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Ein Star für Baku mit dunklen Flecken

MEDIENgedanken: Eurovision Song Contest in Aserbaidschan und die Pressefreiheit

Von Irina Wolkowa *

Wenn russische Journalisten verfolgt oder gar umgebracht werden, hauen deutsche Medien drauf. Zu Recht. Wenn Kollegen in Turkmenistan die Geheimdienste erst Drogen und Waffen unterjubeln, damit sie ins Zuchthaus gebracht werden können, wo sie erst, obwohl dem Rentenalter nahe wie Ogulsapar Muradowa, vergewaltigt und dann wie ein Hund erschlagen werden – hauen deutsche Medien nicht drauf. Die öl- und gasreiche zentralasiatische Ex- Sowjetrepublik ist zwar OSZEMitglied, liegt aber furchtbar weit weg.

Aserbaidschan am anderen Ufer der Kaspi-See ebenfalls. Und für die Verfolgungen, denen kritische Journalisten auch dort ausgesetzt sind, gab es bisher in deutschen Medien wenig Platz. Bis Aserbaidschan im letzten Sommer den Eurovision Song Contest gewann und damit das Recht, die nächste Runde auszurichten. Pünktlich zum Beginn des deutschen Auswahlverfahrens hatte Reporter ohne Grenzen (ROG) – eine internationale nichtstaatliche Organisation, die sich für Pressefreiheit und Schutz von Journalisten weltweit einsetzt – gewarnt, in Aserbaidschan herrsche »ein Klima der Angst und Repression« Das dürfe beim Finale des Sängerwettstreits nicht ausgeblendet werden. Und anders als bisherige Beiträge zum Thema Aserbaidschan – allein im letzten Jahr hievte die deutsche Sektion von ROG Berichte über drei erschütternde Einzelschicksale auf ihre Website – wurde der Appell hundertfach angeklickt. Mag daher ruhig singen, wem Gesang eigentlich nicht gegeben ist, wenn Wegsehen und Desinteresse damit ein Ende haben. Denn die Fakten schreien zum Himmel.

Seit Heydar Alijew 1993 den liberalen Abulfaz Elcibey stürzte – den aus freien Wahlen hervorgegangenen ersten Präsidenten – und Aserbaidschan ein autoritäres Regime einschließlich dynastischer Erbfolge verpasst, kennen auch Presse- und Meinungsfreiheit nur noch einen Trend: steil abwärts. Beim letzten ROG-Ranking der Pressefreiheit fand die Republik im Südostkaukasus sich auf Platz 152 wieder: hinter Irak oder Afghanistan.

Zu Recht: Die wichtigsten Medien, allen voran das Fernsehen – für die Masse der Bevölkerung wichtigste, manchmal sogar einzige Informationsquelle – werden vom Staat kontrolliert. Ebenso die meisten überregionalen Blätter. Zeitungen oppositioneller Parteien und kritische Journalisten werden systematisch unter Druck gesetzt, deren Mitarbeiter mit Berufsverbot belegt, eingeschüchtert, entführt, gefoltert oder gar ermordet. Ermittlungen dazu verlaufen im Sande oder werden von der abhängigen Justiz niedergeschlagen.

Baba Haydar – Väterchen, wie die Aseri den 2003 verstorbenen Alijew titulierten – begründet die innenpolitischen Daumenschrauben vor allem mit dem ungelösten Konflikt um Berg-Karabach: eine vor allem von Armeniern bewohnte Region, die sich 1988 in der Götterdämmerung der Perestroika in die Unabhängigkeit verabschiedete. Böse Zungen behaupten, der Konflikt, der über 20 000 Menschen das Leben kostete und eine Million zu Flüchtlingen machte, sei auch deshalb bis heute nicht beigelegt, weil Aserbaidschan und in gewissem Maße auch Armenien ihn als Vorwand für ihre Demokratiedefizite strapazieren. Gut möglich. Denn als Haydar Alijews Sohn Ilham die Macht übernahm, verhärteten sich die Fronten eher noch und die Medien werden seither an noch kürzerer Leine geführt.

Westliche Rundfunksender wie BBC und Radio Free Europe, die seit dem Ende der Sowjetunion 1991 in der mit dem Türkischen eng verwandten Landessprache Aseri senden, können seit 2009 nur noch über das Internet empfangen werden. Die Hörer fragen sich, wie lange noch. Denn die Regierung plant Gesetze, um auch Internetmedien stärker zu kontrollieren. Ein Dorn im Auge sind den Machthabern nicht nur kritische Blogs, sondern auch soziale Netzwerke, über die sich die Menschen – ähnlich wie in Russland – zu Protesten verabreden. Die Regierung geht nicht nur gegen die Teilnehmer brutal vor.

Bei Massendemonstrationen – die letzten fanden im Frühjahr 2011 statt – verhindert die Polizei regelmäßig Kontakte zwischen Journalisten und Protestlern, beschlagnahmt und zerstört Equipment und Material. Reporter werden festgenommen und zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Für Aufsehen sorgte vor allem der Fall Enullah Fatullajew. Zwar hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte das gegen ihn ergangene Urteil – vier Jahre Knast – schon im April 2010 für rechtswidrig erklärt. Das Regime in Baku setzte sich darüber jedoch einfach hinweg. Fatullajew wurde nach massivem internationalen Druck wenige Tage nach dem Sieg Aserbaidschans beim Eurovision Song Contest von Alijew lediglich begnadigt.

Für noch mehr Aufsehen sorgte im letzten November der Mord an Rafiq Tagi. Der 61-jährige Journalist hatte für die kritische Zeitung »Sanat« gearbeitet und in einem 2006 dort veröffentlichten Essay gefordert, Aserbaidschan dürfe sich nicht an Asien orientieren, sondern müsse sich Europa zum Vorbild nehmen. Fortschritt sei nur unter dem Einfluss universeller humanistischer Werte möglich. Den Islam kritisierte er als reaktionär, einige Äußerungen des Propheten Mohammed als aggressiv. Wegen Anstiftung zu religiösem Hass wurde er zu drei Jahren Haft verurteilt, nach internationalem Druck von Alijew jr. 2007 begnadigt.

* Die Autorin ist »nd«-Korrespondentin in Russland.

Aus: neues deutschland, 18. Februar 2012



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