiführen und unterzeichneten mehrere bilaterale Abkommen. Demnach sollen nur der Meeresgrund und die Bodenschätze unter den Anrainern aufgeteilt werden. Die Wasseroberfläche würde gemeinsam genutzt werden. Dabei würden der Grund und die Bodenschätze nach der so genannten modifizierten Mittellinie aufgeteilt. Im Mai 2003 signierten die drei Länder ein Abkommen über die Koordinaten des Punktes, wo die Mittellinien ihrer Sektoren auf dem Grund des Kaspischen Meeres zusammenkommen. In dem auf der Ebene der stellvertretenden Außenminister der drei Länder bestätigen Dokument ist der rechtliche Status von mehr als 60 Prozent der Bodenschätze im nördlichen Bereich des Kaspischen Meeres festgeschrieben. Aber wegen territorialer Ansprüche zwischen Aserbaidschan und dem Iran kann der südliche Bereich bislang nicht aufgeteilt werden. Teheran besteht weiterhin auf 20 Prozent, was von Aserbaidschan und Turkmenien abgelehnt wird.

Im November 2003 wurde eine Rahmenkonvention über den ökologischen Schutz des Kaspischen Meeres unterzeichnet, die dann am 12. August 2006 in Kraft trat. Das ist das erste gemeinsame Dokument aller fünf Anrainerstaaten, das sie verpflichtet, selbstständig oder gemeinsam Maßnahmen zur Beseitigung der Folgen von Umweltkatastrophen im Kaspischen Meer zu ergreifen.

In einer Sitzung der Sonderarbeitsgruppe im November 2005 unterbreitete der kasachische Außenminister Kassymschomart Tokajew die ersten strategischen Vorschläge: Gemeinsam solle ein politisches Dokument ausgearbeitet und in Form eines Stabilitätspaktes für das Kaspische Meer angenommen werden. Dieses Dokument solle unter anderem solche Kooperationsrichtungen beinhalten wie den Kampf gegen den Terrorismus, die Unterbindung des illegalen Waffen- und Drogenhandels wie auch der illegalen Migration.

Nach einem Gipfeltreffen im Jahr 2002 in Aschchabad kamen die Seiten darin überein, den nächsten Gipfel 2003 in Teheran durchzuführen. Aber dieses Treffen hat bisher nicht stattgefunden und kann auch in diesem Jahr kaum einberufen werden. "Es gibt keinerlei Dokumente, die auf höchster Ebene unterzeichnet werden könnten", sagte der russische Vizeaußenminister Viktor Kaljuschny, Sondervertreter von Präsident Putin für das Kaspische Meer. "Sollte ein solcher Gipfel in absehbarer Zeit doch noch stattfinden, dann nur um der Lösung des Problems des Kaspischen Meeres einen neuen politischen Impuls zu verleihen", sagte Kaljuschny.

Quelle: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 25. Oktober 2006;
http://de.rian.ru



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