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Asiatische Verhältnisse

Freihandelszone der Superlative: Zwischen ASEAN-Staaten, China, Australien und Neuseeland sind mit Jahresbeginn Zollschranken gefallen

Von Thomas Berger, Bangkok *

Mit Jahresbeginn ist in Asien die größte Freihandelszone der Welt entstanden. Zwei Abkommen, die zum 1. Januar (2010) in Kraft traten, lassen die Zollschranken sowohl innerhalb des südostasiatischen Staatenbundes ASEAN als auch zwischen diesem und dem benachbarten Giganten China fallen. 1,7 Milliarden Menschen leben in der aktuell dynamischsten Wirtschaftsregion der Welt, in der nach Expertenmeinungen damit die Binnenhandelsbewegungen in nächster Zeit deutlich zunehmen dürften. Nicht zuletzt droht die Region die Konkurrenten Nordamerika und Europa in den Schatten zu stellen.

Die endgültige Umsetzung dessen, was seit 1992 schrittweise vorbereitet wurde, wird noch weitere fünf Jahre dauern. Grund für diese Übergangszeit ist das unterschiedliche ökonomische Entwicklungsniveau innerhalb der ASEAN. Während deren sechs Gründungsmitglieder schon jetzt für die Masse der Produkte alle Zölle fallenlassen, sollen die vier später aufgenommenen Staaten bis 2015 Zeit haben, sich darauf einzustellen. Dann werden auch Kambodscha, Laos, Myanmar (Burma) und Vietnam dort ankommen, wo Brunei, Thailand, Indonesien, Malaysia, die Philippinen und der Stadtstaat Singapur heute schon mit ihrer weitgehenden Zollunion stehen, die auch China einschließt.

Fast 8000 Produkte können nun gänzlich frei gehandelt werden. Das betrifft Fahrzeugzubehör und Chemikalien ebenso wie Zement, Maschinenteile, Kunststoffe, Nahrungsgüter, diverse Halbfabrikate und zahlreiche weitere Endprodukte. »Das ist ein enormer symbolischer Schritt«, sagte Somkiat Tangkitvanich, Forschungsdirektor des Thailand Development Research Institute (TDRI), gegenüber der Presse. Natürlich würden die Regierungen der Region kurzfristig Einnahmeverluste verzeichnen. Mittel- und langfristig lohne sich das Projekt aber dank gesteigerter Exporte zwischen den Ländern. Auch würden die Verbraucher profitieren, denn so manches Produkt könne auf diese Weise im Preis sinken.

Wie sich die Warenströme im einzelnen neu sortieren werden, kann noch nicht vorausgesagt werden. Beispielsweise gilt Thailand in der Region als Schwerpunktstandort der Automobilbranche, während der südliche Nachbar Malaysia im Elektroniksektor an der Spitze liegt. Während manche solcher Fabrikate nun leichter auf den riesigen chinesischen Markt gelangen können, stehen umgekehrt Produkten aus China noch mehr als bisher alle Tore nach Südostasien offen. Es sind gerade die Größenunterschiede zwischen einer Volkswirtschaft mit 1,2 Milliarden Einwohnern und denen der gut eine halbe Milliarde Menschen umfassenden Staatengruppe Südostasiens, die das Ganze problematisch erscheinen lassen. Prognosen zu Profiteuren und Verlierern nach Wegfall der Zollschranken sind zumindest schwierig.

Schon jetzt gehen die Experten davon aus, daß beispielsweise die Bauern nicht zu den Gewinnern des Freihandelsabkommens zählen werden - zumindest nicht in allen Ländern. Die Erlöse für Erzeugnisse wie Palmöl, Kaffee und Reis dürften mit einer Neusortierung des Angebotes insgesamt sinken, und beim Reis werde Thailand nach 2015 wohl um die 0,5 Prozent Anteil am Welthandel an den Konkurrenten Vietnam einbüßen, der billiger produziert. Beide gehören zu den größten Exporteuren dieses Grundnahrungsmittels. Beim Palmöl wird Malaysia, schon heute der globale Marktführer, auf Kosten Thailands weiter zulegen können. Wiederum Vietnam hat bei Kaffee als zweitgrößter Produzent der Welt bessere Karten gegenüber den Thais, die Exportrückgänge erwarten müssen.

Manche Verschiebungen werden nur marginal sein, denn bereits in den zurückliegenden Jahren waren viele Zölle innerhalb der ASEAN auf ein Minimum reduziert worden. Der Handel innerhalb des Bündnisses, das sich ökonomisch wie politisch am Vorbild EU orientiert, hat seit der Jahrtausendwende stetig zugenommen. Beispielsweise hatte Kambodscha, neben Laos und Myanmar das Armenhaus der Region, im Jahr 2000 gerade einmal ein Handelsvolumen von umgerechnet 630 Milliarden US-Dollar mit den Nachbarländern. 2008 (Gesamtzahlen für 2009 liegen noch nicht vor) belief es sich dagegen schon auf 5,143 Billionen Dollar. Ähnlich sieht es mit dem Anstieg des Handelsvolumens zu China aus: Im Vergleichszeitraum konnte das von 136 Milliarden auf 1,239 Billionen Dollar zulegen.

Daß China der größte Profiteur der Freihandelsvereinbarungen sein wird, bestreiten die meisten Experten. Sie führen unter anderem das Beispiel verschiedener Agrarprodukte aus Thailand an, deren Exporte nach China bei einem bilateralen Abkommen teilweise zweistellig steigen würden. Solche Aussichten gebe es künftig unter anderem für Kambodscha, wo landwirtschaftliche Ausfuhren bislang nur in Richtung Vietnam und Thailand laufen.

Die riesige Freihandelszone reicht sogar bis in den pazifischen Raum. Auch zwischen ASEAN sowie Australien und Neuseeland fielen zu Jahresbeginn etliche Zollbarrieren. Zwar sinken die Abgaben bis 2012 nur schrittweise, so daß größere Verschiebungen im Handelsvolumen zunächst ausbleiben dürften. Nach einem Bericht der Nachrichtenagentur Vietnam News Service erwarten Händler in dem südostasiatischen Land demnach keine massive Steigerung bei den Importen. Dazu seien beispielsweise die klassischen Exportschlager Rind- und Lammfleisch aus Australien und Neuseeland zu sehr ein Nischenprodukt in der neuen Zollunion. Das Fleisch werde allenfalls in gehobenen Lokalen auf dem Tisch landen.

* Aus: junge Welt, 19. Januar 2010


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