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Umdenken in Ostasien

In der Region wurden über 100 Kernkraftwerke gebaut oder geplant

Von Georg Ackermann, Singapur *

Die Finanzmärkte stimmten schon einmal den Abgesang auf die Atomenergie an. In Sydney etwa fielen vor allem die Uranminen-Werte wie Paladin Energy und Energy Resources of Australia inzwischen dramatisch. Die viel beschworene »Renaissance der Nuklearenergie« endet angesichts der Ereignisse in Japan offenbar schon wieder.

Im besonders energiehungrigen Asien befinden sich derzeit mehr als 100 Atomkraftwerke im Bau oder in der Planung. Doch einige Politiker beginnen bereits umzudenken, andere warten erst einmal ab. China gehört zur letzteren Gruppe. »China wird seinen Entwicklungsplan für die Nuklearenergie solange nicht überarbeiten, bis die genauen Auswirkungen des Erdbebens auf Japans Anlagen bekannt sind«, sagte ein Offizieller der nationalen Energiebehörde NEA der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua. Im Entwurf für den neuen Fünfjahrplan (2011-2015) ist von einer Neukapazität von 40 Gigawatt die Rede. Gegenwärtig verfügt das Land über 10,8 Gigawatt. »Die 13 bestehenden Kraftwerke sind sicher«, verkündet Umweltschutzminister Zhang Lijun. »Chinas Nuklearanlagen sind den Meilern der zweiten Generation wie in Fukushima technisch überlegen.« Xie Zhenhua von der Nationalen Entwicklungs- und Reformkommission meint dagegen: »China muss die Prüfung und Überwachung des Baus seiner Atomkraftwerke verstärken.« Für die Volksrepublik ist der eingeschlagene Weg die einzige Möglichkeit, die gesetzten Klimaziele zu erreichen. Außerdem kann man so die Importe und die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern reduzieren.

Einen Rückgriff auf fossile Energien, zumindest für die nahe Zukunft, prophezeit dagegen die China-Abteilung der Citibank. »Nuklearenergie könnte als gefährlich eingestuft werden.« Japan etwa bleibt nach dem Ausfall von 9,7 Gigawatt Atomstrom, einem Fünftel der Gesamtkapazität, auch nichts anderes übrig. Die beschädigten Reaktoren kann die Betreibergesellschaft Tokyo Electric Power (TEPCO) schon abschreiben. Und auch die restlichen der veralteten Anlagen können wohlmöglich gar nicht so schnell ersetzt werden.

In Tokio wird bereits der Strom rationiert. Nach Berechnungen der Internationalen Energieagentur muss das Land pro Tag den Gegenwert von 375 000 Barrel Öl zusätzlich importieren. Es werde am Ende auf eine Kombination aus Öl, Flüssiggas und Kohle hinauslaufen, schrieb die »Financial Times«. Russlands Regierungschef Wladimir Putin sagte am Wochenende Hilfslieferungen von Flüssiggas zu und würde dafür sogar die Produktion im Werk Sachalin 2 erhöhen.

Südkorea ist ein anderer der atomaren Vorreiter in der Region. Präsident Lee Myung-bak befindet sich in dieser Woche auf Staatsbesuch in den Vereinigten Arabischen Emiraten, wo er zusammen mit Scheich Mohammed bin Zayed al Nahyan die Grundsteinlegung des Kernkraftwerks Braka, 300 Kilometer westlich von Abu Dhabi, zelebriert. Den Vertrag über den 20 Milliarden Dollar (15 Milliarden Euro) teuren koreanischen Reaktor unterzeichneten die beiden Parteien im Dezember 2009. »Durch die Sicherheit und Effektivität südkoreanischer Nukleartechnologie haben unsere Reaktoren Modellcharakter für den Mittleren Osten«, wird Lee von der Zeitung »Korea Herald« zitiert. Zuhause sorgen sich Politiker der Opposition um den wieder aktiv gewordenen Vulkan Mount Baekdu – an der nordkoreanisch-chinesischen Grenze. Man wolle dem Nachbar mit wissenschaftlicher Hilfe zur Seite stehen und gleichzeitig auch über Nordkoreas militärisches Atomprogramm diskutieren.

Warum Indonesien nun auch zwei Atomreaktoren bauen will? »Weil Malaysia, Vietnam und Singapur bereits in diese Richtung gehen«, sagte Forschungs- und Technologieminister Suharna Surapranata dieser Tage und erklärte, dass sein Land bereit sei, ebenfalls eine Nuklearanlage zur Stromgewinnung zu bauen. Die Nationale Agentur für Atomenergie betreibt zwar bereits mehrere Reaktoren, allerdings nur für Forschungszwecke im Bereich Medizin und Ernährung. Die Regierung möge zwar technologisch dazu bereit sein, ein Kernkraftwerk zu bauen, wendet Andrie Wijaya ein, Sprecher einer Anti-Atom-Organisation. Doch stehe auch das große Ausmaß der Korruption im Lande dagegen. »Indonesien liegt auf einem Ring aus Feuer«, so Andrie. »Wir haben mehrere aktive Vulkane und sind verwundbar für Erdbeben und andere Naturkatastrophen.« Die Regierung studiert verschiedene Alternativen in Sumatra und Java, bevor das Parlament darüber beschließen kann.

Während die Philippinen ihre Kraftwerkspläne wegen Sicherheitsbedenken bereits zuvor auf Eis gelegt haben, kommen Thailand nach den Ereignissen in Japan Bedenken. Man werde sich den Sicherheitsaspekt noch einmal genau anschauen, erklärte Premierminister Abhisit Vejjajiva am Wochenende. Allein Vietnam prescht weiter vor. »Wie vorgesehen wird Vietnam mit seinem ersten Atomkraftwerk Ninh Thuan 1 bei Baubeginn 2014 neue Wege beschreiten«, verkündet »Tuoi Tre News«. Somit werde die erste Anlage »im Jahr 2020 Strom erzeugen«.

* Aus: Neues Deutschland, 16. März 2011


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